H. entstammte einer alteingesessenen Ffter jüdischen Familie. Seine Vorfahren mit den angesehenen Namen Baer, Epstein, Schiff, Cassel, Koch und Flersheim waren häufig Buchhändler und sonst Kaufleute, Juristen, Juweliere, Ärzte und Kunstsammler.
Die Eltern
Ludwig H. (1870-1951) und Clara (auch: Claire) Koch (1880-1936) heirateten im Sommer 1900. Im Jahr darauf kam H. zur Welt, und sein Bruder Robert H. wurde 1905 geboren.
Ab 1909 besuchte H. das Goethe-Gymnasium. Nach dem Abitur studierte er – wie sein Vater – Rechtswissenschaften, zunächst in Ffm., später in Heidelberg. 1928 wurde er an der Ffter Universität von
Hugo Sinzheimer promoviert; die Dissertation („Die rechtliche Stellung der Betriebsratsmitglieder im Aufsichtsrat“) datiert bereits von 1923. Im selben Jahr war H. in die von mütterlicher Linie begründete Firma „Juwelier Robert Koch“ eingetreten, deren Teilhaber er 1930 nach dem Tod seines Großonkels, des Juweliers
Louis Koch (1862-1930) und Bruders von
Robert Koch (1852-1902), wurde. In der Kaiserstraße 25/Ecke Neue Mainzer Straße lag das berufliche Zentrum der Familie: das imposante Geschäftsgebäude „Juwelier Robert Koch“. Es war 1875 von Architekt
Paul Wallot ursprünglich für einen Bankier errichtet worden, beherbergte ab 1902 nicht nur den international tätigen Juwelierladen, sondern auch die mit einem Sozius geführte Anwaltskanzlei des Vaters. Der jüngere Bruder studierte ebenfalls Jura. Robert H. erlangte noch 1934 in Heidelberg den Doktortitel, musste aber schon im Februar 1933 verfolgungsbedingt aus dem Staatsdienst ausscheiden. Er arbeitete nun ebenfalls für die Juwelierfirma, wirkte außerdem für die Isaak Hertz’sche Stiftung und beschäftigte sich privat mit rechtswissenschaftlichen Fragen.
Das Verhältnis von H. zu Eltern und Bruder war stets überaus inniglich. Die Familie pflegte in ihrem Wohnhaus Niedenau 84 im Ffter Westend einen groß- und bildungsbürgerlichen Lebensstil, der von geselligen Anlässen, Reisen und Kontakten zu Politik, Wirtschaft und Kultur gekennzeichnet war. So hielt sie Bekanntschaft mit den Malern
Max Beckmann und
Jakob Nussbaum; letzterer porträtierte
Ludwig H. 1925 in Öl. Mutter und Bruder ließen sich im renommierten Fotostudio
Nini &
Carry Hess ablichten.
Beckmann fertigte 1946 eine Zeichnung von H. in Amsterdam.
Besonders mit dem Vater verband H. ein leidenschaftliches Interesse an Büchern; beide verehrten
Goethe und publizierten selbst u. a. zu Fragestellungen, die sich aus dem Werk des Dichterfürsten für sie ergaben, etwa zu „Faust“ oder zu „Der ewige Jude“. Außerdem waren die Männer als Sammler Mitglieder in der Ffter „Bibliophilen Gesellschaft“. 1933 heiratete H. die Übersetzerin Lore Grages (1906-?). Sie kam aus einer nichtjüdischen Ffter Familie, und ihr Vater äußerte seinem Schwiegersohn in spe gegenüber, er hätte nichts gegen ihn als Person, auch dessen Familie und Firma seien ihm wohlbekannt, aber – so erinnerte H. das Gespräch – „in seiner Familie habe es noch nie eine Versippung mit einem Juden gegeben“. (Heilbrunn: Zehn Nachtwachen 2000, S. 212.) Die Verbindung in „Mischehe“, so lautete schon bald die diskriminierende Definition der Nationalsozialisten, sollte H., der Ende 1942 in das niederländische Internierungslager Westerbork verschleppt wurde, das Leben retten.
Die nationalsozialistische „Machtübernahme“ 1933 zerstörte auch das Leben der Familie H. Zum 31.3.1933 musste der Vater unter Zwang sein Ausscheiden aus der Anwaltskammer erklären; drei Monate später wurde ihm das Notariat entzogen. 1936 starb nach schwerer Krankheit die Mutter. Zu ihrem dritten Todestag 1939 wird
Ludwig H. aus dem Londoner Exil an H. schreiben: „Gerade gemessen an dem, was wir an ihr verloren haben, empfinde ich fast Dankbarkeit, dass ihr, die so stolz an ihrer Tradition hing, all das, was wir erleben mussten, erspart blieb.“ (Brief von
Ludwig H., London, 27.6.1939, in: JMF, Sammlung JMF2011-19.)
Während der Novemberpogrome 1938 befand sich H. auf Reisen. In seinen Erinnerungen schrieb er: „Am 10. November telefonierte man mir aus Ffm., dass mein Vater in seiner Wohnung wohlbehalten sei. Zeitungsberichte erklärten diese unverständliche Nachricht. Die deutschen Machthaber hatten das törichte Attentat eines jüdischen Knaben in Paris zum Vorwand genommen, einen Pogrom zu inszenieren, der alle bisherigen Grausamkeiten und Gesetzlosigkeiten übertraf. Wahllos hatte man alle jüdischen Männer verhaftet. (…) Wohnungen und Geschäfte jüdischer Inhaber waren geplündert, Synagogen angezündet worden. (…) Ich musste versuchen, für Vater und Familie einen Ort zu finden, der einigermaßen Sicherheit bieten konnte.“ (Heilbrunn: Zehn Nachtwachen 2000, S. 294.)
H. und Ehefrau flüchteten in die Niederlande, und Bruder Robert rettete sich in die USA. Von der Habe, die mitgenommen werden sollte, waren Verzeichnisse in mehrfacher Ausfertigung aufzustellen. Für die 10.000 Bände seiner Bibliothek war das äußerst mühsam, erinnerte H. sich später. Gegenstände, die als „national wertvoll“ qualifiziert wurden, durfte er nicht ausführen. Das Mobiliar wurde in Lifts verpackt und verrottete jahrelang unbesehen in den Niederlanden; am Ende waren die meisten Habseligkeiten unbrauchbar. Um im Exil notdürftig zu überleben, mussten H. und sein Vater wiederholt Bücher unter Wert veräußern. Einen Teil des Familienbesitzes sicherten die Schwiegereltern. Die Ffter Grundstücke und das Kronberger Sommerhaus in der Jaminstraße 10 mussten zwangsweise verkauft werden.
Am 2.12.1942 wurde H. in Amsterdam verhaftet. Zehn Tage später wurde er vom Polizeigefängnis an den Hauptbahnhof und von dort gewaltsam in das Internierungslager Westerbork verschleppt; nach neun Monaten wurde er entlassen. H. überlebte den Zweiten Weltkrieg mit sehr viel Glück in Amsterdam.
Dem Vater war 1939 im Alter von knapp 70 Jahren die Flucht nach Großbritannien geglückt; krank, einsam und völlig mittellos vegetierte er in London. Sporadischer Briefkontakt zu H. in Amsterdam war zunächst noch möglich; im Frühjahr 1940 brach jedoch die Korrespondenz ab. Die deutschen Angriffe auf die neutralen Niederlande, auf Belgien und Luxemburg standen unmittelbar bevor. Mehr als fünf lange Jahre lang wussten H., Bruder und Vater nicht voneinander, ob die nächsten Angehörigen noch lebten. Erlösende Nachrichten kamen erst wieder nach Ende des Zweiten Weltkriegs im Sommer 1945.
Im September 1947 hatte H. dem Vater von der ersten Reise seiner Ehefrau zurück nach Ffm. berichtet: „(…) aber natürlich hat sie [d. i. Lore H.] das Wiedersehen mit den Ruinen sehr aufgeregt und das Bewusstsein unserer Heimatlosigkeit wieder sehr geweckt.“ (Brief von H., 21.9.1947, in: JMF, Sammlung JMF2011-19.) Trotz dieses Schmerzes suchte er den Kontakt zu seiner Geburtsstadt, auch um gemeinsam mit Bruder Robert eigene Restitutionsangelegenheiten zu regeln. 1952 wurde die Ehe mit Lore H. geschieden. Für einige Jahre lebte H. in der Schweiz. Erst 1962 kehrte er in die Bundesrepublik Deutschland zurück. 1971 heiratete er Gertrud Elisabeth Petry (* 1921) und wohnte mit ihr bis zu seinem Tod 1998 in Kaiserslautern. Dort baute er sich eine neue Existenz auf – als Intellektueller, Privatgelehrter, Historiker und Autor. Zu Vorträgen – etwa über
Goethe und
Ludwig Börne – reiste er bisweilen wieder nach Ffm. Sein Bruder Robert H., zeitweise Mitarbeiter des Office of the United States High Commissioner for Germany, hatte indes entschieden, in den USA zu bleiben; er starb 1991 in Washington D. C. Der Vater war 1950 schwerkrank nach Deutschland zurückgekehrt und starb ein Jahr später in einem Sanatorium bei Baden-Baden.
Von 1928 bis zum Ausschluss in der NS-Zeit (1935) und erneut nach 1945 war H. Mitglied der von seinem Vater mitbegründeten „Ffter Gesellschaft für Handel, Industrie und Wissenschaft“, deren Ältestenrat er bis zuletzt angehörte; 1995 wurde er zum Ehrenmitglied der Gesellschaft ernannt.
Veröffentlichte Schriften von H.: „Die Emanzipation der Ffter Juden“ (1958), „Das Bankhaus J. Dreyfus & Co. Fft. – Berlin 1868-1939“ (1962), „Das Ende der freien Stadt Fft.“ (1963), „Stadt der Begegnung. Das Fft. des jungen
Goethe“ (1965), „Leben und Werk des Malers
Moritz Daniel Oppenheim“ (in: Bulletin des Leo Baeck Instituts, 1966), „Max Jakob Friedlaender. Erinnerungen und Aufzeichnungen“ (als Herausgeber, 1967), „Die Bedeutung
Ludwig Börnes im deutschen Vormärz“ (1986), „Zwischen Main und Lauter. Historische Studien und Begegnungen“ (1991) u. a.
In seinen Lebenserinnerungen, die posthum 2000 unter dem Titel „Zehn Nachtwachen“ erschienen, reflektierte H. das politische und lokalgeschichtliche Zeitgeschehen bis zum Zeitpunkt seiner Verhaftung 1942 und legte gleichzeitig ausführlich Zeugnis über seine Ffter Familiengeschichte ab.
Familiengrab auf dem Jüdischen Friedhof Rat-Beil-Straße in Ffm.
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