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Schnapper-Arndt, Gottlieb

Mitbegründer der modernen Sozialwissenschaft.

Gottlieb Schnapper-Arndt

Gottlieb Schnapper-Arndt
Fotografie (aus Schnapper-Arndt: Vorträge und Aufsätze 1906).

© entfällt. Diese Abbildung ist gemeinfrei.
Schnapper-Arndt (bis 1887: Schnapper), Gottlieb Anselm Salomon. Psd.: A. Claudicus. Dr. jur. Statistiker. Wirtschafts- und Sozialhistoriker. Diese Angaben konnten anhand von Dokumenten zweifelsfrei bestätigt werden.* 2.10.1846 Ffm., † 2.3.1904 Halberstadt, begraben auf dem Jüdischen Friedhof Rat-Beil-Straße in Ffm.
Der Sohn des Börsenmaklers Salomon Amschel Schnapper und dessen Ehefrau Louise, geb. Straus, stammte aus einer alteingesessenen Ffter jüdischen Kaufmannsfamilie, die mit den Rothschild verwandt war. Gutle Schnapper, eine Schwester von Amschel Wolf Schnapper (1764-1838; d. i. wahrscheinlich Sch.-A.s Großvater), hatte 1770 Mayer Amschel Rothschild geheiratet und war dadurch zur Stammmutter der weltberühmten Bankiersdynastie geworden. Amschel Mayer Rothschild, „der Ffter“ ihrer fünf Söhne, war Sch.(-A.)s Gevatter, von dem der Junge auch den zweiten Vornamen bekam. Mütterlicherseits war Sch.(-A.) ein Neffe von Salomon Straus (auch: Strauss, Strauß; 1795-1866), dem Ehemann von Börnes Freundin Jeanette, geb. Wohl; aus dem Erbe des Ehepaars Straus(s) erhielt er später Börnes Nachlass, den er in kleineren Publikationen auswertete. Verheiratet (seit 1880) mit Johanna Arndt (1847-1923), deren Geburtsnamen das Ehepaar mit Genehmigung der königlichen Regierung seit 1887 zusätzlich im Familiennamen (als Doppelname „Schnapper-Arndt“) führte; Johanna Sch.-A. begleitete ihren Mann bei dessen wissenschaftlicher Arbeit, etwa auf den damit verbundenen Studienreisen, und war selbst sozial engagiert, u. a. als Vorsitzende und Delegierte des Vereins „Jugendwohl e. V.“.
Sch.(-A.) erhielt Privatunterricht, da er wegen eines Fußleidens keine Schule besuchen konnte. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit volkswirtschaftlicher Literatur. Angeregt durch die Lektüre des „Kapitals” von Karl Marx wandte er sich sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Forschungen zu. Nach Reisen nach Frankreich, England und in die Niederlande trat er 1877 eine Stelle, zunächst als Volontär, im Königlich Preußischen Statistischen Bureau in Berlin an. Dort machte sich Sch.(-A.) unter der Anleitung des Direktors Ernst Engel mit Methoden der Statistik vertraut und widmete sich wirtschaftshistorischen Studien. Dann absolvierte er ein Studium in Straßburg (bei Gustav Schmoller) und Tübingen, wo er bei Gustav Rümelin 1882 promovierte. Aufgrund seiner richtungweisenden Dissertation „Fünf Dorfgemeinden auf dem Hohen Taunus. Eine socialstatistische Untersuchung über Kleinbauernthum, Hausindustrie und Volksleben” (im Druck 1883) gilt Sch.-A. heute als Pionier auf dem Gebiet der sozialwissenschaftlichen Feldforschung, wobei er erstmals vor allem statistische Methoden anwandte. Nach weiteren Studienaufenthalten in Wien, Berlin, Heidelberg und Wiesbaden sowie größeren Reisen kehrte Sch.-A. 1897 nach Ffm. zurück. Hier widmete er sich als Privatgelehrter seinen sozialwissenschaftlich-statistischen und wirtschaftshistorischen Forschungen. Bereits seit 1885 arbeitete Sch.(-A.) zudem an der Akademischen Abteilung des Freien Deutschen Hochstifts als nebenamtlicher Dozent in der Sektion für Soziale Wissenschaften (bzw. Volkswirtschaft) mit, für die er u. a. einen der ersten Lehrgänge hielt (über „Die menschliche Lebensdauer unter dem Einflusse der sozialen Faktoren und die Methode der Bestimmung derselben“ im Sommersemester 1885) und den vom Hochstift veranstalteten „Sozialen Kongress“ im Oktober 1893 mitorganisierte. 1901 wurde Sch.-A. als Dozent für Statistik an die neu gegründete Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften in Ffm. berufen. Seine Vorlesungen behandelten viele seiner Interessengebiete, z. B. die Geschichte des Geldverkehrs, die Bevölkerungsstatistik oder die Geschichte der Lebenshaltung. Die Schwerpunkte seiner Arbeit aber waren Wirtschaftsgeschichte und Sozialstatistik, wobei er oftmals Ffter Themen anschnitt. Hier entwickelte er die Methode einer Miniaturstatistik unter Berücksichtigung der Gesellschaft in der Gesamtheit ihrer Beziehungen.
Vorstandsmitglied des Vereins zur Abwehr des Antisemitismus. Mitglied des Vereins für Sozialpolitik.
Zu Lebzeiten veröffentlichte Sch.-A. einige weitere, meist kleinere Schriften, oft von außergewöhnlicher journalistischer Anschaulichkeit in der Beschreibung sozialer Zustände, u. a. „Zur Methodologie sozialer Enquêten. Mit besonderem Hinblick auf die neuerlichen Erhebungen über den Wucher auf dem Lande“ (1888), „Zur Theorie und Geschichte der Privatwirtschafts-Statistik“ (1903) und „Nährikele. Ein sozialstatistisches Kleingemälde aus dem schwäbischen Volksleben“ (Nachdruck 1906 posthum). Außerdem publizierte er lokalhistorische Beiträge, u. a. „Jüdische Interieurs zu Ende des 17. Jahrhunderts” (1887) und „Johann Erasmus Senckenberg über den Ratsherrn Hermann Jakob Goethe” (1892), und literaturhistorische Schriften unter Auswertung von Börnes Nachlass, insbesondere die Aufsätze „Jeanette Straus-Wohl und ihre Beziehungen zu Börne” (1887) und „Jugendarbeiten Ludwig Börne’s über jüdische Dinge” (3 Teile, 1888-92) sowie den Artikel über „Jeannette Straus-Wohl” [sic!] in der „Allgemeinen Deutschen Biographie“ (1898). Dagegen blieben einige größere Arbeiten, angeblich infolge von des Autors eigenem Anspruch der höchsten Gründlichkeit, zunächst ungedruckt und erschienen erst posthum in den Bänden „Vorträge und Aufsätze“ (hg. v. Leon Zeitlin, 1906), „Sozialstatistik. Vorlesungen über Bevölkerungslehre, Wirtschafts- und Moralstatistik” (hg. v. Leon Zeitlin, 1908), „Beiträge zur Ffter Finanzgeschichte” (hg. v. Karl Bräuer, 1910) und „Studien zur Geschichte der Lebenshaltung in Ffm. während des 17. und 18. Jahrhunderts” (Auszüge aus dem unvollendeten Hauptwerk „Geschichte des Geldverkehrs, der Preise und der Lebenshaltung in der Reichs- und Handelsstadt Ffm.“, hg. v. Karl Bräuer, 2 Teile, 1915).
Wissenschaftlicher Nachlass in der Handschriftenabteilung der UB Ffm.

Artikel aus: Frankfurter Biographie 2 (1996), S. 318, verfasst von: Fritz Koch (überarbeitete Onlinefassung für das Frankfurter Personenlexikon von Sabine Hock).

Lexika: Bibliographie zur Geschichte der Ffter Juden 1781-1945. Hg. v. der Kommission zur Erforschung der Geschichte der Ffter Juden. Bearb. v. Hans-Otto Schembs mit Verwendung der Vorarbeiten von Ernst Loewy u. Rosel Andernacht. Ffm. 1978.Bibliogr. z. Gesch. d. Ffter Juden, S. 600. | Lexikon deutsch-jüdischer Autoren. Hg. v. Archiv Bibliographia Judaica. Redaktionelle Leitung: Renate Heuer. 21 Bde. München, dann (ab Bd. 17) Berlin 1992-2013.Lex. dt.-jüd. Autoren 19 (2012), S. 55-58. | Renkhoff, Otto: Nassauische Biographie. Kurzbiographien aus 13 Jahrhunderten. Wiesbaden 1985, 2., überarb. Aufl. 1992. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau XXXIX).NB 1985, S. 354, Nr. 2036; 1992, S. 714, Nr. 3913. | Richel, Arthur: Katalog der Abteilung Fft. [der Ffter Stadtbibliothek]. Bd. 2: Literatur zur Familien- und Personengeschichte. Ffm. 1929.Richel, S. 524.
Literatur:
                        
Arnsberg, Paul: Die Geschichte der Ffter Juden seit der Französischen Revolution. Hg. v. Kuratorium für Jüdische Geschichte e. V., Ffm. Bearb. u. vollendet durch Hans-Otto Schembs. 3 Bde. Darmstadt 1983.Arnsberg: Gesch. d. Ffter Juden 1983, Bd. III, S. 51. | Beier, Gerhard: Arbeiterbewegung in Hessen. Zur Geschichte der hessischen Arbeiterbewegung durch 150 Jahre (1834-1984). Ffm. 1984. (Die Hessen-Bibliothek im Insel Verlag).Beier: Arbeiterbewegung 1984, S. 553f. | Gross, Raphael/Guggenheimer, Michael/Holländer, Katarina/Wern, Christine (Hg.): Geschenkte Geschichten. Zum 20-Jahres-Jubiläum des Jüdischen Museums Ffm. Mit einem Beitrag von Ulrike Kolb und Fotografien von Jörg Baumann. Ffm. 2009.Gross u. a. (Hg.): Geschenkte Geschichten 2009, S. 210f. | Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts. Ffm., später Tübingen (bis 2010) und Göttingen 1902-40, Neue Folge seit 1962.Nachruf von Ludwig Pohle in: Jb. d. Freien Deutschen Hochstifts 1904, S. 408-411. | Klee, Marie: Schnapper-Arndt als Statistiker. Darmstadt 1926.Klee: Schnapper-Arndt als Statistiker 1926. | Kleinschmidt, Christian (Hg.): Kuriosa der Wirtschafts-, Unternehmens- und Technikgeschichte. Miniaturen einer „fröhlichen Wissenschaft“. Essen 2008.Hendrik Fischer: Messen ohne Maß. Wege und Irrwege des Gottlieb Schnapper-Arndt. In: Kleinschmidt (Hg.): Kuriosa d. Wirtschafts-, Unternehmens- u. Technikgeschichte 2008, S. 106-112. | Mentzel, Elisabeth (Hg.): Briefe der Frau Jeanette Strauß-Wohl an Börne. Berlin 1907.Mentzel (Hg.): Briefe der Frau Jeanette Strauß-Wohl an Börne 1907, S. V, VII-X. | Seng, Joachim: Goethe-Enthusiasmus und Bürgersinn. Das Freie Deutsche Hochstift – Ffter Goethe-Museum 1881-1960. Göttingen 2009.Seng: Freies Deutsches Hochstift 2009, S. 13, 81f., 84, 147, 200, 208.
Quellen: Ffter Rundschau. Ffm. 1945-heute.Velte, Olaf: Forscher am Fuß des Feldbergs. Gottlieb Schnapper-Arndt ging in die armen Dörfer und begründete eine Wissenschaft. In: FR, 30.9.2011. | ISG, Einwohnermeldekartei („Nullkartei“), ca. 1870-1930.ISG, Nullkartei. | ISG, Dokumentationsmappe in der Sammlung S2 (mit Kleinschriften, Zeitungsausschnitten und Nekrologen zu einzelnen Personen und Familien).ISG, S2/10.283.
Internet: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie, Hg.: Wikimedia Foundation Inc., San Francisco/Kalifornien (USA). http://de.wikipedia.org/wiki/Gottlieb_Schnapper-ArndtWikipedia, 8.6.2017.

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Empfohlene Zitierweise: Koch, Fritz/Hock, Sabine: Schnapper-Arndt, Gottlieb. In: Frankfurter Personenlexikon (Onlineausgabe), https://frankfurter-personenlexikon.de/node/1108

Stand des Artikels: 29.9.2017
Erstmals erschienen in Monatslieferung: 06.2017.