Neuerscheinungen vom 10. Mai 2024

Einleitung: 

Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,

im Zyklus des Gedenkens ist 2024 wieder ein „Goethejahr“. Vor 275 Jahren wurde Johann Wolfgang Goethe in Frankfurt am Main geboren, und vor 250 Jahren veröffentlichte der aufstrebende Autor aus dem Großen Hirschgraben seinen Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers“, der ihn mit einem Schlag berühmt machte. Goethe ist längst mit einem Artikel im Frankfurter Personenlexikon vertreten, und auch sein Vater Johann Caspar Goethe wurde schon vor einiger Zeit mit einem Eintrag im FP bedacht. Das aktuelle Gedenkjahr ist nun willkommener Anlass, um endlich eine Lücke zu füllen: Der Artikel des Monats widmet sich Catharina Elisabeth Goethe, einer außergewöhnlichen Frau, die lange nur als die Mutter von Frankfurts größtem Sohn angesehen wurde.

Artikel des Monats Mai 2024:
Catharina Elisabeth Textor – Rätin Goethe – Frau Aja

Sie war schon zu Lebzeiten eine Legende und wurde in Frankfurt als Sehenswürdigkeit besucht: Catharina Elisabeth Goethe. Nach einer eher einfachen Schulausbildung wurde die 17-jährige Stadtschultheißentochter Catharina Elisabeth Textor 1748 mit dem um 21 Jahre älteren Kaiserlichen Rat Johann Caspar Goethe verheiratet. Am 28. August 1749 brachte die Rätin ihr erstes Kind zur Welt, den Sohn Johann Wolfgang, dem nach etwa 15 Monaten die Tochter Cornelia folgte. Bei der Kindererziehung kam der jungen Mutter ihre „Lust zu fabulieren“ zugute, die ihr später der Sohn aus der Erinnerung bescheinigte. Als Hausfrau hatte die Rätin einen großen Haushalt zu organisieren, was ihr oft eher lästig war. Lieber hätte sie gelesen, geklöppelt, Klavier oder Schach gespielt und wäre ins Theater gegangen. Allerdings war sie eine großartige Gastgeberin, die – wie sie selbst einmal sagte – die Gabe hatte, dass „keine Menschenseele missvergnügt von [ihr] weggegangen“ sei. Ihre Gastfreundschaft für die Sturm-und-Drang-Freunde des Sohnes soll der Rätin den Namen der „Frau Aja“ eingetragen haben, was eine der vielen gut erfundenen Geschichten um ihre Person sein dürfte. Jedenfalls schmückte sie sich nur zu gern mit diesem „Titel“. Nach dem Wegzug des Sohnes nach Weimar 1775, der Heirat und dem frühen Tod der Tochter 1773/77 und der Erkrankung ihres Mannes bis zu dessen Tod 1782 lernte Catharina Elisabeth Goethe, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und zu gestalten.
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Schluss: 

In der überlieferten Lebensgeschichte von Catharina Elisabeth Goethe sind Fakten und Fiktion oft perfekt vermischt, was es der Lexikographie in diesem Fall nicht ganz leicht macht. Schon früh, noch zu ihren Lebzeiten, wurde Frau Aja zum Inbegriff der Mutter und Hausfrau stilisiert und dadurch auch reduziert. Dazu trug nicht zuletzt ihr Sohn Johann Wolfgang Goethe mit Figuren in seinen Werken bei, wie der Elisabeth in „Götz von Berlichingen“ (1771/73) und der Mutter in „Hermann und Dorothea“ (1798), die als Abbilder der „richtigen“ Mutter des Autors gesehen wurden. Kurz nach dem Tod der Mutter 1808 begann Goethe, sein ideales Bild von ihr zu schaffen – in seiner ab 1811 erschienenen Autobiographie „Dichtung und Wahrheit“. Am Mythos der „Dichtermutter“ schrieb auch Bettine Brentano, später verheiratete von Arnim, kräftig mit, die die Informationen aus ihren Gesprächen mit Catharina Elisabeth Goethe einerseits zunächst mit Goethe für dessen Autobiographie teilte, andererseits später selbst in ihrem Briefroman „Goethe’s Briefwechsel mit einem Kinde“ (1835) verwertete. Beide, Goethe wie Bettine, erschufen aus Wahrheit und Dichtung eine Idealfigur, hinter der Catharina Elisabeth Goethe als historische Persönlichkeit zurücktrat.
Inzwischen hat die Goetheforschung der neueren Zeit mit einigen Erfindungen zum Leben der „Dichtermutter“ aufgeräumt. Daran muss sich natürlich auch der Artikel über Catharina Elisabeth Goethe im Frankfurter Personenlexikon halten – selbst wenn es manchmal schwerfällt. Wer würde nicht gerne daran glauben, dass Frau Aja die Grüne Soße erfunden hätte? Aber auch das stimmt leider nicht.
Niemals enttäuscht wird jedoch, wer sich darauf einlässt, in den Briefen von Catharina Elisabeth Goethe zu lesen. Mehr als 400 Briefe aus der Zeit von 1774 bis kurz vor ihrem Tod 1808 sind von ihr überliefert. Und sie sind nicht nur eine authentische biographische Quelle. Ihre Lektüre ist immer wieder aufs Neue ein Glück und ein Gewinn und auch ein Spracherlebnis.

Und so erlauben Sie, liebe Leserinnen und Leser, dass ich mich in diesem Monat mit einer Schlussformel aus den Briefen der Frau Aja in der ihr eigenen Orthografie von Ihnen verabschiede.
Nun Leben Sie wohl und vergnügt!
Dieses wünscht von gantzem Hertzen
Ihre
Sabine Hock
Chefredakteurin des Frankfurter Personenlexikons

P. S. Die nächste Artikellieferung erscheint am 10. Juni 2024.