Wirl, Emmerich Andreas Wilhelm, gen. Erik (auch: Erich). Kammersänger. Opernsänger. Schauspieler. Diese Angaben konnten anhand von Dokumenten zweifelsfrei bestätigt werden.* 30.5.1884 Ebensee-Unterlangbath/Oberösterreich, Diese Angaben konnten anhand von Dokumenten zweifelsfrei bestätigt werden.† 15.2.1954 Tegernsee, begraben in Rottach-Egern/Tegernsee.
Sohn des Arztes Emmerich Wilhelm W. und dessen Ehefrau Anna, geb. Brenner. Verheiratet (seit 1913) mit der Opernsängerin Anna
Fulda Maria W. (auch: W.-Kopp), geb. Kopp (1885-?), der Tochter eines Offenbacher Portefeuillefabrikanten. Wahrscheinlich keine Kinder.
Besuch der Volksschule in Wien (1890-96) und des Realgymnasiums in München (1896-1902), abgeschlossen mit dem Abitur. Erste Erfolge als Knabensopran. Ausbildung der Stimme bei Eduard Schuegraf (1851-1928) und Raoul Walter (1863-1917) in München. Wechsel während des Studiums vom Bariton zum Tenor. 1906 Debüt bei den Bayreuther Festspielen als junger Seemann in „Tristan und Isolde“ und als 3. Knappe im „Parsifal“.
Von 1906 bis 1922 gehörte W. als Sänger im Fach als lyrischer Tenor für Oper und Operette dem Ensemble des Opernhauses in Ffm. an. Einen bleibenden Namen im Bereich der Oper machte er sich durch sein Mitwirken in den vier Uraufführungen von
Schrekers Opern in Ffm., wozu nicht zuletzt „sein intelligentes Spiel“ (Hans Nassauer in: FR, 4.4.1959) beitrug; mit der Rolle des Narren in „Der Schatzgräber“ (UA 21.1.1920) gelang ihm „durch Tongebung, Wort und Gebärde“ ein besonderes „Kabinettstück“ (Mohr: Opernhaus 1980, S. 196), „eine gesangliche und darstellerische Leistung von ungewöhnlicher Intensität“ (H. N. [d. i. wahrscheinlich Hans Nassauer] in: FR, 18.2.1954). Beim Publikum war W. vor allem als Operettentenor in ersten Liebhaberrollen äußerst beliebt. Sein Sprung auf den Tisch im Frack als Graf von Luxemburg in der gleichnamigen Operette (Ffter EA 3.6.1910), um von dort seine strahlende Stimme ertönen zu lassen, wurde zum sinnbildlichen Ausdruck für sein Image als moderner, sportlich-eleganter Operettenkavalier. Aufgrund seines Bilds und seiner Popularität beim Publikum wurde W. schon in seiner Ffter Zeit für die Werbung entdeckt. So machte er Reklame für Automobile von Opel (etwa im Ffter Theater Almanach 1918/19, S. 16). Zudem wurde später (wohl in den 1920er Jahren) eine Zigarettenmarke nach ihm benannt („Wirl Tenor 4 Pfennig“, „Wirl Operette 5 Pfennig“ und „Wirl Dame 6 Pfennig“).
Obwohl oder gerade weil W. nie ganz immun gegen die Allüren eines Stars war, hielt er sein Privatleben offenbar, zumindest in der Ffter Zeit, weitgehend von der Öffentlichkeit fern. Wahrscheinlich am Ffter Opernhaus hatte W. die Sopranistin Fulda Kopp kennengelernt, die seit der Saison 1909/10 zum Ensemble gehörte. Unweigerlich dürfte sich eine Zusammenarbeit ergeben haben. So wirkten beide in der Ffter Erstaufführung von Falls Operette „Die geschiedene Frau“ (23.12.1909) mit, allerdings sie in einer kleinen komischen Nebenrolle (als Bäuerin Martje), er in der Hauptrolle (als der geschiedene Mann Karel van Lysseweghe). Bald stellte sich Fulda Kopp dem Ffter Publikum in größeren Partien vor, etwa als Ännchen im „Freischütz“ (nachweislich am 17.1.1910, wenn auch in einer Vorstellung ohne W.), und in der Uraufführung von
Schrekers „Der ferne Klang“ (18.8.1912) kreierte sie die Rolle der Tänzerin Milli. Am 28.6.1913 heirateten Erik W. und Fulda Kopp in Offenbach, der Heimatstadt der Braut, wo das Ehepaar künftig zusammen wohnte (im Dreieichring 48 bzw. 50). Mit der Heirat scheint Fulda W.-Kopp ihre Karriere als Sängerin aufgegeben haben. Zum Spielzeitende 1912/13 schied sie jedenfalls aus dem festen Engagement am Ffter Opernhaus aus.
In seiner Ffter Zeit kreierte W. die Rollen des Pelléas in der deutschen Erstaufführung von Debussys „Pelléas und Melisande“ (19.4.1907), des Chevaliers in der Uraufführung von
Schrekers „Der ferne Klang“ (18.8.1912), des vierten Manns in der Uraufführung von
Schrekers „Das Spielwerk und die Prinzessin“ (15.3.1913), des Edelmanns Menaldo Negroni in der Uraufführung von
Schrekers „Die Gezeichneten“ (25.4.1918), des Prinzen Kalaf in der deutschen Erstaufführung von Busonis „Turandot“ (15.10.1918), des Erik Refstrup in der Uraufführung von Delius’ „Fennimore und Gerda“ (21.10.1919) und des Narren in der Uraufführung von
Schrekers „Der Schatzgräber“ (21.1.1920). Er sang in Ffter Erstaufführungen etwa Fürst Suleiman/Mossu in Strauß’ Operette „Tausend und eine Nacht“ (28.10.1906), Leutnant Niki in Straus’ Operette „Ein Walzertraum“ (5.2.1908), die Titelrolle in Lehárs Operette „Der Graf von Luxemburg“ (3.6.1910), den Valzacchi in
Strauss’ „Der Rosenkavalier“ (1.3.1911), Balduin Graf Zedlau in Strauß’ Operette „Wiener Blut“ (26.6.1913), den Arrigo in Schillings’ „Mona Lisa“ (25.12.1915), Wilhelm Arndt in Korngolds Einakter „Der Ring des Polykrates“ (15.10.1916), den Handwerksburschen Florian in Brandts-Buys’ komischer Oper „Die Schneider von Schönau“ (26.12.1916) und Achmed Bey in Falls Operette „Die Rose von Stambul“ (7.10.1917). Weitere Rollen aus seinem Opernrepertoire der Ffter Jahre waren: Scaramuccio („Ariadne auf Naxos“), Graf Almaviva („Der Barbier von Sevilla“), Canio („Der Bajazzo“), Oktavio („Don Juan“), Triquet („Eugen Onegin“), Fra Diavolo (in der gleichnamigen Oper), Fenton („Falstaff“), Steuermann („Der fliegende Holländer“), Max („Der Freischütz“), Leopold („Die Jüdin“), Fenton („Die lustigen Weiber von Windsor“), Lobetanz (in der gleichnamigen Oper), Kunz Vogelgesang („Die Meistersinger von Nürnberg“), Faust („Margarethe“), Gomez („Das Nachtlager in Granada“), Oberon (in der gleichnamigen Oper), Cassio („Othello“), der Postillon von Lonjumeau (in der gleichnamigen Oper), Loge („Das Rheingold“), Tonio („Die Regimentstochter“), Graf Gerold („Silvana“), Nando („Tiefland“), Walther von der Vogelweide („Tannhäuser“), Aurelius Galba („Die toten Augen“), Ritter Hugo von Ringstetten („Undine“), Alfred („Violetta“ [d. i. „La Traviata“]), Baron Kronthal („Der Wildschütz“), Werther (in der gleichnamigen Oper), Florizel („Wintermärchen“), Marquis von Chateauneuf („Zar und Zimmermann“) u. a.; dazu kamen Operettenrollen wie Symon Rymanowicz (die Titelrolle in „Der Bettelstudent“), Franz Schubert („Das Dreimäderlhaus“), Alfred („Die Fledermaus“) u. a.
Der Abschied von W. aus dem Engagement bei den Städtischen Bühnen in Ffm. verlief nicht konfliktfrei. Der Sänger hatte seinen bis zum Spielzeitende 1919/20 laufenden Vertrag bereits am 28.10.1918 um weitere fünf Jahre (bis zum 31.7.1925) verlängert, ohne freilich die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung absehen zu können. Zugleich forcierte er im Rahmen der Möglichkeiten innerhalb des Ffter Engagements seine Gastspieltätigkeit mit Auftritten in Operetten und Konzerten, u. a. in Bonn, Wiesbaden, Aschaffenburg, Darmstadt, Mannheim sowie verschiedenen Kurorten. Angesichts der beginnenden Hyperinflation plagten W. zunehmend Existenzängste. Seinen Sommerurlaub 1920 nutzte er zu einem mehrwöchigen Gastspiel in Berlin, als Erbprinz Heinz in der Operette „Die Strohwitwe“ von Leo Blech (1871-1958) unter der Leitung von Gustaf Bergman (1880-1952) am Staatlichen Schauspielhaus, womit er – in eigenen Worten – „einen kolossalen Erfolg“ erlebte. Angesichts der lukrativen Beschäftigungsmöglichkeiten in Berlin, auch bei Grammophon- und Filmaufnahmen, wollte er eigentlich seinen Ffter Vertrag umgehend lösen. Nach zähen (postalischen) Verhandlungen gewährten ihm Intendanz und Aufsichtsrat der Neuen Theater-AG außerordentlichen Urlaub bis Mitte November 1920. Als W. am 15.11.1920 nicht zum Dienst in Ffm. erschien, aber am 18.11.1920 an der Seite von Fritzi Massary (1882-1969) in Falls neuer Operette „Die spanische Nachtigall“ am Berliner Theater auftrat, wollte die Ffter Neue Theater-AG ihn für kontraktbrüchig erklären lassen und erwirkte mit einer einstweiligen Verfügung des Landgerichts vom 14.12.1920 ein Auftrittsverbot für ihn. Nach der Verhandlung vor dem Bezirksbühnenschiedsgericht am 5.1.1921 in Ffm. schlossen beide Parteien einen Vergleich, wonach W. vertraglich weiterhin, zunächst bis zum 31.7.1922, an das Ffter Opernhaus gebunden war. Doch der aufstrebende Operettenstar blieb auf dem Absprung nach Berlin, nutzte jede sich bietende Gelegenheit für dortige Gastspiele und Filmaufnahmen, auch über den ihm ohnehin zugestandenen langen Urlaub hinaus. Selbst durch einen neuen Vertrag für die Spielzeit 1922/23, den die Neue Theater-AG am 15.2.1922 mit ihm abschloss, ließ er sich nicht in Ffm. halten – trotz „dem größtmöglichen Entgegenkommen, das die Bühnen gegenüber den anderen Tenören vertreten“ konnten. Als der Sänger auch schauspielerische Ambitionen zeigte, versuchten die Städtischen Bühnen, ihn mit der Aussicht auf zusätzliche Beschäftigung im Schauspiel zu locken. Sein Debüt als Schauspieler gab W. jedoch am Neuen Theater in Ffm., in der Rolle als junger Grenzgänger in dem Drama „Der Weibsteufel“ am 13.3.1922, was von der Kritik allerdings nur als „eine gute, sehr sauber einstudierte Durchschnittsleistung“ bewertet wurde (qt in: Volksstimme, 14.3.1922). Kurz darauf „verschwand“ W. sang- und klanglos aus seinem Ffter Engagement. Nachdem er auch die ersten Monate seines neuen Ffter Vertrags ab August 1922 ausschließlich mit Gastspielen in Berlin verbracht hatte, wurde seinen mehrmaligen Bitten um Vertragsauflösung durch den Aufsichtsrat der Städtischen Bühnen am 17.11.2022 nachgegeben, zumal der Tenor die feste Aussicht auf ein längeres Gastspiel in London ab Januar 1923 anführen konnte. Am 20.12.1922 schied W. offiziell bei den Städtischen Bühnen in Ffm. aus.
Im weiteren Verlauf der 1920er Jahre widmete sich W. vorwiegend der Operette, vor allem mit Auftritten in Wien (etwa im Ensemble des Apollo-Theaters, 1923/24) und Berlin (etwa im Ensemble der Komischen Oper, 1926/27). Bald gastierte er auch regelmäßig wieder in Ffm., jetzt am Neuen Operetten-Theater (N. O. T.) im Vergnügungspalast „Groß-Fft.“ am Eschenheimer Tor, u. a. als Graf René in Falls „Madame Pompadour“ (mit Fritzi Massary, 1924), in einer Hauptrolle [als Michael Michaelowitsch?] in Gilberts „Das Weib in Purpur“ (Sommergastspiel des N. O. T. im Opernhaus, 1924), als Graf Tassilo in Kálmáns „Gräfin Mariza“ (1925) und als
Goethe in Lehárs „Friederike“ (1929). Von 1928 bis 1932 war er Mitglied der Berliner Staatsoper; anfangs trat er wohl hauptsächlich an der dazu gehörenden Krolloper (bis zu deren Schließung 1931) auf. Zunehmend verlegte er sich jetzt wieder auf das Opernfach und insbesondere auf das heldische Repertoire. Zudem wirkte er in wichtigen Aufführungen der avantgardistischen Moderne mit, u. a. in der Uraufführung von
Hindemiths Oper „Neues vom Tage“ unter der Leitung von Otto Klemperer an der Krolloper (8.6.1929), in der Aufführung von Křeneks Operneinakter „Der Diktator“ an der Krolloper (als Offizier, 2.12.1928) und von Křeneks Oper „Leben des Orest“ an der Staatsoper Berlin (als Agamemnon, 8.3.1930) sowie in der Rundfunkfassung der radiophonischen Kantate „Der Lindberghflug“ von
Paul Hindemith und Kurt Weill mit Text von Bertolt Brecht (ES: Funkstunde Berlin, 18.3.1930). Ein längeres Gastspiel führte ihn 1931 an das Teatro Colón in Buenos Aires, wo er u. a. den Beckmesser in
Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ unter der Leitung von Otto Klemperer sang. Zum 30.4.1932 schied W. aus dem Ensemble der Berliner Staatsoper aus, auf eigenen Wunsch nach einem Zerwürfnis mit dem Intendanten Heinz Tietjen (1881-1967), wie er später angab. Von 1932 bis 1936 war W. freiberuflich als gastierender Sänger bei verschiedenen Bühnen und beim Rundfunk tätig. Bei einem Gastspiel in Ffm. 1933 kehrte er wieder ins Opernhaus zurück, wo er sich seinem Publikum als Graf von Luxemburg (29.11.1933), als Vogelhändler (1.12.1933) und als Barinkay in „Der Zigeunerbaron“ (6.12.1933) in Erinnerung brachte: „Wenn auch (...) unverkennbar blieb, daß er über den stimmlichen Höhepunkt hinaus war, so zeigte er sich doch noch als Darsteller von überzeugender Frische und bezwingendem Charme.“ (Mohr: Oper 1971, S. 172.)
Zum 1.1.1937 ging W. in den Ruhestand und zog sich an den Tegernsee zurück, wo er bereits Ende 1924 ein Haus (das „Lerchenhäusl“) mit Garten erworben hatte. Noch während seiner aktiven Zeit soll W. nach eigenen Angaben immer wieder Anfeindungen von nationalsozialistischer Seite ausgesetzt gewesen sein, weil in Anzeigen bei Intendanten und Artikeln im „Stürmer“ behauptet worden sei, er sei Jude. (W. war katholisch.) Später, im Zuge der Entnazifizierung, berichtete W., dass im Sommer 1937 zwei SS-Männer zu ihm ins Haus gekommen seien und ihm als Österreicher mit der Ausweisung aus Deutschland gedroht hätten; unter diesem Druck sei er damals als „Förderndes Mitglied“ (FM) mit einem Monatsbeitrag von zwei Mark in die SS eingetreten, der er bis Herbst 1939 angehört habe. Gemäß seinen Angaben im Fragebogen der Militärregierung vom 16.12.1945 war er außerdem Mitglied des Reichskolonialbunds (1941-42), der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV, 1942-45) und des Reichsluftschutzbunds (1942-45); im Luftschutz war er ab 1944 als Blockwart in seiner Straße in Tegernsee eingesetzt. Laut Spruchkammerbescheid vom 13.5.1947 war W. aufgrund der Angaben in seinem Meldebogen „von dem Gesetz zur Befreiung vom Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946 nicht betroffen“. Nach längerer Krankheit starb W. im 80. Lebensjahr 1954 im Kreiskrankenhaus in Tegernsee.
Von W. sind zahlreiche Plattenaufnahmen überliefert, vor allem von Operettenliedern (teilweise im Duett mit seinerzeit prominenten und populären Operettensängerinnen), aber auch von Wienerliedern und Tonfilmschlagern.
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