Ältestes von neun Kindern des liberalen Gießener Medizinprofessors Philipp Friedrich Wilhelm V. (1789-1861) und dessen Ehefrau Luise, geb. Follenius (1797-1877). Neffe der radikalen Demokraten und Burschenschafter Adolf Ludwig (1794-1855), Karl (1795-1840) und Paul Follen (1799-1844). Philipp Friedrich Wilhelm V. war 1833 über das Vorhaben des Ffter Wachensturms unterrichtet, übernahm nach dessen Scheitern die ärztliche Betreuung inhaftierter Teilnehmer und soll dabei heimlich Nachrichten übermittelt haben. Aufgrund politischer Repressionen nahm er 1834 einen Ruf an die Universität Bern an.
Carl V. studierte seit 1833 Medizin und seit 1834 Chemie in Gießen. Kommilitone von
Georg Büchner. Mitglied von Burschenschaft und Corps „Palatia Gießen“. 1835 Flucht in die Schweiz angesichts laufender Ermittlungen gegen ihn wegen politischer Agitation. Fortsetzung des Studiums in Bern. 1839 Promotion zum Dr. med. mit einer Arbeit „zur Anatomie der Amphibien“. Bekanntschaft mit dem Naturforscher Louis Agassiz (1807-1873) und Mitwirkung an dessen „Histoire naturelle des poissons d’eau douce de l’Europe centrale“ (1842) sowie eigene Arbeiten, u. a. „Untersuchungen über die Entwicklungsgeschichte der Geburtshelferkröte“ (1842). Ab 1844 Studien- und Forschungsaufenthalte in Paris, Rom und Nizza, wo er u. a. Michail Bakunin und Georg Herwegh kennenlernte. Auf Fürsprache von Justus Liebig und Alexander von Humboldt 1847 als Professor für Zoologie nach Gießen berufen. Sein weites Forschungsfeld umfasste Bereiche der Medizin, Zoologie, Physiologie, Chemie, Geologie und Anthropologie. Mit Jacob Moleschott (1822-1893) und Ludwig Büchner (1824-1899) gehörte V. zu den bekanntesten Vertretern eines natur- und weltanschaulichen Materialismus, den er später in der berühmten Debatte mit dem Göttinger Anatomen Rudolph Wagner (1805-1864) publikumswirksam verteidigte („Köhlerglaube und Wissenschaft. Eine Streitschrift gegen Hofrath Rudolph Wagner in Göttingen“, 1855).
Im Frühjahr 1848 gehörte V. dem Vorparlament und anschließend dem Fünfzigerausschuss zur Vorbereitung einer Nationalversammlung in Ffm. an. Als Abgeordneter für den Wahlkreis 6 (Großherzogtum Hessen in Gießen) wurde er in die Deutsche Nationalversammlung gewählt, wobei er sich gegen
Heinrich von Gagern, den späteren Präsidenten des Ffter Parlaments, durchsetzte. V. schloss sich, wie
Robert Blum, der Fraktion der Demokraten im Paulskirchenparlament an, die sich im „Deutschen Hof“ versammelte, und zählte zu den herausragendsten und auch gefürchtetsten Rednern auf Seiten der Linken.
Trotz aller Schärfe, die V. in der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner pflegte, wahrte er Distanz zur radikalen Demokratie. Das zeigte sich auch, als in Ffm. am 18.9.1848 Barrikadenkämpfe ausbrachen, nachdem eine knappe Mehrheit der Nationalversammlung dem Waffenstillstand von Malmö zwischen Preußen und Dänemark zugestimmt hatte. V. lehnte nicht nur den geforderten Auszug der Linken aus dem Parlament ab, er unternahm auch den – ergebnislosen – Versuch, persönlich zwischen dem Militär und den Aufständischen zu vermitteln. Im Auftrag der Linken verfasste er anschließend die Schrift „Der achtzehnte September in Fft.“ (1848), in der der Vorwurf einer organisierten Gewaltaktion zurückgewiesen wird; dem preußischen Militär und der Provisorischen Zentralgewalt wird eine entscheidende Mitverantwortung für die Exzesse in Ffm. zugesprochen, und auch die beiden Abgeordneten,
Felix Fürst von Lichnowsky und
Hans von Auerswald, die im Verlauf des Aufstands von einer aufgebrachten Menge ermordet worden waren, hätten ihr Schicksal durch ihr provozierendes Auftreten gegenüber dem empörten Volk mitverschuldet. Durch die Betonung der Spontaneität der Ereignisse in Ffm. sollte die Schrift V.s die Zentralgewalt und das Parlament davon abbringen, den Septemberaufstand als Anlass für die Einschränkung demokratischer Rechte zu nutzen, was die gegenrevolutionären Kräfte gewünscht hätten.
Als am 12.10.1848 die Linken der Nationalversammlung eine vierköpfige Delegation wählten, die ins revolutionäre Wien reisen sollte, verzichtete V. nach Stimmengleichheit bei der Wahl zugunsten
Robert Blums auf die Nominierung. Kurz vor seiner Hinrichtung in der Wiener Brigittenau am 9.11.1848 schrieb
Blum einen Abschiedsbrief an V. mit der Bitte, sich um seine Familie, besonders um seinen Sohn Hans B. (1841-1910), zu kümmern. Später führten Hans B.s Eintreten für
Bismarck und sein Engagement für die Nationalliberalen zum Bruch mit dem „Ziehvater“ V.
In den weiteren Debatten der Nationalversammlung setzte sich V. für die Stärkung der parlamentarischen Demokratie, das Prinzip der Volkssouveränität und – als erklärter Atheist – für die Trennung von Kirche und Staat ein. In der Frage der Grenzen eines deutschen Staates plädierte er für den Anschluss Deutsch-Österreichs; die Wahl des preußischen Königs Friedrich Wilhelms IV. zum Erbkaiser lehnte er jedoch ab, obwohl der „Deutsche Hof“ zumindest am Beginn der Beratungen auch für eine „demokratische Monarchie“ offen gewesen wäre. V. war zudem Mitarbeiter der Deutschen Reichstagszeitung, der Parlamentskorrespondenz der Linken, und Mitglied des Centralmärzvereins. Nach der Ablehnung der Kaiserwürde durch Friedrich Wilhelm IV. im April 1849 beteiligte sich V. noch an der letztlich erfolglosen Reichsverfassungskampagne und gehörte zu den fünf Mitgliedern der vom Stuttgarter Rumpfparlament ernannten Reichsregentschaft. Ende Juni 1849 floh V. in die Schweiz. In Gießen wurde wegen Hoch- und Landesverrats gegen ihn ermittelt, und er wurde seines dortigen Lehrstuhls enthoben, obwohl er noch in die Zweite Kammer der Landstände (1849-50) gewählt wurde. 1852 erhielt V. eine Professur in Genf, zunächst für Geologie, später (1872) auch für Zoologie, die er bis 1895 innehatte. Er nahm die Schweizer Staatsbürgerschaft an und gehörte u. a. dem Ständerat (1856-71) und dem Nationalrat (1878-81) an.
Auch für seine späteren Lebensjahre lassen sich zahlreiche Verbindungen und Aufenthalte V.s in Ffm. nachweisen, die sich einerseits aus seiner Position als bekannter Demokrat und Publizist der Linken, andererseits aus seinen wissenschaftlichen Arbeiten und Vorträgen ergaben. In zahlreichen Schriften, die er oft im eigenen Genfer Verlag veröffentlichte, verarbeitete er seine Revolutionserfahrungen und nahm er immer wieder Stellung zu politischen und nationalen Fragen. Darin zeigt sich sein politisches Denken, das eng mit seinem weltanschaulichen Materialismus verknüpft war, als ein herausragendes Beispiel für den politischen Paradigmenwechsel der Linken nach 1848/49, die Ablösung idealistischer Positionen durch einen neuen Realismus. In der aufsehenerregenden Schrift „Studien zur gegenwärtigen Lage Europas“ (1859) forderte V. in diesem Sinne eine neue Realpolitik; darin neigte V. dazu, die deutsche Frage durch einen Krieg zu entscheiden, in dem Frankreich und die italienische Nationalbewegung unter Führung Sardinien-Piemonts Österreich schlagen sollten, um es Preußen zu ermöglichen, die deutschen Staaten – auch mit Gewalt – in einem unitarischen Nationalstaat zu vereinigen. Darauf erfuhr V. aus Kreisen der Demokraten heftigen Widerspruch und zahlreiche Anfeindungen. Vor allem die extreme Linke übte scharfe Kritik. Karl Marx sah sich zu einer Entgegnung („Herr Vogt“, London 1860) veranlasst, die in dem Vorwurf gipfelte, V. – der nie einen Hehl aus seinen politischen und wissenschaftlichen Kontakten nach Frankreich gemacht hatte – stehe im Sold des französischen Kaisers Napoleon III.
Zugleich ergab sich eine kurze Annäherung V.s an den 1859 in Ffm. gegründeten Nationalverein, der bemüht war, auch die Demokraten einzubinden und deshalb 1862 beschloss, die Reichsverfassung von 1849 als politisches Programm anzuerkennen. V., der im Oktober 1862 mit anderen Demokraten in Ffm. zusammentraf, empfahl zunächst eine Mitarbeit im Nationalverein. Obwohl er ursprünglich für ein unitarisches Großpreußen plädiert hatte, distanzierte sich V. später von
Bismarcks Deutschlandpolitik. Er betrachtete
Bismarck als Vertreter eines autoritären und militaristischen Preußentums und trat daher 1864 in der Schleswig-Holstein-Krise für ein föderatives Deutschlandkonzept und die Stärkung der Mittelstaaten gegen Preußen und Österreich ein („Andeutungen zur gegenwärtigen Lage“, Ffm. 1864). V. scheute sich nie, einen eigenen Standpunkt einzunehmen und diesen mit allen Mittel der Polemik zu behaupten: „Gewohnt, meine Ansichten selbstständig zu entwickeln, habe ich niemals mich ängstlich umgeschaut und gefragt, ob und wo dieselben auch ein Echo finden werden.“ (Vogt: Studien zur gegenwärtigen Lage Europas 1859, S. VII.) Er wurde daher 1864 in den in Ffm. erscheinenden Wochenblättern des Nationalvereins und des großdeutschen Reformvereins heftig angegriffen. Auch die Art und Weise der Reichsgründung von 1870/71 kritisierte V. („Politische Briefe an
Friedrich Kolb“, 1870).
Im Rahmen seiner publizistischen Tätigkeit arbeitete V. auf Vermittlung
Otto Volgers ab 1858 an der im Ffter Verlag von Meidinger erscheinenden Zeitschrift „Mittheilungen aus der Werkstätte der Natur“ mit, die zur populären Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse beitragen sollte. Wissenschaftliche und vor allem politische Differenzen führten allerdings zu Auseinandersetzungen zwischen V. und
Volger. Der großdeutsche Föderalist
Volger störte sich an V.s negativen Äußerungen über Österreich und den damit verbundenen großpreußischen Plänen; er bezeichnete daher V., der wiederum
Volgers Arbeiten kritisch besprochen hatte, als einen „vaterlandsflüchtigen Revolutionsgeologen“ (Volger: Buch der Erde 1859, Bd. 2, S. IV.)
V., der in den nächsten Jahren zahlreiche Vortragsreisen unternahm, in denen er u. a. über die Entstehung des Menschen auf Grundlage der Evolutionslehre Darwins referierte, hielt auch in Ffm. Vorträge und schrieb gelegentlich für das Feuilleton der FZ. Nach seinem Tod erwarb die Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft in Ffm. die ca. 20.000 Bände umfassende Bibliothek V.s.
Weitere naturwissenschaftliche Werke, u. a. „Physiologische Briefe“ (Ffm. 1847), „Ocean und Mittelmeer“ (2 Bände, Ffm. 1848), „Untersuchungen über Thierstaaten“ (Ffm. 1851), „Vorlesungen über den Menschen“ (2 Bände, 1863) und „Die Säugetiere in Wort und Bild“ (1883), und politische Schriften.
Autobiographische Schriften („Aus meinem Leben“, 1896) und Briefe („Carl Vogt – Erinnerungen an die deutsche Nationalversammlung 1848/49. Briefe aus dem Exil“, hg. v. Günther Klaus Judel, 2005).
Aus der 1854 geschlossenen Ehe V.s mit Anna-Maria Michel (1827-1902), der Tochter eines Hoteliers, stammten fünf Kinder, u. a. der Sohn Guillaume (auch: William) V. (1859-1918), der später zu den Genfer Radikalen gehörte und eine Biographie seines Vaters („La vie d’un homme: Carl V.“, 1896) verfasste.
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