Neuerscheinungen vom 10. Juni 2024

Einleitung: 

Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,

heute knüpfe ich an das Editorial vom März des Jahres an, in dem es um Frankfurter Traditionsunternehmen ging. Weitbekannte Markenprodukte aus Frankfurt waren einst etwa Adler Automobile, Creme Mouson und Feist Sekt. Aus der Dynastie der Sektkellerei stammt eine schillernde Persönlichkeit, die im diesmaligen Artikel des Monats vorgestellt wird.

Artikel des Monats Juni 2024:
Vom Frankfurter Westend nach Rottach am Tegernsee

Sie war die letzte Lebensgefährtin und Haupterbin des Schriftstellers Ludwig Thoma: Maidi von Liebermann. Die Frankfurterin, geboren 1884 als Marie Feist-Belmont, war die einzige Tochter des (aus einer jüdischen Familie stammenden) Weinhändlers und Sektfabrikanten Carl Feist-Belmont und seiner (aus einem Altfrankfurter Bürgerhaus kommenden) Ehefrau Auguste, geb. Graubner. Maidi wuchs mit einem älteren Bruder in wohlhabenden Verhältnissen im Frankfurter Westend auf und erhielt eine gute Schulausbildung. Eigentlich wollte sie gerne Opernsängerin werden, was ihr jedoch nicht erlaubt wurde.
Auf zwei Bällen in Nürnberg traf die 19-Jährige 1904 den 37 Jahre alten Schriftsteller Ludwig Thoma, der damals für die satirische Wochenzeitschrift „Simplicissimus“ in München schrieb. Die Begegnung blieb folgenlos. Im Januar 1910 heiratete Maidi Feist-Belmont den jüdischen Unternehmer Willy Liebermann von Wahlendorf aus Berlin. Einige Jahre später, im August 1918, sahen sich Maidi von Liebermann und Ludwig Thoma bei einem Wohltätigkeitskonzert in Rottach wieder. Thoma verliebte sich heftig in sie, und sie wurden ein Paar. Maidi konnte sich dennoch nicht entschließen, ganz zu Thoma nach Rottach zu ziehen, nicht nur, um ihre Scheidung abzuwarten. Thomas Antisemitismus störte sie. Sie ging daher nach Stuttgart, wo sie eine Gesangsausbildung begann, und unternahm Konzertreisen. Thoma schrieb ihr fast täglich und besuchte sie häufig. Als er 1921 starb, vermachte er ihr als seiner erhofften Ehefrau sein Haus in Rottach und seine Verlagsrechte. Daraufhin brach Maidi von Liebermann ihr eigenes Leben ab und übersiedelte nach Rottach, um das Erbe zu verwalten.
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Schluss: 

Auch in anderen Neuerscheinungen in diesem Monat spielen traditionsreiche Frankfurter Handelshäuser ihre Rolle. So begann der später bis zum Geheimen Regierungsrat im preußischen Kultusministerium aufgestiegene Gerd Eilers seine Karriere 1813 in Frankfurt als Hauslehrer bei der Familie von Friedrich Schmidt, der damals Teilhaber eines der ersten Frankfurter Teehandelshäuser („Thee-Schmidt“) war. Aus der Familie Hessenberg, die seit 1768 das bis heute bekannte Juweliergeschäft in Frankfurt führte, kamen die Mathematiker Gerhard und Karl Hessenberg.

Die Familie Hessenberg ist zudem verbunden mit dem Arzt und Psychiater Heinrich Hoffmann, dessen Tochter Lina im Jahr 1866 den Juristen Carl Hessenberg heiratete. Einen besonderen Bezug zu Hoffmann und dessen weltberühmtem Bilderbuch „Der Struwwelpeter“ hat wiederum Philipp (von) Fabricius, ein anderer Protagonist eines neuen Artikels aus der aktuellen Lieferung: Fabricius war das Urbild für den „Zappel-Philipp“ in der Geschichte, die erstmals in der zweiten Auflage vom „Struwwelpeter“ 1846 enthalten war. Autor Hoffmann benannte die Figuren in seinem Buch, das ursprünglich für seine eigenen Kinder gedacht war, nach deren Spielkameraden und -kameradinnen wie den etwa gleichaltrigen Kindern aus seinem Kollegenkreis. So wurde der kleine Philipp, Sohn des Arztes Friedrich Wilhelm Fabricius, zum „Zappel-Philipp“, und Paulinchen in der „gar traurigen Geschichte mit dem Feuerzeug” bekam ihren Namen von Pauline Schmidt. Deren Vater, der Arzt Adolph Schmidt (später Schmidt-Heyder), war übrigens einer der beiden Schüler gewesen, die früher von Gerd Eilers im Hause des Kaufmanns Schmidt unterrichtet wurden.

Die Verbindungen und Vernetzungen unter den Personen, die sich aufgrund der Artikel im Frankfurter Personenlexikon ergeben, sind immer wieder erstaunlich. Oft steht man aber auch ungläubig oder gar fassungslos vor den Brüchen und Widersprüchen in manchen Biographien. Wie ging z. B. Maidi von Liebermann (die Dame aus dem Artikel des Monats) mit dem Dilemma um, sich als Tochter eines ursprünglich jüdischen Vaters in einer Beziehung mit einem dezidiert antisemitisch gesinnten Schriftsteller zu befinden?
Nicht ohne kritische Vorbehalte lassen sich heute die Lebensgeschichten Alva und Gunnar Myrdal lesen. Die Beiträge über das schwedische Friedensforscherpaar erscheinen in der Artikelreihe über die Trägerinnen und Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels im Frankfurter Personenlexikon. Jene hohe Auszeichnung erhielten Alva und Gunnar Myrdal 1970 in der Frankfurter Paulskirche, worauf sich die beiden Artikel im FP schwerpunktmäßig konzentrieren.
Gemäß seinem lexikographischen Auftrag muss das Frankfurter Personenlexikon hier wie grundsätzlich die Fakten dokumentieren. Viele Fragen bleiben in diesem Rahmen offen – was nicht heißt, dass sie nicht gestellt werden sollen. Im Gegenteil: Das Frankfurter Personenlexikon kann und will in solchen Fällen zur Diskussion anregen, wofür es eine wissenschaftlich fundierte Grundlage und damit einen wichtigen Beitrag liefert.

Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass es für den Artikel über Philipp (von) Fabricius, das Urbild des „Zappel-Philipps“, einen aktuellen Anlass gibt. Kürzlich hat der Magistrat beschlossen, das Grab von Philipp (von) Fabricius auf dem Frankfurter Hauptfriedhof als Ehrengrabstätte einzustufen. Auch das Grab von Pauline Schmidt, der Namensgeberin von Paulinchen aus dem „Struwwelpeter“, wird – schon seit 1963 – von der Stadt gepflegt. (Die „echte“ Pauline starb zwar früh, aber nicht bei einer selbst verursachten Brandkatastrophe.) Und natürlich hat auch Heinrich Hoffmann eine Ehrengrabstätte auf dem Frankfurter Hauptfriedhof, und das nicht nur, weil er die Figuren des „Zappel-Philipps“ und des Paulinchens erfunden hat. Eine Begründung anhand seiner Biographie würde hier zu weit führen – und lässt sich in dem Artikel über Heinrich Hoffmann im Frankfurter Personenlexikon trefflich nachlesen.

Eine gute Sommerlektüre, gerne im Frankfurter Personenlexikon, wünscht allen Leserinnen und Lesern
herzlichst
Sabine Hock
Chefredakteurin des Frankfurter Personenlexikons

P. S. Die nächste Artikellieferung erscheint am 10. Juli 2024.