Über die Eltern und etwaigen Geschwister G.s gibt es keine gesicherten Informationen. Der Name seiner Frau († vor 1526) ist nicht überliefert, wohl aber ist belegt, dass der Adoptivsohn Endres (auch: Andreas) Neidhart (* um 1516, † nach 1553 Ffm.) hieß.
In der frühesten bekannt gewordenen Erwähnung in
Philipp Melanchthons Lehrbuch zu den Grundbegriffen der Rhetorik („Elementorum rhetorices libri duo“, 1531) wird der Künstler etwa drei Jahre nach seinem Tod neben
(Albrecht) „Durerus“ und „Lucas“ (Cranach) nur als „Matthias“ genannt. Der in Straßburg tätige Buchdrucker Bernhard Jobin († 1593) bezeichnete in seiner Vorrede zu der von ihm herausgegebenen Schrift des italienischen Theologen Onofrio Panvinio, einer Beschreibung von Päpsten mit Bildnissen („Accuratae effigies pontificum maximorum“, 1573), G. mit der zusätzlichen Ortsnennung als „Mathis von Oschnaburg [d. i. Aschaffenburg]“, so wie er zumeist genannt wurde. 1619 führte der Ffter Buchhändler
Vincenz Steinmeyer in seiner Vorrede zu einer Ausgabe von Holzschnitten („Newe kuenstliche Wohlgerissene vnnd in Holtz geschnittene Figuren dergleichen niemahlen gesehen worden“) G. in einer Aufzählung von Künstlern an: „der wunderbahre kuenstler vnd Maler Matthes von Aschaffenburgk“ habe Gemälde in Isenheim, Mainz, Aschaffenburg und weiteren Orten geschaffen.
Der Name „Grünewald“ geht auf den Maler und Kunstschriftsteller
Joachim von Sandrart zurück, der ihn in seiner „Teutschen Academie der Edlen Bau- Bild- und Mahlerey-Künste“ (1675) jedoch falsch überlieferte („Matthaeus Grünewald sonst Matthaeus von Aschaffenburg genant“). Trotz der Entdeckung des zeitgenössischen Namens „Meister Mathis Nithardt von Würtzburg maler“, den der Kunsthistoriker
Walther Karl Zülch in Ffter Urkunden aufspürte und 1917 publizierte, wurde der bereits eingebürgerte Name „Matthias Grünewald“ für den Künstler beibehalten. So bekam Mathis Nithart unfreiwillig einen „Künstlernamen“. Zahlreiche Aufsätze
Zülchs mit Einzelheiten zu G.s Biographie mündeten 1938 in eine Monographie, die mit wenigen Einschränkungen noch heute gültig ist.
Eine davon abweichende Biographie vertrat seit 1971 der Historiker Hans Jürgen Rieckenberg (1915-2003), der Angaben zu G. und zu dem zeitgleich in Ffm. tätigen Bildhauer und Maler
Mathis Grün miteinander verwob. Diese Version erwies sich als unhaltbar. Jüngst konnten
Grün zwei Retabel zugeschrieben werden, aus denen motivisch ersichtlich ist, dass er G.s Werke kannte. Darüber hinaus wurden mittlerweile der von 1480 bis 1489 in Aschaffenburg tätige Maler „meister Mathis“ sowie der von 1501 bis 1540 in Seligenstadt ansässige Bildschnitzer Mathes Harer als eigenständige Persönlichkeiten aus der Biographie G.s ausgesondert.
G. signierte mit den Monogrammen „MG“ und „MGN“. Nachdem
Zülch die urkundliche Nennung G.s als „Mathis Nithart oder Gothart“ entdeckt hatte, wurde das Monogramm „MGN“ gedeutet als „Mathis Gothart alias Nithart“. Das Aussehen des Wappens von G. ist nicht bekannt, da der in seinem Nachlassinventar aufgeführte Wappenbrief nicht mehr erhalten ist.
Der Ffter Maler und Kunsthistoriker
Johann David Passavant, seit 1840 Inspektor des Städelschen Kunstinstituts, hatte noch angenommen, dass G. in Ffm. geboren sei. Ebenso vermutete er eine (nicht zutreffende) Verwandtschaft mit der Ffter Malerfamilie Fyol. Nachdem G. seine Ausbildung sehr wahrscheinlich bei einem Meister in oder um Würzburg erhalten hatte, ist 1503 seine Zusammenarbeit mit einer Nürnberger Werkstatt bezeugt. In dieser Zeit machte der Künstler wohl bereits die Bekanntschaft mit
Albrecht Dürer, auf den er vielleicht auch anlässlich der Krönung Karls V. zum König am 23.10.1520 in Aachen traf. Bereits seit dem Spätherbst 1505 bis 1526 ist G. (mit Unterbrechungen) in Aschaffenburg, der Residenzstadt der Mainzer Erzbischöfe und Kurfürsten, als „meister Mathis“ mit eigener Werkstatt und einem Gehilfen dokumentiert und dort wohl sesshaft geworden.
Von etwa 1510 an wirkte „Mathis von Ossenburg [d. i. Aschaffenburg]“ als „des Churfürsten v[on] Mentz [d. i. Mainz] Moler“ (so genannt auf einer seiner Zeichnungen; Ashmolean Museum, Oxford). Er war somit Hofmaler der ersten Fürsten des Reichs (zunächst Erzbischof Uriel von Gemmingen, dann Albrecht von Brandenburg) und führte zudem Aufträge für das Mainzer Domkapitel aus. G. war auch auf technischem Gebiet als „wasserkunstmacher“ (heute: Wasserbauingenieur) und Baumeister tätig [wie etwa auch der in München tätige Bildhauer Erasmus Grasser (um 1450 bis 1518)]. So führte G. 1510 im Auftrag des Mainzer Domkapitels Wartungsarbeiten am Brunnenzug auf der Burg Klopp in Bingen aus. 1511 lieferte er für das Aschaffenburger Schloss den Entwurf eines Kamins und eines repräsentativen Türgewändes für einen der Räume. Da der mit dem Einbau des Kamins beauftragte Ffter Baumeister Hans Mertenstein von G.s Entwurf abwich, mit dem Ergebnis, dass der Kamin nicht zog, kam es zu dem zwei Jahre währenden „Kemenaten-Prozess“ vor dem Gericht in Ffm., den Mertenstein verlor. Im Oktober 1517 besichtigte G. in Aschaffenburg den umgebauten Marktbrunnen.
Nach dem Aschaffenburger Gerichtstag im Mai 1526, der in Reaktion auf die Bauernaufstände anberaumt worden war, wurde G. aus unbekannten Gründen aus dem Mainzer Hofdienst entlassen. Kurz darauf gab Meister Mathis seinen Adoptivsohn („sein gegebenes Kind“) Endres zu dem Schreiner und Orgelbauer Arnold Rücker (um 1480-1538) in Seligenstadt in die Lehre. Als Vormund von Endres setzte G. den Ffter Seidensticker Hans von Saarbrücken ein, in dessen Haus zum Einhorn in der Barfüßergasse in Ffm. er (G.) eine Zeitlang zur Miete wohnte.
Seit der Herbstmesse 1526 lebte G. etwa ein Jahr in Ffm. Hier ist er als Seifenhersteller bezeugt, und wahrscheinlich handelte er mit Pigmenten. Viel später, im Jahr 1535, klagte der Ffter Seifensieder Lorenz Schneberger gegen Johannes von Indagine (1467-1537), den Stiftsherrn und späteren Dekan von St. Leonhard, der auch als Astrologe tätig war. In der Auseinandersetzung ging es um die Frage, für wen die stattliche Anzahl an Seifensiedergeräten aus dem Besitz G.s bestimmt gewesen sei. Im Frühjahr 1527 wurde „Meister Mathis der Maler“ vom Ffter Rat im Auftrag des Magdeburger Rats aufgefordert, eine Konstruktionszeichnung der neuen Ffter Mainmühle („muhlen-contravision“) zu erstellen; in Magdeburg sollte ein ähnliches Vorhaben zur Ausführung kommen.
Bald darauf siedelte G. nach Halle/Saale über, wo er als städtischer Wasserbauingenieur tätig wurde. Kurz vor dem 1.9.1528 starb er dort überraschend (möglicherweise an der Pest). Gemeinsam mit zwei Hallenser Bürgern gab der aus Mainz gebürtige Seidensticker Hans Plock (um 1490-1570), der auch für den Erzbischof Albrecht von Brandenburg gearbeitet und Zeichnungen von G. besessen hatte, den Tod G.s beim Rat der Stadt Halle/Saale bekannt. Dieser leitete die Nachricht an die zuständige Stelle in Ffm. weiter. Zugleich wurde um die Regelung des Nachlasses von G. zugunsten des Adoptivsohns Endres gebeten. Die vom Ffter Gericht am 27.10.1528 veranlasste Inventaraufnahme des umfangreichen Nachlasses im Haus des Hans von Saarbrücken ist das persönlichste Dokument, das Rückschlüsse auf G. zulässt. In der Aufstellung werden u. a. Kleidung, Haushaltsgegenstände, Malerutensilien, technische Geräte, Rosenkränze, Lutherschriften und halbvollendete Bildtafeln erwähnt. Als G.s mündiger Adoptivsohn Endres 1539 sein Erbe verlangte und die Herausgabe der vielen Kisten und Lädchen forderte, die im Haus zum Einhorn in der Barfüßergasse standen, wurde ihm dies von seinem Vormund Hans von Saarbrücken verweigert; dieser hatte sich bereits daran bereichert. Gerichtlich bekam sein früheres Mündel recht.
G. war vor allem im kurmainzischen Territorium tätig. Hier führte er Aufträge für den Klerus, aber auch für Stadtadelige aus. Neben Epitaphtafeln (Alte Pinakothek, München, Kopie im Museum der Stadt Aschaffenburg) fertigte der Maler die Tafeln für verschiedene Altaraufsätze in Kirchen an, die später fast alle in eine andere Kirche [St. Michael, (Creußen-)Lindenhardt/Oberfranken] oder in Museen gelangten. Das zweifach wandelbare Retabel für die Kirche des Antoniterhospitals in Isenheim im Elsass (entstanden zwischen 1512 und 1515) befindet sich heute in Colmar (Museum Unterlinden); dieses Werk beschrieb bereits 1781 ausführlich
Goethes Jugendfreund Franz Christian Lerse (1749-1800). Teile des für die Stiftskirche in Aschaffenburg geschaffenen Retabels zu Ehren der Maria Schnee (um 1516) kamen nach (Bad Mergentheim-)Stuppach (Pfarrkirche Mariä Krönung) und Freiburg/Breisgau (Augustinermuseum). Nach 1517 führte G. die drei von
Sandrart beschriebenen Flügelaltäre aus, die „zu Maynz in dem Domm auf der linken Seite des Chors in drey unterschiedlichen Capellen“ aufgestellt waren. Beim Abtransport als Kriegsbeute der Schweden im Dreißigjährigen Krieg gingen sie in der Ostsee unter. Auch eine Kopie vom Hauptbild eines der Altäre, die
Philipp Uffenbach ausgeführt hatte, blieb nicht erhalten. Sie verbrannte im 19. Jahrhundert im Besitz der
Familie Holzhausen. Eine Tafel, auf der auch der Mainzer Erzbischof und Kardinal Albrecht von Brandenburg dargestellt ist, gelangte aus Halle/Saale nach München (Alte Pinakothek). Der Altaraufsatz für die kurmainzische Oberamtsstadt Tauberbischofsheim ist heute in Karlsruhe (Staatliche Kunsthalle) zu sehen. Bei manchen Werken [in Museen in Basel, Coburg, Künzelsau (Kopie), Washington] ist der ursprüngliche Herkunftsort unbekannt, andere blieben nicht erhalten (Wappentafel von Albrecht von Brandenburg). Einzig die Tafel mit der „Beweinung Christi“, die Teil der Heiliggrabtruhe in der Aschaffenburger Stiftskirche war, ist noch an ihrem Bestimmungsort, dort heute aber fast zu übersehen.
Auch für das Ffter Patriziat wurde G. tätig. Für den Ffter Kaufmann und Ratsherrn
Jakob Heller und dessen Frau Katharina, geb. von Melem, schuf G. um 1509/10 die Standflügel des Thomasretabels, das für den Altar vor ihrer Grablege in der Dominikanerkirche bestimmt war. Es entstand ein Werk von zwei der bedeutendsten Maler der Renaissance im deutschsprachigen Raum, denn G. ergänzte das von
Dürer und dessen Werkstatt gemalte „Prestigeobjekt“ um zwei Standflügel mit der Darstellung von vier Heiligen (und Säulen mit Rankenwerk auf den Rückseiten), die einen Höhepunkt in der Geschichte der Grisaillemalerei darstellen. Vor 1742 wurden die Flügel vom Altar getrennt. Die Darstellungen des heiligen Laurentius (signiert mit „MGN“) und des heiligen Cyriakus sind heute als Dauerleihgabe des HMF im Städel Museum ausgestellt, die der heiligen Elisabeth von Thüringen und einer heiligen Märtyrerin (der heiligen Lucia?) in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. In seinen Briefen an
Heller erwähnte
Dürer den Ffter Maler
Martin Caldenbach als sachverständigen Ansprechpartner und möglicherweise Organisator vor Ort. Des Weiteren führte G. für die Dominikanerkirche eine „Verklärung Christi auf dem Berg Tabor“ (wohl als Tüchleinmalerei, also auf Leinwand) aus, die nicht mehr erhalten ist. Überliefert aber sind vorbereitende Apostelstudien (Kupferstichkabinett, Dresden), von denen eine von anderer Hand mit „frankfurt“ bezeichnet wurde. Als
Goethe 1814 die Gemäldesammlung im Ffter Dominikanerkloster besichtigte und beschrieb, erwähnte er G.s Standflügel nicht. Wohl aber kannte er Werke G.s in Aschaffenburg: „Auch hier befinden sich altdeutsche Gemählde aus aufgehobenen Klöstern: von Grünwald und andern (...).“ (Ueber Kunst und Altertum in den Rhein- und Mayn-Gegenden, 1814/15.)
Aus G.s grafischem Nachlass sind heute etwa 35 Zeichnungen überliefert, in verschiedenen Museen im In- und Ausland, aber nicht mehr in Ffm. Im 16. Jahrhundert ist ein Band mit Zeichnungen von G. bei dem Ffter Maler
Philipp Uffenbach bezeugt, der mit G.s Werken sehr gut vertraut war. Aus dem Besitz von
Uffenbachs Witwe wurde dieser Band von dem in Ffm. wohnhaften Kurpfälzer Rat Abraham Schelkens (1606-1684) für seine bedeutende Kunstsammlung erworben. Einige Zeichnungen G.s befanden sich noch Anfang des 20. Jahrhunderts in zwei Klebebänden, die von dem Ffter Rechtsgelehrten
Friedrich Carl von Savigny in den Besitz seiner Enkel übergegangen waren. Weitere Zeichnungen G.s und Grafiken anderer Künstler hatte der Seidensticker Hans Plock in seine
Luther-Bibel von 1541 eingeklebt (Stadtmuseum, Berlin).
Meister Mathis von Aschaffenburg hat sich vor allem durch seine Werke wirkmächtig in das kollektive Gedächtnis eingeschrieben. Wurden seine Bilder schon früh von hochstehenden Personen begehrt (Kaiser Rudolf II., Kurfürst Maximilian I. von Bayern) und er als einer der größten Künstler der Renaissance von europäischem Rang hoch geschätzt, so wurde doch immer wieder bedauert, wie wenig er persönlich greifbar sei. Anders als bei seinem Zeitgenossen
Dürer sind von G. keine eigenhändig geschriebenen Aufzeichnungen und Briefe überliefert (und in diesem Umfang auch sicher nicht verfasst worden). Dieser Mangel an autobiographischen Zeugnissen ist ein Grund dafür, warum G. und seine Lebensgeschichte oftmals als „rätselhaft“ bezeichnet wurden.
Ob es Selbstporträts G.s gibt, wird unterschiedlich diskutiert (möglicherweise „Erlanger Selbstbildnis“, Graphische Sammlung der Universitätsbibliothek Erlangen, sowie Selbstdarstellung als hl. Paulus Eremita oder hl. Sebastian auf dem Isenheimer Altar, Museum Unterlinden, Colmar).
Zu der 1938 uraufgeführten Oper „Mathis der Maler“ ließ sich
Paul Hindemith von G.s Leben und Werken inspirieren. Der Komponist, der auch selbst das Libretto schrieb, hatte im Vorfeld zahlreiche zeit- und kunsthistorische Sekundärliteratur gelesen und exzerpiert, darunter
Zülchs Aufsätze. Inhaltlich setzte sich
Hindemith in seiner Oper mit den gesellschaftlichen Aufgaben eines Künstlers auseinander.
Erinnert wird an G. u. a. mit Denkmälern in Würzburg und Halle/Saale, durch die Benennung von Gebäuden (Aschaffenburg, Tauberbischofsheim, Würzburg), eines Verlags (Mainz) und eines Asteroiden (durch den Astronomen Freimut Börngen entdeckt 1995 und nach G. benannt 1999) oder auch durch Straßen- und Platznamen in zahlreichen Städten Deutschlands. Obwohl bekannt ist, dass in Ffm. G. als Maler und Wasserkunstmacher tätig war, zwei Gerichtsprozesse stattfanden, sein Nachlass verwahrt wurde, sein Adoptivsohn als Deutsch- und Rechenlehrer arbeitete, G.s Zeichnungen gesammelt wurden und die Kunstgeschichtsschreibung sich ausführlich mit ihm beschäftigte, findet sich im Stadtgedächtnis Fft.s keine Spur von G.
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Frankfurter Biographie 1 (1994), S. 279f.,
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