Neuerscheinungen vom 10. März 2022

Einleitung: 

Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,

ein wichtiger Auftrag des Frankfurter Personenlexikons ist, biographische Lücken in der Frankfurter Stadtgeschichte zu schließen. So arbeitet das FP, nachdem in der Buchausgabe der „Frankfurter Biographie“ von 1994/96 der Anteil von Artikeln über Frauen noch bei nur etwa acht Prozent lag, verstärkt Biographien von Frauen auf. Bei allem wissenschaftlichen Anspruch, dem sich das Projekt stets verpflichtet fühlt, wird es in diesen Tagen doch zum Herzensanliegen, dass in der aktuellen Monatslieferung über zwei Frauen berichtet wird, die für den Frieden in der Welt eintraten. Einer von ihnen gilt der diesmalige Artikel des Monats.

Artikel des Monats März 2022:
Schloß heißt Carno

Sie wurde unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs zur überzeugten Pazifistin: Gertrud Schloß. Die Tochter einer liberalen jüdischen Unternehmerfamilie aus Trier studierte nach dem Abitur 1920 Nationalökonomie, auch für ein Semester in Frankfurt, und promovierte bereits 1923 mit einer Untersuchung über den „Staat in der bolschewistischen Theorie und Praxis“. Nach der Rückkehr in ihre Heimatstadt arbeitete sie als Theater- und Kulturrezensentin sowie später als Redakteurin der SPD-nahen Tageszeitung „Volkswacht“, begründete die Volksbühne in Trier mit und engagierte sich in der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit.
Wenige Wochen nach der nationalsozialistischen „Machtübernahme“ 1933 übersiedelte Gertrud Schloß nach Frankfurt am Main, wo sie Schutz in der Anonymität der Großstadt suchte. Kurz zuvor hatte sie den Lyrikband „Begegnungen“ veröffentlicht, der auch Liebesgedichte an Frauen enthielt. In ihren Frankfurter Jahren war Gertrud Schloß als Schriftstellerin sehr produktiv und ziemlich erfolgreich. Unter dem Pseudonym „Alice Carno“ verfasste sie einige Unterhaltungs- und Kriminalromane, die auch als Fortsetzungsromane in Zeitungen erschienen und dadurch ein breites Publikum fanden. Im Juli 1939, wenige Wochen vor Beginn des Zweiten Weltkriegs, gelang es Gertrud Schloß noch, nach Luxemburg zu emigrieren. Doch nach dem Einmarsch deutscher Truppen im April 1940 wurde sie wegen ihrer jüdischen Herkunft in einem Sammellager interniert, von dort am 16. Oktober 1941 zunächst in das Ghetto Lodz („Litzmannstadt“) deportiert und vermutlich Ende Januar 1942 im Vernichtungslager Chelmno („Kulmhof“) ermordet.
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Schluss: 

Biographien von Personen aus der Populärkultur sind ein weiteres Desiderat in der Forschung, nicht nur im Frankfurter Personenlexikon, und so leistet der Artikel über Gertrud Schloß auch auf diesem Gebiet einen wichtigen Beitrag. Für das FP wurde die Frankfurter Biographie von Gertrud Schloß grundlegend neu an den Quellen recherchiert – wobei Autor und Redakteurin eine echte Überraschung erlebten. Bisher hieß es in der Literatur, dass Gertrud Schloß in ihrer Frankfurter Zeit auch unter dem Pseudonym „Mary Eck-Troll“ geschrieben habe. Plötzlich stellten wir fest, dass Mary Eck-Troll nicht nur ein Name, sondern eine eigene Person ist – Näheres dazu können Sie im Artikel nachlesen!
Der Beitrag referiert einerseits den allerneuesten Forschungsstand zu Gertrud Schloß, will aber andererseits auch zu weiteren Arbeiten über sie und ihr Werk anregen. Noch hat niemand z. B. die Unterhaltungsromane von Gertrud Schloß alias Alice Carno im wissenschaftlichen Interesse genauer angeschaut. Die Titel, etwa ihres Erfolgswerks „Rechtsanwalt Dr. Edith Brandt“ von 1936, verraten, dass Frauen oft die Hauptrolle darin spielen. Welches Frauenbild transportiert die Schriftstellerin in ihren Romanen? Ein der NS-Zeit angepasstes oder zwischen den Zeilen doch ein subversives, emanzipatorisches und nicht gender-konformes?

Die zweite Frau, die in diesem Monat neu im Frankfurter Personenlexikon erscheint, ist Elsa Bauer, eine Frankfurter Bankiersgattin, die ihre privilegierte gesellschaftliche Stellung nutzte, um anderen Frauen zu helfen. Anfangs galt ihr Einsatz vor allem ledigen Müttern und deren Kindern, etwa als Mitglied in der Heimkommission für das Heim des Jüdischen Frauenbundes, das Bertha Pappenheim 1907 in Neu-Isenburg eröffnet hatte. Im Laufe der Zeit entwickelte Elsa Bauer ein breites soziales Engagement. In den 1920er Jahren verwendete sie sich als Stadtverordnete der SPD besonders für einen modernen Wohnungsbau in Ernst Mays „Neuem Frankfurt“, der den Anforderungen der berufstätigen Frau gerecht werden sollte. Ebenso wie Gertrud Schloß arbeitete Elsa Bauer aktiv in der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit mit. Ihr Mandat in der Stadtverordnetenversammlung legte sie zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft 1933 nieder. Bis über ihre Kräfte engagierte sie sich künftig in der Fluchthilfe für Verfolgte des NS-Regimes.

Nicht erst seit heute wird im Frankfurter Personenlexikon Frauengeschichte geschrieben. Genau vor zwei Jahren, als Artikel des Monats März 2020, stellten wir etwa die Fotografinnen Nini und Carry Hess vor. Bei Erscheinen der Artikel waren noch keinerlei Fotos bekannt, die Nini und Carry Hess selbst zeigen. Von Carry Hess konnte (und kann) das Frankfurter Personenlexikon immerhin eine Porträtmedaille abbilden, die im Historischen Museum überliefert ist. Die damals schon geplante Ausstellung des Museums Giersch der Goethe-Universität zu Leben und Werk der Schwestern Hess, die – auch coronabedingt – mehrfach verschoben werden musste, wird nun dieser Tage endlich eröffnet. In der Ausstellung und dem dazu bereits erschienenen Katalog findet sich jetzt ein Foto von Nini Hess. Wir bemühen uns derzeit, dieses bisher einzige Bild von ihr auch zur Abbildung für ihren Artikel im FP zu erhalten. Falls es klappt, werde ich Sie natürlich in einem der kommenden Editorials darüber informieren.

Für heute schließe ich mit dem leider immer noch und immer wieder aktuellen Wunsch der vorgestellten Frauen: Frieden für die Welt.

Beste Grüße – und bleiben Sie gesund!
Ihre Sabine Hock
Chefredakteurin des Frankfurter Personenlexikons

P. S. Die nächste Artikellieferung erscheint am 10. April 2022.