Cahn (auch: Cahn-Schwarzadler), Amalie Leontine, gen. Ruth. Künstlerin. Diese Angaben konnten anhand von Dokumenten zweifelsfrei bestätigt werden.* 7.12.1875 Ffm., Diese Angaben konnten anhand von Dokumenten zweifelsfrei bestätigt werden.† 20.5.1966 Ffm.
Unter ihrem Künstlernamen Ruth Cahn galt die Malerin als aufstrebende Vertreterin des Fauvismus; mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten endete ihre Karriere abrupt, und ihr Werk geriet in Vergessenheit. Den Holocaust überlebte C. im Exil. Wohl Ende der 1950er Jahre kehrte sie im hohen Alter nach Ffm. zurück.
Tochter des in Mainz-Kastel geborenen Kaufmanns und späteren Bankiers Heinrich C. (1835-1915) und dessen aus alteingesessener jüdischer Ffter Familie stammender Ehefrau Leondine (auch: Leontine), geb. Schwarzadler (1846-1923), die 1872 in Ffm. geheiratet hatten. Geschwister:
Siegmund Heinrich C. (1873-1890),
Robert Zacharias C. (1878-1948) und
Arthur Isaak C. (1883-1952). Der Vater Heinrich C. leitete das von ihm 1873 gegründete Bankhaus und war Fachberater der Handelskammer für den Bereich Grundstücke und Hypotheken. Die wohlhabende Familie C. lebte 1873 in der Uhlandstraße 24, 1875 in der Uhlandstraße 58 (wo C. geboren wurde), 1883 in der Elkenbachstraße 7, 1910 in der Bürgerstraße (heute: Wilhelm-Leuschner-Straße) 16 und nach dem Tod des Vaters 1915 in der Myliusstraße 58. Die beiden jüngeren Brüder etablierten sich früh als Kaufleute. Robert C. ging nach Paris und lebte bei seiner 1925 in Ffm. beurkundeten Hochzeit mit Emma Maria Eleonora Parpart (1897-?) bereits in Barcelona. Arthur C. war ein Ffter Fußballpionier und von 1908 bis 1911 Vorsitzender der „Ffter Kickers“, damit maßgebend beteiligt an der Fusion mit der „Ffter FC Victoria von 1899“, woraus später die „Turn- und Sportgemeinde Eintracht Fft.“ hervorging, deren Ehrenmitglied er 1925 wurde. Zudem war Arthur C. Mitglied des Freien Deutschen Hochstifts. Das väterliche Bank- und Kommissionsgeschäft „Heinrich Cahn & Co.“ war unter der Anschrift Taunusstraße 7 noch bis 1938 im Ffter Adressbuch verzeichnet.
C. ging zum Studium der Malerei zunächst nach München, das damals als Kunststadt und Zentrum der Frauenbewegung galt. Ab Oktober 1906 war sie – noch unter dem Namen Amalie C. – Mitglied der dortigen Damen-Akademie des Künstlerinnen-Vereins. Die Damen-Akademie war zu jener Zeit, als Frauen an den meisten Kunstakademien nicht zum Studium zugelassen waren, ein Anziehungspunkt für zahlreiche junge Frauen aus dem In- und Ausland, die sich künstlerisch ausbilden lassen wollten. C.s Studienjahre an der Damen-Akademie sind von 1906/07 bis 1911/12 belegt. Ihr Lehrer dort war der Maler Max Feldbauer (1869-1948), bei dem sie sich erste Grundlagen aneignete; nachgewiesen ist etwa der Besuch in dessen Aktklasse im Sommersemester 1910.
Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs hielt sich C. außer in Ffm. vor allem in Spanien. In den frühen 1920er Jahren kam C. nach Paris, wo bereits ihr Bruder Robert C. als Kaufmann lebte. Sie wohnte in der zentral gelegenen Rue Corneille und in einem Stadtpalais in der Rue Saint Jacques, wovon ihr „Selbstbildnis“ zeugt, das sie rückseitig mit der Adresse („151, Rue S. Jacques“) bezeichnete (undatiert; Verbleib unbekannt). Sie verkehrte in den Kreisen von Pablo Picasso (1881-1973) und Henri Matisse (1869-1954), mit denen sie persönlich bekannt gewesen sein soll, und in diesem Umfeld setzte sie ihre – sicherlich private – künstlerische Ausbildung fort: bei dem französischen Maler Othon Friesz (1879-1949) und vor allem bei dem niederländischen Maler Kees van Dongen (1877-1968), der zu dem fauvistischen Kreis um Picasso, Matisse und Braque zählte, zeitgleich aber auch mit den deutschen Expressionisten der Künstlergemeinschaft „Brücke“ ausstellte. Vor allem die Porträts des damals schon ziemlich bekannten Avantgardisten mit der Tendenz zur Provokation zeigen in ihrer ausdrucksvollen Farbigkeit den großen Einfluss auf die Werke seiner Schülerin.
C. entwickelte ihre expressionistische Malerei ganz aus der Farbe heraus, mit der sie Kontraste und Akzente setzte. Sie schuf überwiegend Damenporträts in strahlenden, kräftigen Farben, aber auch Stillleben und Ffter Stadtansichten, die etwa das Palmenhaus im Palmengarten (Gouache, 1924; im Besitz des HMF), den Bethmannweiher (Aquarell, vor 1929; im Besitz der Städtischen Kunstsammlung beim Kulturamt Ffm.) und das Trainingsgelände der Ffter Eintracht am Riederwald (Aquarell, 1920er Jahre; in Privatbesitz) in einem Mix aus fauvistischer und kubistischer Formensprache zeigen. Bemerkenswert sind ihr reduziertes, kraftvolles Selbstporträt (undatiert) und die in fauvistischer Manier stark übersteigerte Studie der „Frau im lila Kleid“ mit den schwarz umrandeten, unterschiedlich gestalteten Augen (ca. 1920er Jahre; in Privatbesitz).
Im Dezember 1919 nahm C. erstmals an einer Ausstellung teil, im Graphischen Kabinett der Kunsthandlung von Heinrich Trittler am Ffter Goetheplatz, wo sie Aquarelle zeigte. Im Januar 1921 erschien ein anerkennender Artikel über C.s Werke in der Wochenschrift „Kunstchronik und Kunstmarkt“. In der Gruppenausstellung des Ffter Künstlerbunds im Kunstverein, die einen Überblick über die wichtigsten Kunstschaffenden der Stadt bieten wollte, waren neben C.s Werken auch die der jüdischen Künstler
Jakob Nussbaum,
Hermann Lismann, Armin Stern und
Hanns Ludwig Katz zu sehen. Im April 1922 wurde C.s Bild „Exotische Pflanzen“ von einem Kunstkritiker der Ffter Zeitung sehr gut beurteilt.
1924 konnte C. einen überregionalen Erfolg verbuchen: Ihre Werke wurden vom 15. bis zum 31.6.1924 in der „Galeries Dalmau“ in Barcelona ausgestellt. Der in der europäischen Kunstszene gut vernetzte Galerist Josep Dalmau (1867-1937), der etwa Bilder von Picasso und Matisse zeigte sowie die damals noch unbekannten Künstler Joan Miró und Salvador Dalí herausbrachte, wählte für diese erste Einzelausstellung von C. zwölf ihrer Gemälde aus. In der Ffter Galerie von Ludwig Schames stellte C. im März 1926 aus; von der Presse wurde ihr „Sinn für Farbe und Aufbau“ gelobt. Die Kunstkritikerin Sascha Schwabacher (1875-1943) berichtete in der Zeitschrift „Der Cicerone“ von C.s „phantasievollen, kleinen Gartenbildern, die starkes technisches Können beweisen“, und beschrieb ein Selbstporträt, an dem C.s „Willen zur Steigerung ins Dämonisch-Fremdartige“ erkennbar sei. Im Juni 1926 war C. in einer Gruppenausstellung mit
Mathilde Battenberg u. a. beim Ffter Künstlerbund mit einem Stillleben vertreten. 1928 erhielt sie eine Einzelausstellung im „Salon de la Jeune Peinture“ in Paris, in der sie Aquarelle und Ölbilder zeigte.
C. gehörte dem Ffter Künstlerbund (1924-33) und der GEDOK, der Gemeinschaft der Künstlerinnen und Kunstfreundinnen in Ffm. (lt. Mitgliedskarte von 1932), an. An den Frühjahrs- und Herbstausstellungen des Ffter Künstlerbunds nahm sie über einen Zeitraum von rund zehn Jahren regelmäßig teil. Schwabacher berichtete begeistert von der Gruppenausstellung der GEDOK 1932, bei der C.s Begabung unverkennbar deutlich geworden sei. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 musste C. aus beiden Verbänden ausscheiden, und sie wurde als freischaffende Künstlerin gezwungen, sich beim „Wirtschaftsverband“ anzumelden; ihr Antrag wurde abgelehnt. Damit konnte C. nicht mehr erwerbsmäßig als Künstlerin arbeiten; sie wurde künftig von ihrem Bruder Arthur C. unterstützt, bis auch er aus seiner Position und Tätigkeit verdrängt wurde. Zuletzt hatte Arthur C. als Prokurist bei der „Telefonbau und Normalzeit Lehner & Co. KG“ in Ffm. gearbeitet. Im Juli 1934 engagierte sich C., u. a. zusammen mit
Rosy Lilienfeld,
Erna Pinner und
Amalie Seckbach, für die Künstlerhilfe des Kulturbunds Deutscher Juden, Bezirk Rhein-Main: Die Künstlerinnen gaben Reproduktionen ihrer Werke auf Postkarten heraus, deren Verkaufserlös jüdische Künstler und Künstlerinnen in Ffm. unterstützen sollte; eine zweite Postkartenserie war geplant, konnte aber nicht mehr realisiert werden. Im Mai 1935 erschien der Artikel „Atelierbesuch bei Ffter Künstlerinnen“ von Sascha Schwabacher im Ffter Israelitischen Gemeindeblatt, der an vergangene Besuche bei C.,
Lilienfeld,
Pinner und
Seckbach erinnerte. Zu diesem Zeitpunkt waren jedoch die Karrieren der vier Künstlerinnen infolge der nationalsozialistischen Restriktionen bereits abgebrochen.
Ruth (in der Familie „Mali“) und ihr ebenfalls alleinstehender Bruder Arthur C. führten einen gemeinsamen Haushalt in Ffm., zuletzt in der Stresemannallee 7. Im Jahr 1935 gelang den Geschwistern die Flucht aus Ffm. Arthur C. begründete 1937 in Santiago de Chile die Firma „Hess May“ mit, ein später erfolgreiches Elektrowarengeschäft, und verfügte ab 1939 wieder über ein geringes Einkommen. Aus mehreren Briefen, u. a. an ihren Bruder Robert C. in Barcelona, geht hervor, dass C. die Kunst mit der Flucht ins Exil für immer aufgab.
Für Frühjahr 1952 plante Arthur C. den ersten Besuch in der Heimat Ffm. nach Kriegsende, wozu es nicht mehr kam. Arthur C. starb am 14.2.1952 in Santiago de Chile. Daraufhin lief C.s Visum für Chile im Oktober 1953 ab. Zwischen 1954 und 1958 hielt sie sich abwechselnd in Barcelona, Schmitten im Taunus und Ffm. auf, wohnte zeitweise bei der Familie ihres Bruders, aber auch in Hotels oder Pensionen. Schließlich entschied sie sich, in ihre Heimatstadt zurückzugehen, „wo sie hingehöre“. Als Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung beantragte sie um 1955 eine Entschädigung, die bewilligt wurde. Möglicherweise schon seit 1959, spätestens aber seit 1961 wohnte sie im Ffter Westend, in der Kronberger Straße 10, wo sie zurückgezogen lebte. Nach ihrem Tod im 91. Lebensjahr fand sie, ihrem Wunsch gemäß, ihre letzte Ruhestätte auf dem Neuen Jüdischen Friedhof in Ffm. (Gewann 13A, Reihe 1, Platz 46).
Der größte Teil des Werks von C. wurde zerstört oder gestohlen und gilt heute als verschollen. Im Jahr 1984 wurden im Ffter Auktionshaus Arnold sechs Bilder C.s aus ihrer Zeit in Paris an unbekannt versteigert, darunter das Pariser Selbstporträt (undatiert; Verbleib unbekannt) und das Bildnis einer „Frau im lila Kleid“ (ca. 1920er Jahre; in Privatbesitz). Ein anderes Damenporträt befindet sich im Salzburger „Museum Kunst der Verlorenen Generation“; einzelne weitere Werke gehören zur Exilkunstsammlung „Edition Memoria“ in Hürth, zum Bestand des HMF und zur Kunstsammlung der Stadt Ffm. Vier Bilder sind im Besitz der Nachkommen.
2022/23 Ausstellung „Zurück ins Licht. Vier Künstlerinnen – Ihre Werke. Ihre Wege“ im Jüdischen Museum Fft. zur Erinnerung an Ruth C.,
Rosy Lilienfeld,
Erna Pinner und
Amalie Seckbach.
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