Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,
oft lässt sich während der Artikelarbeit für das Frankfurter Personenlexikon so ganz nebenbei Erstaunliches erfahren. Hätten Sie zum Beispiel gewusst, dass sich schon prähistorische Fledermäuse vor Jahrmillionen mittels Echoortung in der Dunkelheit orientieren konnten? Herausgefunden hat dies die Paläontologin Tilly Edinger, indem sie die Gehirne fossiler und heute lebender Fledermäuse verglich: Dabei entdeckte sie zwei Ausstülpungen im Gehirn der fossilen Fledermäuse, die auch die rezenten Tiere haben und die der Verarbeitung der von den Ohren aufgenommenen Ultraschallechos dienen.
Als Tilly Edinger vor etwas mehr als 100 Jahren am Senckenbergmuseum in Frankfurt mit der Erforschung der Gehirne fossiler Wirbeltiere begann, hielten wohl manche ihrer (meist männlichen) Kollegen die Idee für ziemlich kurios. Doch die junge Frau, Tochter des berühmten Hirnforschers Ludwig Edinger, ließ sich nicht beirren. Heute gilt Tilly Edinger als die Begründerin der Paläoneurologie. Der Artikel des Monats Juni berichtet über Leben und Werk der außergewöhnlichen Naturwissenschaftlerin. (Fledermäuse kommen in dem Beitrag allerdings nur am Rande vor.)
Artikel des Monats Juni 2025:
Die große Gehirnarbeiterin
Sie war die erste Frau in Deutschland, die im Fach Paläontologie promovierte: Tilly Edinger. Während der Vorarbeiten zu ihrer Dissertation über Nothosaurus, ein ausgestorbenes wasserlebendes Reptil der Trias, fiel der 22-jährigen Frankfurter Studentin im Frühjahr 1920 im Geologischen Institut in Heidelberg ein fossiles Schädelfragment in die Hände, eigentlich ein eher unansehnliches Exemplar – das aber eine Besonderheit aufwies: Die Schädelhöhle war vollständig mit versteinerten Ablagerungen ausgefüllt, die einen nahezu kompletten Abguss des früheren Gehirns bildeten. Diese (eher zufällige) Entdeckung „ihres“ ersten fossilen Gehirns veranlasste Tilly Edinger, sich der systematischen Erforschung fossiler Wirbeltiergehirne zu widmen. Die Basis für ihre wissenschaftliche Pionierarbeit bot ihr das Senckenbergmuseum, wo sie nach ihrer Promotion 1921 tätig war, zunächst als Volontär-Assistentin, seit 1927 als Sektionärin der Abteilung für fossile Wirbeltiere.
1929 veröffentlichte Tilly Edinger ihr grundlegendes Buch „Die fossilen Gehirne“ (1929). Ihre „große Gehirnarbeit“, wie sie selbst das Werk nannte, sollte gerade als Habilitation anerkannt werden, als sich jegliche Aussichten der Wissenschaftlerin auf eine Professur an einer deutschen Universität mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 zerschlugen. Wegen ihrer jüdischen Herkunft musste Tilly Edinger auf die außerplanmäßige Assistentenstelle, die sie seit 1931 zusätzlich am Neurologischen Institut innehatte, verzichten. Am Senckenbergmuseum konnte sie zunächst bleiben, sozusagen als „Untergrund-Kuratorin“, die zwar im Museum ungestört weiterarbeiten konnte, aber sich nach außen hin nicht zeigen sollte. Nach dem Novemberpogrom 1938 durfte Tilly Edinger das Senckenbergmuseum nicht mehr betreten. Buchstäblich in letzter Minute konnte sie 1939 über England in die USA emigrieren, wo sie ihre wissenschaftliche Arbeit am Museum of Comparative Zoology an der Harvard University in Cambridge/Massachusetts fortsetzte.
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Weitere Neuerscheinungen in diesem Monat sind die (hier in chronologischer Reihenfolge genannten) biographischen Artikel über: Johanna Rebecca Senckenberg, die erste Ehefrau des Arztes Johann Christian Senckenberg, ohne deren Einfluss und Erbe es die bis heute fortbestehenden Senckenbergischen Stiftungen wohl gar nicht gäbe; den Maler und Restaurator Johann Friedrich Morgenstern, der im Jahr 1811 ein faszinierendes Rundpanorama mit einer Ansicht der Stadt Frankfurt vom Turm der Katharinenkirche aus schuf; den Arzt Otto Neubürger, dessen familiäre Verbindungen signifikant für die Vernetzung von Medizinern und Naturwissenschaftlern in der Frankfurter Gesellschaft im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert sind; den Kritiker und Kurator Godo Remszhardt, der eine prägende Persönlichkeit im Frankfurter Kunst- und Kulturleben von den späten 1940er bis zu den 1960er Jahren war.
Außerdem wird die Reihe der Artikel über Fotografinnen und Fotografen im Frankfurter Personenlexikon aus aktuellem Anlass mit einem Beitrag über den Presse- und Sensationsfotografen Mickey Bohnacker fortgesetzt.
Bohnacker, ein Bornheimer Bub, gehörte in der ersten Nachkriegszeit zu den Jugendlichen, die von der Lebensart der US-Soldaten in der amerikanisch besetzten Stadt Frankfurt fasziniert waren. In dem deutsch-amerikanischen Jugendclub, den er im Rahmen des Betreuungsprogramms „German Youth Activities“ (GYA) der US-Armee besuchte, knipste er bei allen Ereignissen und Veranstaltungen mit seiner Boxkamera – bis ihm ein Armeefotograf 1948 eine ältere Reporterkamera schenkte und für die Frankfurter Standortzeitung „The Occupation Chronicle“ anlernte. Das war für Bohnacker der Einstieg in die professionelle Presse- und Ereignisfotografie, die er ab 1949 für die Agentur „International News Photos“, ab 1956 als freier Fotograf für verschiedene Auftraggeber und Frankfurter Zeitungen ausübte. Nahezu alle seiner Aufnahmen bringen die Aufbruchstimmung von Nachkriegszeit und Wirtschaftswunder zum Ausdruck. Besonders faszinierte ihn der Frankfurter Flughafen, den er gerade in den frühen Nachkriegsjahren immer wieder ablichtete. Auch das Frankfurter Stadtbild dokumentierte er in der Entwicklung von einer Ruinenlandschaft zur modernen Metropole. Er fotografierte Stars und Sternchen, von Muhammad Ali bis zu Alfred Hitchcock, von den Jacob Sisters bis zu Marika Kilius. Viele Ansichten und Ereignisse aus dem Frankfurt der 1950er und 1960er Jahre sind (fast) nur von ihm im Bild überliefert.
Das Institut für Stadtgeschichte, das den umfangreichen Nachlass des 2017 verstorbenen Fotografen erworben hat, zeigt ab dem 17. Juni 2025 die Ausstellung „Frankfurt went West“ mit Fotografien von Mickey Bohnacker aus den Jahren von 1945 bis 1965.
Falls Sie mit den aktuellen Artikeln dieser Lieferung in die Sommersaison gestartet sind und danach noch mehr Lesestoff brauchen, vielleicht für den Urlaub, finden Sie im Bestand des Frankfurter Personenlexikons sicher weitere interessante Lektüre.
Wenn Sie möchten, könnten Sie es sportlich angehen lassen – und den Artikel über den Frankfurter Rundfunkjournalisten Paul Laven (erneut) lesen. Vor 100 Jahren, am 28. Juni 1925, schilderte der Radioreporter am Mikro vor Ort bei einer Ruderregatta den Endkampf der Achter auf dem Main und lieferte damit die erste Live-Sportübertragung des Frankfurter Senders.
Aber natürlich sind immer auch viele andere und eigene Entdeckungen im Frankfurter Personenlexikon möglich, wozu ich Sie herzlich einladen möchte.
Mit sommerlichen Grüßen
Sabine Hock
Chefredakteurin des Frankfurter Personenlexikons
P. S. Die nächste Artikellieferung erscheint am 10. Juli 2025.