Greeff-Andriessen, Pelagia, gen. Pélagie (auch: Pelagie), geb. Andriessen (auch: Andrießen), in 1. Ehe verw. Sthamer-Andriessen, in 2. Ehe gesch. Ende-Andriessen. Kammersängerin. Opernsängerin. Gesangsmeisterin. Diese Angaben konnten anhand von Dokumenten zweifelsfrei bestätigt werden.* 20.6.1860 Wien, Diese Angaben konnten anhand von Dokumenten zweifelsfrei bestätigt werden.† 17.12.1935 Ffm.
Tochter des Buchhändlers Friedrich
Ferdinand August Andriessen und dessen Ehefrau Emma
Marie, geb. von Lingke (1830-?). Verheiratet in erster Ehe (bis 1886) mit dem Leutnant a. D. Jürgen
Niclas (auch: Nicolaus) Sthamer (1845-1886), der infolge einer in einem Duell erlittenen Verletzung am 12.4.1886 in Leipzig starb, in zweiter Ehe (von 1890 bis zur Scheidung vor 1899) mit dem Architekten Hermann Carl
Walther Ende (1864-nach 1914), in dritter Ehe (von 1899 bis zur Scheidung 1907) mit dem Kaufmann Arthur Greeff (1860-1937). Entgegen der Angabe in älteren Lexika war G.-A. in dritter Ehe nicht mit dem Opernsänger und Ffter Kollegen
Paul Caspar Greeff (1854-1923), der von 1889 bis 1914 als Bass am Opernhaus in Ffm. engagiert war, verheiratet, sondern mit dessen jüngstem Bruder.
Erster Musikunterricht bei der Mutter, die als Gesangsprofessorin am Wiener Konservatorium lehrte. Gesangsausbildung am Wiener Konservatorium. Debüt als Operettensängerin am Carltheater in Wien. Weitere Engagements an Operettentheatern, u. a. am Theater am Gärtnerplatz in München. Entschluss zur Karriere als Opernsängerin. Verpflichtung für kleinere Altpartien an der Königlichen Oper in Berlin, wo sie bald als talentlos entlassen worden sein soll. Vermutlich nach dieser Erfahrung oder während ihres späteren Leipziger Engagements erneutes Gesangsstudium, vor allem bei Elisabeth Dreyschock (1834-1911) in Berlin. 1882/83 Europatournee mit dem wandernden
Richard-Wagner-Theater von Angelo Neumann (1838-1910). Seit 1884 Engagement am Neuen Theater (Opernhaus) des Stadttheaters in Leipzig unter dessen Generalintendanten Max Staegemann (1843-1905). Entwicklung zu einer der bedeutendsten hochdramatischen Sopranistinnen in Deutschland, die durch ihre ausgedehnte Gastspieltätigkeit insbesondere als
Wagnersängerin bekannt wurde. 1890 Wechsel im Engagement zum Stadttheater in Köln. Bedeutende Gastspiele während der Leipziger und Kölner Jahre etwa an der Hofoper in Wien (erstmals im Mai 1886, und zwar als Elisabeth in
Wagners „Tannhäuser“ und als Valentine in Meyerbeers „Die Hugenotten“), bei den Bayreuther Festspielen 1886 (als Brangäne in „Tristan und Isolde“ unter der Regie von Cosima Wagner), bei der
Mozart-Zentenarfeier 1891 in Salzburg (als Gräfin in „Figaros Hochzeit“) sowie am Royal Opera House in Covent Garden in London (erstmals 1892, und zwar in den
Wagner-Rollen als Fricka in „Das Rheingold“ und als Brünnhilde in „Die Walküre“).
Bereits ab 1891 trat G.-A. (damals noch unter ihrem zweiten Ehenamen Ende-Andriessen) häufig als Gast am Ffter Opernhaus auf. Zunächst war sie hauptsächlich als Isolde – und damit in einer ihrer Glanzrollen – für die Neuinszenierung von
Wagners „Tristan und Isolde“ verpflichtet worden, die am 7.3.1891 Premiere hatte. Noch im Sommer 1891 präsentierte sich G.-A. dem Ffter Publikum auch als Brünnhilde in
Wagners „Götterdämmerung“ (17.6.1891). Im Frühjahr und Sommer 1892 gastierte sie in weiteren ihrer besten und beliebtesten Rollen in Ffm.: als Leonore in Beethovens „Fidelio“, in der Titelrolle von Goldmarks „Die Königin von Saba“, als Brünnhilde in
Wagners „Die Walküre“, als Senta in
Wagners „Der fliegende Holländer“, als Santuzza in Mascagnis „Cavalleria rusticana“ und als Brünnhilde in
Wagners „Siegfried“. Nach insgesamt zwölf Gastauftritten 1891 und 17 Gastauftritten 1892 wurde sie von Intendant
Emil Claar fest an die Vereinigten Stadttheater in Ffm. engagiert.
Ab Beginn der Spielzeit 1893/94 bis zum Ende der Spielzeit 1906/07 gehörte G.-A. als Erste dramatische Sängerin dem Ensemble des Ffter Opernhauses an. Außer den bereits genannten Rollen zählten zu ihrem Repertoire, das sie auch in Ffm. bot: Selika in Meyerbeers „Die Afrikanerin”, die Titelrolle in Verdis „Aida”, Frau Fluth in Nicolais „Die lustigen Weiber von Windsor“, die Titelrolle in Bellinis „Norma”, Rachel in Halevys „Die Jüdin“, Irene in
Wagners „Rienzi“ u. a. Sie sang in Ffter Erstaufführungen etwa Fioretta in Leoncavallos „Die Medici” (3.5.1894), die Titelrolle in Glucks „Armida” (Neuinszenierung, 6.12.1894), Milada in Smetanas „Dalibor“ (21.5.1895), Elisabeth in
Liszts „Die Legende von der heiligen Elisabeth“ (31.5.1900), Ascanio in Berlioz’ „Benvenuto Cellini” (20.1.1901), Dalila in Saint-Saëns’ „Samson und Dalila“ (28.9.1902) und die Titelrolle in Glucks „Iphigenie auf Tauris“ (in der Bearbeitung von
Richard Strauss, 12.11.1906). Insbesondere kreierte sie in Ffm. die Rollen der Dämonia in der Uraufführung von
Humperdincks „Dornröschen” (12.11.1902) und der Adelheid von Walldorf in der deutschen Erstaufführung von Goldmarks „Götz von Berlichingen“ (1.2.1903). Von Ffm. aus gab sie weiterhin Gastspiele an Spitzentheatern im In- und Ausland, u. a. in München, Berlin und London. Am 1.11.1907 ging G.-A. in Pension. Die beim Publikum sehr beliebte Künstlerin gastierte aber noch bis 1922 am Ffter Opernhaus. Neben ihrer Bühnentätigkeit hatte G.-A. schon früh einige Schallplatten aufgenommen (für die Labels „Berliner Records“, Ffm., 1900-01, und „G & T“, Ffm., 1904-07). Zudem erteilte sie privaten Gesangsunterricht; ihre wohl bedeutendste Schülerin war die Ffter Sopranistin Elsa Hensel-Schweitzer (1871-1937).
G.-A. wurde wegen ihrer „blühend schönen“, voluminösen und hochdramatischen Sopranstimme, die sich „durch einen in der Höhe selten zu findenden lieblichen Wohllaut“ auszeichnete (zit. nach Carlos Droste und
Albert Richard Mohr), vom Opernpublikum nicht nur in Ffm. gern gehört. In zeitgenössischen Kritiken wurde immer wieder hervorgehoben, dass sich Stimme, Gestalt und Darstellung im Falle dieser Opernsängerin zu einem außergewöhnlich harmonischen und ansprechenden Gesamtbild auf der Bühne fügten. Besonders geschätzt wurde G.-A. in
Wagner-Rollen. Sie selbst bezeichnete die „Verkörperung der Isolde“ als die für sie „bedeutungsvollste und herrlichste Aufgabe“, wie sie kurz nach dem Abschied aus dem Ffter Ensemble schrieb: „Es hat mich stets gereizt, gerade in dieser Rolle mein Bestes zu geben und den hohen Anforderungen
Richard Wagners an das psychische und physische Können der Darstellerin gerecht zu werden. Die Freude am Nachschaffen ließ daher nie eine Ermüdung in mir aufkommen. In der Schlußszene war ich noch so frisch wie beim Beginn der Aufführung, und zwar jedesmal, trotzdem ich die Isolde 86-mal gesungen.“ [Pélagie Greeff-Andriessen in: Bühne u. Welt 10 (1907/08), S. 408.] Als ihre zweithäufigste Rolle nach der Isolde gab sie die Brünnhilde in
Wagners „Walküre“ an.
G.-A. wohnte in einem 1928 erbauten eigenen Haus in der Gagernstraße 15 im Ffter Ostend (ab Adr. 1930). Da sie „keinerlei [ihr] nahestehende Verwandte“ hatte, teilte sie ihren gesamten Nachlass in ihrem Testament vom 13.3.1934 in Vermächtnisse zugunsten einzelner Personen (u. a. ihrer langjährigen Haushälterin an erster Stelle) auf. Zudem bestimmte sie, dass ihr Haus (mit je einer Wohnung im Erdgeschoss und im ersten Stock sowie ausgebautem Dachgeschoss) den Städtischen Bühnen zufallen sollte, „um dort Altpensionären der Städt. Bühnen eine Wohnstätte zu schaffen“. Als Haupterben setzte sie den (wohl befreundeten) Rechtsanwalt und Notar Arthur Rosenmeyer (1878-1962) ein, auch wenn ihr bewusst war, dass „nach der Verteilung der Vermächtnisse so gut wie nichts übrig“ bleiben würde. Sie wollte damit jedoch gewährleisten, dass ihr letzter Wille „wirklich (…) durchgeführt“ würde. (Testament von Pélagie Greeff-Andriessen, Ffm., 13.3.1934. Abschrift in: ISG, MA 9.555, Bl. 11.) Rosenmeyer, der offenbar das besondere Vertrauen von G.-A. genoss, sollte also de facto als Testamentsvollstrecker fungieren. (Vermutlich hatte sich G.-A. für diese Regelung entschieden und Rosenmeyer als Erben eingesetzt, um dem Anwalt ihrer Wahl trotz seiner jüdischen Herkunft die Tätigkeit als Testamentsvollstrecker zu ermöglichen, auch falls es – wie zum Zeitpunkt der Testierung bereits zu erwarten war – weitere Einschränkungen in der Berufsausübung für jüdische Juristen im Zuge der nationalsozialistischen Rassepolitik geben würde.)
Nach dem Tod von G.-A. 1935 wollte die Stadt Ffm. das Vermächtnis zunächst ausschlagen, weil sie angeblich keinen Ertrag aus der Immobilie erwartete (vgl. Gutachten des Bauamts,
Reinhold Niemeyer, Ffm. 25.1.1936, in: ebd., Bl. 16f.) und sich insbesondere nicht an den Willen der Stifterin zur Nutzung des Hauses binden wollte. Der im Sinne von G.-A. als Testamentsvollstrecker auftretende Rechtsanwalt Rosenmeyer hatte aufgrund seiner jüdischen Herkunft keinen leichten Stand in den Verhandlungen mit der NS-linientreuen Stadtverwaltung, die zudem offensichtlich verhindern wollte, dass das übrige von G.-A. hinterlassene Vermögen „in jüdische Hände fallen“ könnte. In einer Besprechung bei der Stiftungsabteilung im städtischen Rechtsamt am 30.1.1936 wurde Rosenmeyer erklärt, „dass das Vermächtnis unter den gegebenen Verhältnissen für die Stadt nur ein Danaergeschenk darstelle“ (ISG, Stiftungsabt. 154, Bl. 21). Unter „moralischen“ Druck gesetzt, ergänzte Rosenmeyer, der sich G.-A. und deren letztem Willen verpflichtet fühlte, das Vermächtnis um eine Zugabe von 6.000 Mark in bar und kam der Stadt auch sonst weitgehend entgegen, indem er sich etwa damit einverstanden erklärte, dass das Haus nicht zwingend direkt an Altpensionäre der Städtischen Bühnen vermietet werden müsste, sondern nur der „Überschuss aus der Hausbewirtschaftung“ den Bühnenpensionären zugutekommen solle. Daraufhin nahm die Stadt Ffm. das Vermächtnis an (11.3.1936), und das Haus Gagernstraße 15 ging rückwirkend zum 1.2.1936 in ihren Besitz über.
Als Rosenmeyer anregte, anlässlich des ersten Todestags von G.-A. 1936 eine Gedenktafel an dem von ihr gestifteten Haus anzubringen, konnte sich die Stadt lediglich zu einer einfachen, kostengünstigen und nicht öffentlich sichtbaren Ausführung entschließen, einer Sperrholzplatte mit gemalter Inschrift im Treppenhaus, die sich im Fall des Hausverkaufs auch leicht wieder hätte entfernen lassen.
Arthur Rosenmeyer und seine Frau Irma, geb. Ehrmann (1888-1974), konnten im Dezember 1938 nach England emigrieren, mit Hilfe von Sir Gerald Chichester (1886-1939), dem Privatsekretär der englischen Königin Mary (1867-1953), der ein enger Freund von G.-A. gewesen war. Chichester hatte schon Hanns Karl (auch: Carl) Rosenmeyer (seit 1946: Hans Charles Romney; 1911-1982), den Sohn des Ehepaars Rosenmeyer, bei und nach der Emigration unterstützt. Hanns Karl Rosenmeyer, der von G.-A. mit einem der Legate in ihrem Testament bedacht worden war, hatte infolge der Einführung des verpflichtenden „Ariernachweises“ für Studierende 1935 sein Jurastudium in Ffm. abbrechen müssen und war von den Eltern nach Schottland geschickt worden, um in Edinburgh sein Studium abzuschließen und dann in Großbritannien zu bleiben.
Einige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, im August 1951, fragte Arthur Rosenmeyer aus London beim Kulturamt der Stadt Ffm. an, was aus dem Haus Gagernstraße 15 geworden sei. Die Stadt erklärte, dass die Liegenschaft am 4.10.1943 bei einem Luftangriff zerstört und 1950 mit Mitteln der Stadt und der Mieter (darunter keine Pensionäre der Städtischen Bühnen) wiederaufgebaut worden sei; „irgendwelche Überschüsse aus dem Haus“ seien daher auf längere Sicht „nicht zu erwarten“. (ISG, Stiftungsabt. 154, Bl. 96f.) Der testamentarische Wille der Stifterin, dass ihr Haus als Wohnstätte für (bedürftige) „Altpensionäre“ der Städtischen Bühnen dienen sollte, wurde somit nie erfüllt. Da die Stadt nach eigenen Angaben bis weit in die 1950er Jahre keine Erträge aus dem Haus erzielte, dürften auch solange ersatzweise keine entsprechenden Zahlungen an bedürftige Bühnenpensionärinnen und -pensionäre geflossen sein. Später geriet das Vermächtnis von G.-A. wahrscheinlich in Vergessenheit.
Ein Erinnerungsalbum mit Dokumenten und Fotografien zur Bühnenkarriere von G.-A. befindet sich in der Sammlung Musik und Theater der UB Ffm. (Sign. Mus S 44/1).
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Frankfurter Biographie 1 (1994), S. 277,
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