Sohn des Politikers, Diplomaten und Publizisten
Hans Christoph Friedrich Carl Ernst Freiherr von G. (1766-1852) und dessen Ehefrau Franziska Karoline Josefa, gen.
Charlotte, geb. Freiin von Gaugreben (1776-1851). Der Vater, der aus dem süddeutschen Zweig des rügenschen Adelsgeschlechts von G. stammte, stand seit 1787 in Diensten des Fürstentums Nassau-Weilburg, seit 1788 als leitender Minister und oberster Gerichtspräsident. Während der Vater reformierter Konfession war, war die Mutter, Tochter des Kurpfälzischen Hofkammerrats Friedrich Christian Adolph Freiherr von Gaugreben (1738-1783) in Düsseldorf und dessen Ehefrau Maria Balduina, geb. Freiin von Scharffenstein gen. Pfeil, katholisch. Heinrich von G. hatte drei Schwestern und sechs Brüder, u. a.
Friedrich Balduin Freiherr von G. (1794-1848), General, u. a. in österreichischen und in niederländischen Diensten, und Maximilian Joseph Ludwig, gen.
Max, Freiherr von G. (1810-1889), Historiker, Politiker und Diplomat.
Verheiratet in erster Ehe (seit 1828) mit Luise von G., geb. von Pretlack (1805-1831), Tochter des Oberforstmeisters Karl Friedrich Ludwig von Pretlack, in zweiter Ehe (seit 1839) mit Barbara, gen. Babette, von G., geb. Tillmann (1818-1889). Sieben Kinder aus zweiter Ehe, u. a.
Friedrich Balduin Freiherr von G. (1842-1910), Offizier, Mitglied des Deutschen Reichstags (1881-93), und
Maximilian Ludwig Freiherr von G. (1844-1911), Provinzialdirektor der Provinz Oberhessen (seit 1888), dann der Provinz Rheinhessen (seit 1898) sowie seit 1908 Großherzoglich Hessischer außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister am Königlich Preußischen Hof.
G. wurde 1799 im Neuen Schloss des Fürstentums Bayreuth geboren. Die Familie war mit dem Hofstaat des Fürsten Friedrich Wilhelm von Nassau-Weilburg (1768-1816) vor französischen Truppen dorthin geflohen. G. wurde – wie seine Brüder – reformiert getauft, während die drei Schwestern nach der Mutter katholisch waren. Ein Jahr später konnte die Familie von G. mit dem Hof nach Weilburg zurückkehren, wo sie zunächst im Schloss und dann in der Stadt wohnte. Dort ging G. von 1808 bis 1812 auf das Gymnasium, bevor er nach dem Austritt des Vaters aus dem nassauischen Dienst die Kadettenschule in München besuchte (1812-14). Zurück in Weilburg, schloss er sich 1814/15 freiwillig einem nassauischen Kontingent der Verbündeten gegen Kaiser
Napoleon I. an. Er wurde in der Schlacht bei Waterloo leicht verwundet und konnte am Einzug in Paris teilnehmen. Die Erlebnisse waren für G. zwar prägend, wurden aber später von seinen Biographen oft heroisierend wiedergegeben.
Nach den Kriegen gegen Frankreich diente G. von 1815 bis 1820 als Unterleutnant in einem nassauischen Infanterieregiment, war jedoch ab 1816 für das Studium der Rechtswissenschaften und der Philosophie an den Universitäten Heidelberg, Göttingen, Jena und Genf beurlaubt. In diesen Jahren engagierte er sich in Burschenschaften, war Mitbegründer der „Teutonia“ in Heidelberg und fand so Anschluss an die deutsche Einheitsbewegung, wobei er mit seinen Ideen insbesondere bei der Jenaer Urburschenschaft Zuspruch erhielt. Im Jahr 1820 bestand er die juristischen Prüfungen in Gießen und Darmstadt, und mit Hilfe des Vaters gelang ihm der Eintritt in die großherzoglich-hessische Verwaltung, zunächst 1820 als Sekretariatsakzessist am Hofgericht in Darmstadt und dann von 1821 bis 1823 als Akzessist und Assessor am Landgericht in Lorsch. Er setzte den Austausch mit einigen Burschenschaftern fort und festigte sein liberales Gedankengut. 1823/24 wirkte G. als Assessor beim Geheimen Sekretariat des Ministeriums des Innern und der Justiz in Darmstadt und war damit Adjutant des Staatsministers bzw. ab 1823 Präsidenten des Staatrats Karl Ludwig von Grolman (1775-1829), bis er eine Tätigkeit als Assessor cum voto bei der Regierung der Provinz Starkenburg in Darmstadt aufnahm. Von 1829 bis 1832 hatte er eine Stelle als Regierungsrat bei der Regierung der Provinz Starkenburg in Darmstadt inne; zudem wurde er 1830 Kammerherr und 1832 Regierungsrat im Ministerium des Inneren und der Justiz (Visitationsbeamter für die Kreisräte) in Darmstadt.
Seit 1832 war G. Mitglied der Zweiten Kammer im Landtag des Großherzogtums Hessen, anfangs (1832-34) für den Wahlbezirk Starkenburg 6 (Lorsch), dann (1835/36) für Oberhessen 11 (Hungen). Als er das Mandat 1832 erhielt, schloss er sich umgehend der liberalen Opposition an. Als Berichterstatter des zentralen Finanzausschusses trat er für ein konstitutionelles Staatsverständnis und gegen die als repressiv empfundene Politik Metternichs ein. In der Kammer fiel er auch als begabter Redner auf. Wegen Konflikten mit Vorgesetzten aufgrund seiner liberalen Haltung musste er 1833 aus dem Staatsdienst austreten. Nach seiner Entlassung lebte er als Gutsbesitzer in Auerbach, dann 1835/36 als Pächter und von 1836 bis 1852 als Besitzer des Guts Monsheim in Rheinhessen. Vorübergehend zog er sich aus der Politik zurück. Seine Kontakte zu anderen Liberalen in Süd- und Westdeutschland pflegte er jedoch weiter, und bald trat er auch wieder politisch in Erscheinung. Zunächst wurde er 1842 Geschworener bei den Mainzer Assisen und 1845 Präsident des „Landwirtschaftlichen Vereins für die Provinz Rheinhessen“.
Seit 1847 gehörte G. erneut der Zweiten Kammer des Landtags im Großherzogtum Hessen an, zunächst für Stadt Worms, später (1847/48) wieder für Starkenburg 6 (Lorsch). Bald wurde er in der Zweiten Kammer zum Sprecher der Liberalen. Als Teilnehmer der Heppenheimer Tagung von 18 führenden süd- und westdeutschen liberalen Politikern am 10.10.1847 in Heppenheim an der Bergstraße unterschrieb G. die Forderungen nach Handels- und Pressefreiheit sowie einem gesamtdeutschen Parlament und einer nationalen Regierung, die am 15.10.1847 in der Deutschen Zeitung veröffentlicht wurden. Nach dem Ausbruch der Februarrevolution in Paris erneuerte G. diese Forderungen in einer Rede in der Zweiten Kammer am 28.2.1848. Auf der Heidelberger Versammlung am 5.3.1848 wurde er in den „Siebenerausschuss“ gewählt, der ein Vorparlament als Zwischenschritt zur Nationalversammlung vorbereiten sollte. Am selben Tag setzte Großherzog Ludwig II. von Hessen und bei Rhein (1777-1848) seinen Sohn Ludwig (1806-1877) als Mitregenten ein. Letzterer wiederum ernannte noch am Abend G. zum leitenden Minister. Damit war er einer der „Märzminister“ in Deutschland. In dieser Funktion beließ er aus pragmatischen Gründen viele für ihn taugliche Beamte im Amt, was ihm Kritik aus den liberalen Reihen einbrachte.
Es folgte die Mitarbeit im „Siebenerausschuss“ am 12.3.1848 in Heidelberg. Vom 31.3. bis zum 3.4.1848 nahm G. am Vorparlament in der Ffter Paulskirche teil. Hier bot sich für ihn die Möglichkeit, sich als Führungsfigur der gemäßigten Liberalen zu präsentieren und einen bedeutenden Bekanntheitsgrad zu erzielen. Bei den folgenden Wahlen für die Nationalversammlung kandidierte er erfolgreich für den Wahlkreis Zwingenberg. Sein Bruder Friedrich von G. kam währenddessen als Kommandierender eines badischen Operationskorps gegen den Heckeraufstand zu Tode (20.4.1848).
Bei Eröffnung der Deutschen Nationalversammlung am 18.5.1848 in Ffm. wurde G. aus liberalen Kreisen angetragen, sich für die Wahl zum Präsidenten aufstellen zu lassen. Am Tag darauf wurde er mit 305 von 397 Stimmen zum Präsidenten der Nationalversammlung gewählt, womit ihm die Aufgabe zukam, die Parlamentssitzungen in der Paulskirche zu leiten; bei der monatlich anstehenden Neuwahl des Präsidenten wurde G. siebenmal hintereinander (bis zu seinem Wechsel in die Regierung) im Amt bestätigt. Seinen Ministerposten im Großherzogtum Hessen gab er, wenn auch ungern, am 31.5.1848 aus logistischen Gründen auf. Politisch trat G. in der Casino-Fraktion („Erbkaiserliche“) und später in der Gruppe „Weidenbusch“ in Erscheinung: Sein Ziel war ein gesamtdeutscher Bundesstaat mit einer konstitutionellen Monarchie. Eine entscheidende Bedeutung kam ihm Ende Juni zu, als es ihm gelang, die Nationalversammlung zu bewegen, durch einen „kühnen Griff“ – wie er es nannte – ein Reichsgesetz über die Einführung einer Provisorischen Zentralgewalt für Deutschland zu verabschieden (28.6.1848). An der Spitze dieses vorläufigen Gebildes sollte ein der Nationalversammlung unverantwortlicher Reichsverweser stehen. Auch mit seinem Vorschlag für die Besetzung dieses Amtes konnte er die Nationalversammlung überzeugen.
Erzherzog Johann von Österreich, ein Bekannter des Vaters Hans Christoph von G. seit den Napoleonischen Kriegen, wurde am 29.6.1848 zum Reichsverweser gewählt, nach G.s Worten „nicht weil, sondern obgleich er ein Fürst“ sei.
Anlässlich der Septemberunruhen 1848 bewies G. außerordentliche Resistenz gegenüber den Aufständischen vor der Paulskirche. Allgemein stockten die Verfassungsberatungen. Die Verhandlungen mit König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen (1795-1861), für die G. nach Berlin reiste, brachten nicht die gewünschten Ergebnisse. Zudem führte die Haltung Österreichs in entscheidenden Verfassungsbeschlüssen am 15.12.1848 zum Rücktritt von
Anton von Schmerling als Leiter des Gesamtreichsministeriums. Als Konsequenz gab G. sein Amt als Parlamentspräsident ab und ließ sich vom Reichsverweser zum Nachfolger in den Ämtern als Reichsministerpräsident sowie als Reichsminister des Innern und der auswärtigen Angelegenheiten ernennen. Umgehend (18.12.1848) präsentierte er in der Nationalversammlung sein Programm für die zukünftige Gestalt Deutschlands: den Plan eines engeren Bundes unter preußischer Führung, der einen weiteren (erweiterten) lockeren Bund mit Österreich eingehen sollte. Daraufhin verließen zahlreiche großdeutsch eingestellte Abgeordnete die Casino-Fraktion, und G. verlor seine Mehrheit zunächst, konnte aber trotzdem maßgeblich die Verabschiedung der Verfassung und die Wahl des preußischen Königs zum Kaiser der Deutschen 1849 durchsetzen. Er gehörte auch der Delegation an, die Friedrich Wilhelm IV. in Berlin die Wahl antrug. Nach dessen Ablehnung versuchte er mehrmals erfolglos, den König umzustimmen. Schließlich wollte G. den Reichsverweser zum Rücktritt bewegen und die Zentralgewalt an Preußen übertragen, um Berlin doch noch in den Einigungsprozess zu integrieren. Das ohnehin angespannte Verhältnis zu
Erzherzog Johann, der im Interesse Österreichs im Amt verblieb, wurde dadurch weiter belastet. G. gab darauf am 10.5.1849 das Reichsministerpräsidentenamt und am 16.5.1849 auch seine anderen Ministerfunktionen auf. Dem Austritt der Casino-Fraktion aus der Nationalversammlung stimmte er kurz darauf vom Krankenbett aus zu, wodurch er am 20.5.1849 selbst ausschied.
Den Plan einer deutschen Einigung hatte G. trotzdem nicht aufgegeben. So nahm er im Juni 1849 an der auch „Nachparlament“ genannten Gothaer Versammlung teil, einer privaten Zusammenkunft von Vertretern der liberalen erbkaiserlichen Richtung. Die „Abschließende Erklärung“ entsprach G.s Programm von einem engen und einem weiteren Bund Deutschlands. 1849/50 gehörte er für den Wahlbezirk Rheinhessen 10 (Worms) erneut der Zweiten Kammer des hessischen Landtags an. Auch in das Volkshaus des Erfurter Unionsparlaments, das vom 20.3. bis zum 29.4.1850 als Folge der preußischen Unionspolitik zusammentrat, wurde er gewählt (Wahlbezirk 7: Heppenheim). Nach den Krisen mit Österreich im Herbst 1850 nahm Preußen jedoch von seinen Plänen Abstand, so dass das Unionsparlament obsolet wurde. G. reiste nach Berlin, um sich die Gründe der preußischen Politik zu vergegenwärtigen, und traf dort mit Ministerpräsident Otto von Manteuffel (1805-1882) wie auch mit
Otto von Bismarck zusammen.
1850/51 wirkte G. als Major im Generalstab der schleswig-holsteinischen Armee. Er vermittelte zwischen der Armee und der noch von der Provisorischen Zentralgewalt eingesetzten Statthalterschaft von Schleswig-Holstein. Nach der Aufgabe der Statthalterschaft zugunsten von Bundeskommissaren bat G. um seinen Abschied und zog sich ins Private zurück. Mit großem Interesse verfolgte er den Krimkrieg und die Einigung Italiens, die ihm neuen Auftrieb für die Chance einer deutschen Einigung gaben. Für ihn schien nun eine gemeinsame Führung Österreichs und Preußens für Deutschland mit einem starken Parlament sinnvoll, was er auf dem Deutschen Abgeordnetentag in Weimar 1862 auch artikulierte. Von 1862 bis 1864 war er Mitglied im Ausschuss des großdeutsch eingestellten Deutschen Reformvereins, aus dem er austrat, als er hessen-darmstädtischer Gesandter in Wien wurde. Diese Funktion übte er bis zu seinem Ruhestand 1872 aus. Zudem gehörte er von 1866 bis 1872 wieder der Zweiten Kammer im Landtag des Großherzogtums Hessen an, diesmal für den Wahlbezirk Oberhessen 10 (Nidda).
Auch wenn G. die großdeutsche Lösung insgeheim favorisierte, war er gegenüber der kleindeutschen Reichsgründung durch
Bismarck im Auftrag von
Wilhelm I. (1797-1888) offen eingestellt. Er sah darin die Erfüllung zahlreicher seiner schon im Vormärz gehegten Hoffnungen. 1879 registrierte er noch, bereits in erkranktem Zustand, den von
Bismarck mit Österreich geschlossenen Zweibund, den er ausdrücklich befürwortete, da er hier Ansätze seiner Idee des erweiterten Bundes zu erkennen glaubte.
Porträtfotografie (Daguerreotypie von
Jacob Seib, 1848) im HMF.
Während seines Aufenthalts 1848/49 wechselte G. mehrfach die Wohnung in Ffm. Seine Adressen waren: Hochstraße 53, Große Bockenheimer Gasse 29, Taunusanlage 15 und schließlich Am Salzhaus 4. Er verkehrte regelmäßig im politischen Salon von
Clotilde Koch-Gontard.
An der Paulskirche erinnert eine bronzene Gedenktafel (von Edwin Hüller, gestiftet von den Deutschen Burschenschaften zum 40-jährigen Bestehen des Grundgesetzes, 1989) an den ersten Präsidenten der Nationalversammlung.
Nachlass, früher in der Außenstelle Ffm. des Bundesarchivs, nach deren Auflösung 2000 im Hessischen Staatsarchiv in Darmstadt.
In der bundesdeutschen Erinnerungskultur wird G. als Vorkämpfer für ein geeintes Deutschland und Verfechter der Grundrechte für die Verfassung gesehen. Exemplarisch sei hier der Festakt „150 Jahre Revolution von 1848/49“ am 18.5.1998 in der Paulskirche unter Anwesenheit von Bundespräsident Roman Herzog (CDU), Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU), Hessens Ministerpräsident Hans Eichel (SPD) und Fft.s Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU) genannt. Über dem Rednerpult stand groß ein Zitat von G. aus seiner Rede, die er bei der Übernahme seiner Präsidentschaft am 19.5.1848 im Ffter Parlament gehalten hatte: „Wir haben die größte Aufgabe zu erfüllen. Wir sollen schaffen eine Verfassung für Deutschland, für das gesammte Reich. Der Beruf und die Vollmacht zu dieser Schaffung, sie liegen in der Souveränität der Nation. … Deutschland will Eins sein, ein Reich, regiert vom Willen des Volkes, unter der Mitwirkung aller seiner Gliederungen.“
G.straße im Ostend und (im weiteren Verlauf) in Bornheim. Heinrich-von-G.-Gymnasium am Zoo. Die 1888 gegründete Schule, eröffnet als Kaiser-Friedrichs-Gymnasium, hieß nach 1945 zunächst „Staatliches Gymnasium Ffm.“ und wurde anlässlich des 100. Jahrestags der Eröffnung der Ffter Nationalversammlung 1948 nach G. benannt.
G.denkmal (Entwurf: Stefan Schauer, Ausführung: Schülerinnen und Schüler der Skulptur-AG des Heinrich-von-G.-Gymnasiums unter der Leitung von Moni Jahn, 1998) auf dem Schulhof des Heinrich-von-G.-Gymnasiums.
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Frankfurter Biographie 1 (1994), S. 237f.,
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