In der früheren Forschung kam es aufgrund der Überlieferung der biographischen Informationen zum Mainzer Hofmaler
Matthias Grünewald in der 1675 erschienenen „Teutschen Academie der Edlen Bau-, Bild- und Mahlerey-Künste“ von
Joachim von Sandrart sowie der Häufigkeit des Vornamens Mathis zur Vermischung der Biographien
Grünewalds und G.s, zumal beide Künstler 1526/27 zeitgleich in Ffm. wohnhaft waren. Erst der Kunsthistoriker
Walther Karl Zülch förderte im Rahmen seiner grundlegenden Forschungen zu
Grünewald (der in Aschaffenburg, Bingen, Isenheim, Mainz, Ffm. und Halle tätig war) ab 1917 verschiedene archivalische Quellen zu G. zutage, die eine Differenzierung zwischen den beiden Malern, ihrem Leben und Werk erlauben.
G. ist von 1510 bis 1527 in Ffm. nachgewiesen. Der zu einem unbekannten Zeitpunkt aus Eisenach nach Ffm. zugezogene Künstler „Mathys Grüne von Isenach bildesnitzer“ heiratete Ende 1512 eine konvertierte 18-jährige Jüdin, die den Taufnamen Anna erhielt. Ihre Taufe war am 15.8.1512, am Festtag Mariä Himmelfahrt (der zudem noch ein Sonntag war), in einem feierlichen Akt begangen worden. Zugegen waren sämtliche Schöffen, fast alle Ratsherren, der Schultheiß, der Komtur des Deutschherrenordens
Walther von Cronberg sowie alle Prälaten und zahlreiche Kanoniker der Ffter Kirchen und Klöster. Anschließend fand ein Festmahl im Antoniterkloster statt, wozu der Rat auf Anregung des Stadtsyndikus
Adam Schönwetter 20 Quart bzw. ein Ohm Wein beisteuerte. Die Motive für den Glaubenswechsel wie auch der familiäre Hintergrund der zukünftigen Frau G.s sind unbekannt. Annas Patin war vermutlich die aus Nürnberg stammende Magdalena Schönwetter, geb. Rebel, die zweite Frau
Adam Schönwetters. Die Patrizierin und Besitzerin des Glauburger Hofes in Sachsenhausen bedachte in ihrem Testament 1519 Anna G. mit zehn Gulden. Da G. durch die Heirat mit einer Frankfurterin das Ffter Bürgerrecht zustand, konnte er am 15.12.1512 den Bürgereid schwören.
Anna hatte anlässlich ihrer Taufe die stattliche Spende von 93 Gulden erhalten, so dass sich das Ehepaar G. das Haus Löwenstein auf der Südseite der Kannengießergasse (sehr günstig zwischen Fahrgasse und Dom St. Bartholomäus gelegen) von Hans Vestenberger kaufen konnte. Sie wurden dadurch Nachbarn des Malers
Martin Caldenbach gen. Hess und dessen Frau Anna, vielleicht einer Tochter des Malers
Hans Fyol. Für das Haus musste jährlich ein Hauszins (der auf fast jedem Grundbesitz lag) an das Heiliggeistspital als Grundherrn gezahlt werden, wofür ein solides Monatseinkommen notwendig war.
G. wird in städtischen Dokumenten als Bildhauer, mit dem Unterbegriff Bildschnitzer (der Objekte aus Naturmaterialien – wie Holz – fertigt und eventuell auch Holzschnitte ausführt), als Maler oder mit zwei Bezeichnungen („Mathes bilschnitzer der Moler“) geführt. Er scheint in dieser Zeit in Ffm. „der“ Bildhauer schlechthin gewesen zu sein. Neben ihm sind auch Conrad Carber, Bildschnitzer, und Hans Studegel, Bildschnitzer und Bildhauer, in der Mainstadt bezeugt. G. gehörte der Zunft der Seckler und Weißgerber an. Nach dem Besuch der Zunftstube wurde er 1527 bei seiner nächtlichen Rückkehr in eine Schlägerei verwickelt, bei der er sich als Hofherr (als Wohnungsgeber) für seinen Mieter Erhart einsetzte.
Da zu dieser Zeit oftmals weder die ausgeführten Arbeiten noch die entsprechenden Verträge oder Rechnungen erhalten sind, ist es schwierig, sich ein Bild von der Betätigung eines Künstlers zu machen. Die von
Zülch ausgewerteten Archivalien vermitteln zumindest ansatzweise eine Vorstellung von G.s Tätigkeiten. Neben der Ausführung von Einzelaufträgen kooperierte er mit dem Maler
Hans Fyol, von dem er 1515 zweimal Arbeitslohn einforderte. Dass G. auch für das Spital arbeitete, erfahren wir durch dessen Mietzinsklage von 1519. G. wollte die Geldforderung für ausstehenden Hauszins mit einer für das Spital geleisteten Arbeit verrechnen; welcher Art diese war – ob Wand- oder Tafelmalerei, Bildhauer- oder Schnitzarbeit –, ist nicht bekannt.
Dass die Familie zeitweise unter Geldmangel litt, geht daraus hervor, dass 1515 der Bäcker Kulmann vor Gericht zog, um ausstehende Zahlungen für Brot von G. einzuklagen. Wie andere schreibkundige Künstlerkollegen bewarb sich G. seit 1516 wiederholt um verschiedene städtische Ämter, womit der Familie ein regelmäßiges Einkommen sicher gewesen wäre. Seine Ansuchen um die Anstellung als Holzmesser und als Bauknecht sowie um das Einnehmeramt an der Heilig-Geist-Pforte blieben jedoch vergebens.
Im Alter von 28 oder 29 Jahren wurde G.s Ehefrau Anna 1523 wegen einer psychischen Krankheit („böse vernunft“) in das Spital eingewiesen. Ohne seine erkrankte Frau mit dem gemeinsamen Kind alleine auf sich gestellt, geriet G. zunehmend in finanzielle Nöte (bezeugt sind Schuldverschreibungen an verschiedene patrizische Gläubiger und die Begleichung von Schulden beim Heiliggeistspital), und er verkaufte am 2.4.1527 das Haus Löwenstein an den Hutmacher Konrad Rorich. Gemeinsam mit dem kleinen Sohn (dessen Name ist nicht bekannt) verließ G. die Stadt, in der er seine Ehefrau zurücklassen musste. Zuvor hatte er das in Kisten verpackte Hab und Gut der Kleinfamilie bei seinem Malerkollegen
Hans Fyol untergestellt. Wahrscheinlich hatte G. bei seinem Wegzug bereits einen Auftrag in Aussicht, bei dem auch für Kost (und vielleicht Logis) gesorgt war, wie dies später bei seinem Auftrag für Schenk Valentin I. zu Erbach der Fall sein würde. In dessen Dienst kann G. im September 1529 auf der Burg Reichenberg im Odenwald nachgewiesen werden. Schenk Valentin war von seinem Vetter Graf Eberhard XIII. zu Erbach die gemeinsame Burg Reichenberg 1529 überlassen worden, die er renovieren, umbauen und einrichten ließ. Dort wurde „meister mathis der moler“ im September 1529 mit anderen Handwerkern täglich mit Frühstück, Vesper und zwei Hauptmahlzeiten versorgt und mit einem Schurz („fürtuch“) ausgestattet, wie aus der Amtsrechnung der Verwalterin hervorgeht. Welche Arbeiten er ausführte – ob etwa die Ausmalung des neuerrichteten Badezimmers oder der Burgkapelle –, ist nicht bekannt.
Nach dem Tod
Hans Fyols schrieb G. am 2.3.1531 an den Ffter Rat mit der Bitte, dass sein bei dem Kollegen verwahrter Besitz sichergestellt werde. Kurz vor dem 16.10.1532 starben G. und sein Kind an einem unbekannten Ort im Odenwald, möglicherweise an einer Seuche. Da G.s Frau Anna noch im Ffter Heiliggeistspital untergebracht war, fragte der Spitalmeister Jakob Folcker im Namen von „Anne, Mathis bildhawers husfraw“, den Nachlass ihres Ehemanns bei Graf Eberhard XIII. von Erbach an, für den G. wohl zuletzt tätig war. Graf Eberhard baute zu dieser Zeit sein Schloss Fürstenau aus.
In jüngster Zeit konnten G. zwei qualitätvolle Schnitzretabel zugeschrieben werden. Für die Ffter Stiftskirche St. Leonhard schuf er um 1516 für den Großkaufmann Conrad Kellner, der 1502 aus Erfurt zugezogen und in zweiter Ehe mit der Witwe Irmel Märckel von Grünau verheiratet war, das „Allerheiligenretabel“. Es war für einen Altar im nördlichen Seitenschiff bestimmt, wo es bis Ende des 18. Jahrhunderts bezeugt ist; das Allianzwappen der Eheleute Kellner ist im Gewölbe noch vorhanden. Die verbliebenen Retabelflügel werden heute im Depot des HMF verwahrt. Wie das Retabel ursprünglich aussah, zeigt eine Zeichnung, die sich im „Geschlechter- und Epitaphienbuch“ der Familie Kellner erhalten hat.
Goethe sah die Retabelflügel 1814 im Dominikanerkloster und beschrieb sie wie folgt: „Ein Bild, welches aus zerschnittenen, wieder zusammengesetzten Flügelthüren entstanden. In zwey Etagen über einander stehen viele Figuren: Pabst, Cardinal, Bischoff, Heilige, beyderley Geschlechts, Helden u. s. w. Es scheint mir ein Pantheon Frankfurter zu zeigen.“ (Aus den Notizen zu der Reise am Main, Rhein und Neckar, 1814/15.)
Das zweite Retabel fertigte G. um 1520/30 im Auftrag der Grafen von Erbach für den Hochaltar der St. Alban-Kirche in (Brombachtal-)Kirchbrombach/Odenwald, wo es bis heute steht. Wie das Ffter Retabel besteht auch dieser Altaraufsatz aus einem Mittelteil mit Schnitzarbeiten sowie aus gemalten Flügeln und einer Predella. Die Skulpturen des hl. Alban von Mainz und seiner zwei Gefährten nehmen Bezug auf das Kirchenpatrozinium. Auf den Flügelinnenseiten sind Szenen aus dem Leben des hl. Alban (mit der frühesten erhaltenen Darstellung des Mainzer Albanklosters und seiner Umgebung) zu sehen. In dem Buch des linken heiligen Bischofs steht ein „M“, in dem der knienden Stifterfigur ein „G“, so dass G. dort seine Initialen bzw. sein Monogramm als Signatur hinterlassen haben könnte.
Das Wohnhaus Löwenstein in der Kannengießergasse wurde später im Stil der Renaissance umgebaut und im Zweiten Weltkrieg zerstört. Wo die Mitglieder der Familie G. bestattet wurden, ist nicht bekannt.
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