Sohn des Verwaltungsinspektors Ludwig U. (1896-1951) und dessen Frau Maria Magdalena, geb. Kögel (1897-?). Ein Bruder: Walter U. (* 1928). Verheiratet in erster Ehe (1951-89) mit Hildegard U., geb. Schmid (1922-1995), in zweiter Ehe (seit 1990) mit der Schriftstellerin Ulla Berkéwicz (eigentl.: Schmidt; * 1949). Sohn aus erster Ehe: Joachim U., Verleger (* 1953); eine außereheliche Tochter aus einer Beziehung mit der Journalistin Corinne Pulver (1927-2023): Ninon Pulver, Rechtsanwältin (* 1959).
Nach Notabitur (1942) und Kriegsdienst in der Marine legte U. 1946 in seiner Heimatstadt Ulm das reguläre Abitur ab. Anschließend absolvierte er eine Buchhandelsgehilfenlehre im Aegis Verlag Ulm und studierte danach in Tübingen Germanistik, Philosophie und Bibliothekswissenschaft. 1951 promovierte er mit einer Dissertation über
Hermann Hesse. Über
Hesse kam U. mit dem Ffter Verleger
Peter Suhrkamp in Kontakt, der 1950 aus dem S. Fischer Verlag ausgeschieden war und in Ffm. einen eigenen Verlag gegründet hatte.
Suhrkamp konnte 33 ehemalige S.-Fischer-Autoren für seinen neuen Verlag gewinnen und legte damit den Grundstein für einen der angesehensten literarischen Verlage der jungen Bundesrepublik. U., nun Buchhändler in Heidenheim/Brenz, trat 1952 in den Suhrkamp Verlag zunächst als Werbefachmann ein. Kurze Zeit später wurde er prägender Lektor des Verlagsprogramms. 1958 stieg er als Mitgesellschafter in die Suhrkamp Verlag KG ein.
Nach
Peter Suhrkamps Tod 1959 übernahm U. das Unternehmen, das er als hochangesehenen Literaturverlag mit renommiertem internationalem Autorenstamm weiterführte. Er setzte die 1951 gestartete Reihe „Bibliothek Suhrkamp“ fort und war wie
Suhrkamp bestrebt, stets das Gesamtœuvre eines zeitgenössischen Schriftstellers in seinem Verlag zu publizieren, z. B. von
Hermann Hesse und Bertolt Brecht, die beide zu tragenden Autoren für den Verlag – auch in ökonomischer Hinsicht – wurden. U. verlegte jedoch auch Werke und Autoren, die erst (wieder) entdeckt werden mussten, wie z. B.
Walter Benjamin und Wolfgang Koeppen. Durch die Edition von Gesamtausgaben wurde diesen Autoren neue Aufmerksamkeit zuteil. Ein zentrales Anliegen U.s war die konsequente Förderung junger Autoren, wie z. B. von Uwe Johnson. Die regelmäßige Anwesenheit des Verlegers auf den Tagungen der Gruppe 47, die im In- und Ausland hohe Beachtung fanden, führte zu neuen Autorenkontakten, u. a. zu Peter Handke, die in der Folge das literarische Programm weiter profilierten.
Eine von U. durchgesetzte Neuerung im Verlag war die Einführung einer Taschenbuch-Reihe, was
Peter Suhrkamp rigoros abgelehnt hatte. Die „edition suhrkamp“ erscheint seit 1963. Im selben Jahr kaufte U. den traditionsreichen Insel Verlag mit der Reihe „Insel-Bücherei“ und klassischen Werken, dem er 1981 den Deutschen Klassiker Verlag als Tochterunternehmen anschloss. Der „edition suhrkamp“ folgten weitere Taschenbuchreihen: 1972 „suhrkamp taschenbuch“ und „das schöne insel-buch“ sowie 1973 „suhrkamp taschenbuch wissenschaft“. Die „edition suhrkamp“ wurde berühmt mit literarischen Originalausgaben und für die Studentenbewegung der 1960er Jahre kanonischen theoretischen Texten, z. B. von
Ernst Bloch oder der kritischen Theorie (
Theodor W. Adorno,
Herbert Marcuse, Jürgen Habermas u. a.). Die Taschenbuchreihe regte den linkskritischen Diskurs an und unterstützte ihn. Neben seinem literarischen Rang stieg der Suhrkamp Verlag unter U. mit den Autoren der „Ffter Schule“ auch zu einem der führenden Linksintellektuellen-Verlage der 1960er und 1970er Jahre auf. Die Soziologie wurde ein wichtiger Verlagszweig, und nicht nur Soziologen der Ffter Universität publizierten unter U., sondern der Verlag wurde später auch zum Publikationsort diskursbestimmender Werke, etwa von Pierre Bourdieu und Niklas Luhmann. Flankiert wurden die soziologischen Werke von weiteren wissenschaftlichen Standardwerken, u. a. von dem Literaturwissenschaftler Hans Robert Jauß.
Weit über Ffm. hinaus bekannt wurde der „Kritikerempfang“, der ab 1959 an jedem Buchmessen-Mittwoch in Ffm. stattfand. Dazu lud U. alljährlich Schriftsteller und Kritiker in sein Privathaus in der Klettenbergstraße ein und schuf mit kurzen Lesungen von Autoren eine Art informelle literarische Institution. Das Wohnhaus U.s entwickelte eine besondere Strahlkraft über die Rhein-Main-Region hinaus; es wurde zum örtlichen wie geistigen Treffpunkt von Suhrkamp-Autoren bei verschiedenen gesellschaftlichen Anlässen wie auch politischen, literarischen und kulturellen Diskussionen. Hier wurde U. 2002, wenige Wochen vor seinem Tod, auch die Ehrenbürgerwürde der Stadt Ffm. verliehen.
Die turbulenten, durch massive studentische Proteste begleiteten Ffter Buchmessen der Jahre 1967 bis 1969 waren auch für U. von Bedeutung. Er gehörte seit 1965 dem Aufsichtsrat der Messe- und Ausstellungs-GmbH an und war in dieser Rolle in die Vorgänge während der Buchmesse 1968 involviert. Der Polizeieinsatz gegen die Studentenproteste, die sich insbesondere gegen die Verleihung des Friedenspreises an den senegalesischen Präsidenten und Schriftsteller Léopold Sédar Senghor richteten, wurde zum Auslöser eines Konflikts im Suhrkamp Verlag, weil die Lektoren des Verlags U. vorwarfen, nicht entschieden genug Stellung gegen den Polizeieinsatz und für die Protestierenden bezogen zu haben. In der Folge der Messe wurde U. von den Lektoren stark kritisiert. Er habe sich aufgrund seiner Aufsichtsratmitgliedschaft nicht an den Protestaktionen beteiligt und damit die inhaltliche Ausrichtung des Verlagsprogramms verraten. In den anschließenden Auseinandersetzungen zwischen U. und den Verlagslektoren 1968 wurde von den Mitarbeitern eine „Lektoratsversammlung“ als alleinige Entscheidungsinstanz über sämtliche verlegerischen Entscheidungen gefordert. U. lehnte dies ab und wurde von wichtigen Hausautoren dabei unterstützt. Aus diesem „Lektorenaufstand“ resultierte der „Verlag der Autoren“ in Ffm., den
Walter Boehlich, Karlheinz Braun, Klaus Reichert, Peter Urban und Urs Widmer gründeten, nachdem sie Suhrkamp verlassen hatten.
Die Intellektuellengeschichte und die Literaturgeschichte der Bundesrepublik sind eng verknüpft mit dem Suhrkamp Verlag. U. blieb der maßgebliche Verleger. Internationale Preise und Auszeichnungen der literarischen und der wissenschaftlichen Autoren sowie das herausragende Engagement des Verlegers für seine Autoren und die deutsche Literatur veranlassten den Literaturwissenschaftler George Steiner, von einer spezifischen „Suhrkamp-Kultur“ zu sprechen, die bis heute mit dem Verlag assoziiert wird und die in erster Linie auf die verlegerische Umsicht U.s zurückzuführen ist.
Mitbegründer (1989) und Administrator der Ffter Bürgerstiftung im Holzhausenschlösschen.
Veröffentlichungen (in Auswahl): „Das Werk von
Hermann Hesse“ (1952, erw. Fassung u. d. T. „
Hermann Hesse, eine Werkgeschichte“, 1973, revidierte u. erw. Fassung u. d. T. „
Hermann Hesse, Werk- und Wirkungsgeschichte“, 1985), „
Peter Suhrkamp. Zur Biographie eines Verlegers“ (1975, Neuausgaben 1991 und 2004), „Der Marienbader Korb“ (1976), „Der Autor und sein Verleger“ (1978, 4. Aufl. 1985), „Kleine Geschichte der Bibliothek Suhrkamp“ (Aufsatz, 1989) und „
Goethe und seine Verleger“ (1991, 3. Aufl. 1998).
Herausgeber der „Briefe an die Autoren“ von
Peter Suhrkamp („zum Gedächtnis seines 70. Geburtstages am 28. März 1961“, 3. Aufl. 1964).
Zahlreiche Auszeichnungen, u. a. Hermann-Hesse-Medaille (1967), Goetheplakette der Stadt Ffm. (1977), Wilhelm-Leuschner-Medaille des Landes Hessen (1981), Ehrendoktorwürde der Ffter Universität (1985), Hessischer Verdienstorden (1990), Großes Bundesverdienstkreuz mit Stern (1993), Hessischer Kulturpreis (1999) und Ehrenbürgerwürde der Stadt Ffm. (2002).
Festschriften zum 60. Geburtstag („Der Verleger und seine Autoren“, 1984), zum 70. Geburtstag („Der Verleger und seine Autoren“, 1994) und zum 75. Geburtstag („Verleger als Beruf“, 1999).
Porträtiert von Andy Warhol (Siebdruck, 1984; in Privatbesitz) und von dem Ffter Maler Frank Grüttner (Aquarell, 1991; in Privatbesitz).
Der Suhrkamp Verlag hatte seinen Sitz in der Lindenstraße 29-35 im Ffter Westend. Privat bewohnte der Verleger die „Villa Unseld“ in der Klettenbergstraße 35 im westlichen Nordend.
Ehrengrabstätte auf dem Ffter Hauptfriedhof (Gewann II 203).
2010 zog der Suhrkamp Verlag unter der Leitung der Witwe U.s, Ulla Berkéwicz, nach Berlin.
Der Sohn Joachim U. war zunächst (seit 1983) Gesellschafter und Geschäftsführer der Verlage Suhrkamp, Insel und Nomos, bis er nach Kontroversen mit seinem Vater 1991 aus dem Unternehmen ausschied. Seit 1994 leitet er die Ffter Verlagsanstalt (FVA).
Das Verlagsarchiv des Suhrkamp Verlags („Suhrkamp Archiv“) wurde nach U.s Tod zunächst (2002/03) an die Universität Ffm. zur Katalogisierung und wissenschaftlichen Auswertung gegeben, dann jedoch angesichts des bevorstehenden Umzug des Suhrkamp Verlags nach Berlin an das Deutsche Literaturarchiv in Marbach am Neckar verkauft und im Dezember 2009 dorthin gebracht. Es wird dort unter dem neuen Namen „Siegfried Unseld Archiv“ geführt.
Ausgaben des Briefwechsels von U. mit Uwe Johnson (hg. v. Eberhard Fahlke und Raimund Fellinger, 1999),
Theodor W. Adorno (Briefwechsel von
Adorno mit seinen Ffter Verlegern
Peter Suhrkamp und Siegfried U., hg. v. Wolfgang Schopf, 2003), Wolfgang Koeppen (hg. v. Alfred Estermann und Wolfgang Schopf, 2006), Thomas Bernhard (hg. v. Raimund Fellinger, 2009), Peter Handke (hg. v. Raimund Fellinger und Katharina Pektor, 2012), Wolfgang Hildesheimer und Karlheinz Braun (hg. v. Stephan Braese, Olga Blank und Thomas Wild, 2017) sowie der „Briefe an die Autoren“ (2004).
Zum 100. Geburtstag 2024 Ausstellung „Siegfried Unseld, der Verleger. Ein Porträt in Briefen“ im Deutschen Literaturarchiv in Marbach (ab 14.7.2024) und anschließend bei der Ffter Bürgerstiftung im Holzhausenschlösschen in Ffm. (ab 26.9.2024).
Die Siegfried-U.-Stiftung zur „Förderung von Wissenschaft und Kunst in allen Bereichen literarischen Schaffens“, gegründet 2002 mit Sitz in Ffm., vergab von 2004 bis 2012 alle zwei Jahre den „Siegfried Unseld Preis für Literatur und Wissenschaft“. Zudem besteht die ebenfalls 2002 errichtete „Siegfried und Ulla Unseld Familienstiftung“ mit Sitz in Ffm.
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