Scheuermann, Julie Johanna, gen. Julia Virginia, in 1. Ehe verh. Fuld (auch gen.: Fould), in 2. Ehe verh. Laengsdorff. Psd.: Julia Virginia. Signum: JVL. Schriftstellerin und Übersetzerin. Bildhauerin und Malerin. Diese Angaben konnten anhand von Dokumenten zweifelsfrei bestätigt werden.* 1.4.1878 Ffm., Diese Angaben konnten anhand von Dokumenten zweifelsfrei bestätigt werden.† 23.4.1942 Ffm.
Ältere von zwei Töchtern des späteren Amtsgerichtsrats Johann
Wilhelm Adam Sch. (1842-1911) und seiner Ehefrau
Ida Helene Wilhelmine L(o)uise, geb. Bromm (1853-1927). Die Mutter stammte aus der Ffter
Patrizierfamilie Bromm. Die Schwester Anna
Mathilde, gen. Thilde, Sch. (in 1. Ehe gesch. Bretthauer, 1882-1973) heiratete in zweiter Ehe 1912 den Offizier Georg Karl
Kurt Ritter von Eberhard (1881-?), dessen Mutter aus der jüdischen Ffter Familie Fuld kam. Kurt von Eberhard war somit wahrscheinlich ein Neffe von Julia Virginia Sch.s erstem Ehemann Eugen August Fuld.
Sch. war vielseitig talentiert, sprachbegabt und zeigte früh eine Neigung zur Malerei und Plastik. Die 18-Jährige ging zur künstlerischen Ausbildung zunächst nach München, möglicherweise bei
Karl Ludwig Sand, dann nach Kassel, da die dortige Akademie als einziges staatliches Institut Bildhauerinnen zuließ. Im Hause ihres Onkels in Kassel lernte Sch. den Bildhauer Gustav Eberlein (1847-1926) kennen, in dessen Berliner Atelier sie seit 1899 unter seiner Leitung weiterarbeitete. Sch. entwickelte sich bald zur erfolgreichen Porträtistin, die mit ihren Werken auf der Großen Berliner Kunstausstellung 1900 vertreten war. Sie schuf Büsten und Reliefs u. a. von den Schriftstellern
Ludwig Fulda und Hermann Sudermann (1857-1928; 15 Briefe von Sch. an Sudermann, 1903-28, im Deutschen Literaturarchiv Marbach), dem Dichterkomponisten Victor von Woikowsky-Biedau (1866-1935) und dem Ffter Juristen Karl Philipp Diehl (1833-1904). 1903/04 hielt sich Sch. erneut in München auf, wo sie von Franz von Lenbach (1836-1904) mehrfach porträtiert wurde (u. a. in einem Halbakt als Bacchantin auf einem Fuchsfell, 1903; aus Bundeseigentum als Dauerleihgabe der Stadt Schrobenhausen im Lenbachmuseum Schrobenhausen). Durch ihre Italienreisen wurde sie zur Dichtkunst angeregt. Abgesehen von weiteren Winteraufenthalten in Berlin lebte Sch. seit 1906 zumeist in Ffm. Schon damals lieferte sie Beiträge für Zeitungen und Zeitschriften, u. a. einen zweiteiligen Artikel „Ffm. und seine Frauen” für die „Frauen-Rundschau” (mit
Elisabeth Mentzel, 1907). 1912 zog Sch. nach Paris, möglicherweise zum weiteren Studium der Malerei. Seit ihrer Verheiratung (1913) mit dem aus Ffm. stammenden Bankier Eugen August Fuld (1852-1920), der sich – wohl in bewusstem Anklang an die bekannte französische Bankiersfamilie – Eugène Fould nannte, führte sie den Namen Julie oder auch Virginia Fould. Bei Beginn des Ersten Weltkriegs übersiedelte das Ehepaar aus Paris in die Schweiz. Nach dem Tod ihres Ehemanns im Sommer 1920 kehrte Julia Virginia nach Ffm. zurück, wo sie die Häuser Leerbachstraße 71 und Klingerstraße 25 erwarb. Im Februar 1922 verheiratete sie sich erneut, mit dem weitgereisten Kaufmann, Weltkriegsoffizier und nunmehrigen Privatier
Richard Leopold Alfred Laengsdorff (1877-1941), einem Bekannten aus der Kinderzeit, mit dem sie, seit etwa 1923/24, in ihrem Haus in der Leerbachstraße 71 im Westend wohnte. In ihren späten Ffter Jahren war Sch. vor allem als Feuilletonistin tätig. Mitarbeiterin der Ffter Nachrichten, u. a. für eine Reihe von Künstlerporträts („Stimmungsbilder aus dem Leben großer Künstler”, um 1928), sowie der Zeitschriften „Neue Frauenkleidung und Frauenkultur” (nachweislich mit Beiträgen über „Die Droste und die Frauenfrage”, 1926, und „
Goethe-Malerinnen”, 1931/32) und „Frau und Gegenwart” (etwa mit einem Artikel zum 70. Geburtstag der Malerin
Ottilie W. Roederstein, 1929). Verfasserin der Artikelserie „Ffter Frauenköpfe” für das Stadtblatt der FZ (um 1935-37). Befreundet mit Richard Dehmel (1863-1920), Detlev von Liliencron, Paul Heyse (1830-1914), Josephine Levy-Rathenau (1877-1921) und Wilhelm von Scholz (1874-1969).
Mitglied im Berliner Frauenclub von 1900, im Deutschen Schriftstellerinnenbund und im Deutschen Schriftstellerverband, nach 1934 im Reichsverband Deutscher Schriftsteller. 1927 Gründungsmitglied und seit 1932 Vorstandsmitglied in der Ffter Sektion der „Gemeinschaft deutscher und österreichischer Künstlerinnen aller Kunstgattungen“ (GEDOK), in der sie zudem als Beirätin der Fachgruppe für Literatur tätig war. Mitglied in der Schopenhauer-Gesellschaft. Durch Testament vom 21.3.1942 vermachte Sch. der Schopenhauer-Gesellschaft einen Brief von
Schopenhauer (an Sibylle Mertens-Schaaffhausen, 9.9.1849) für das damals in Ffm. geplante Schopenhauer-Museum.
Weitere schriftstellerische Werke: Gedichtbände, u. a. „Primitien” (1903), „Sturm und Stern” (1905, Neuausgabe 2017) und „Das bunte Band” (1913).
Verschiedene Herausgabearbeiten sowie Übersetzungen aus dem Französischen und Ukrainischen, u. a. „Maria Bashkirtseff, Tagebuchblätter und Briefwechsel mit Guy de Maupassant” (1906), „Frauenlyrik unserer Zeit” (Anthologie, 1907), „Ausgewählte Gedichte von Annette von Droste-Hülshoff” (1907), „Ausgewählte Gedichte von Taras Schewtschenko” (1911) und „Der Künstler”, autobiographischer Roman von Taras Schewtschenko (1911/12).
Ein weiteres der Porträts, die Franz von Lenbach von Sch. angefertigt hat, befindet sich im Besitz des Lenbachhauses in München (Öl auf Pappe, nach 1900, Inv. Nr. L 277).
Seit 22.6.2019 Stolpersteine für Julia Virginia und ihren Mann Richard Laengsdorff vor ihrem langjährigen (und erhaltenen) Wohnhaus in der Leerbachstraße 71 im Ffter Westend. Richard Laengsdorff, der in den 1920er Jahren im Verlagswesen tätig und bis 1937 in der Abteilung für Auslandskorrespondenz bei der Firma „Lurgi“ angestellt war, wurde in der NS-Zeit aufgrund seiner jüdischen Herkunft diskriminiert und nach dem Novemberpogrom 1938 für fünf Wochen im KZ Buchenwald inhaftiert; im April 1940 emigrierte er über Luxemburg nach Paris, wo er im Frühjahr 1941 starb. Auf den Tag genau zwei Jahre nach seiner Ausreise starb Sch. nach längerer Krankheit in ihrer Wohnung in der Leerbachstraße 71. Sie ist in der Grabstätte ihrer Eltern auf dem Ffter Hauptfriedhof (Gewann V 416) beigesetzt; in dem Grab sind auch ihr erster Ehemann Eugen August Fuld und ihre Schwester Mathilde von Eberhard bestattet.
Einzelne Briefe von Sch., u. a. an
Alexander Askenasy (o. D.),
Hermann Dechent (1927),
Friedrich Nicolas Manskopf (1924) und
Rudolf Presber (1911), in der UB Ffm.
.
Frankfurter Biographie 2 (1996), S. 274,
.