Neuerscheinungen vom 10. Juli 2020

Einleitung: 

Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,

die biographische Arbeit erfordert oft Geduld. Wie bei einem Puzzlespiel lassen sich erst nach und nach die fehlenden Teile finden, und manchmal passt plötzlich ein Teil, für das lange gar kein Platz gewesen war. Und schließlich fügt sich ein fast nahtloses Bild zusammen, das sich den – bestenfalls von all der Mühe nichts ahnenden – Betrachtern darbietet.
Einige überraschende Details enthält auch die Biographie eines prominenten Frankfurter Professors der jüngsten Zeit, die der diesmalige Artikel des Monats erzählt.

Artikel des Monats Juli 2020:
Zwischen den Ideologien

Er sprach für die Politikwissenschaft aus Frankfurt: Iring Fetscher. Nach dem Abitur 1940 hatte sich der in Dresden aufgewachsene Medizinersohn für die Offizierslaufbahn entschieden, war in die Wehrmacht eingetreten und wurde an der Ost- und an der Nordfront eingesetzt. Sein Vater Rainer Fetscher, einst NS-naher Rassehygieniker, der nach seiner Entlassung als Professor 1936 in seiner Arztpraxis Verfolgten und Gegnern des nationalsozialistischen Regimes geholfen hatte, kam beim Einmarsch sowjetischer Truppen in Dresden am 8. Mai 1945 ums Leben. Nach dem Vorbild des Vaters wollte Iring Fetscher, aus britischer Kriegsgefangenschaft heimgekehrt, Medizin studieren. Er ging daher noch 1945 nach Tübingen, wechselte dort bald zur Philosophie, konvertierte zum Katholizismus, promovierte über Hegel und schrieb seine Habilitation über Rousseau. Zum Dreh- und Angelpunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit jedoch wurden Karl Marx und der Marxismus, die er gegen den Strich gängiger Deutungsmuster las.
Auf Fürsprache von Horkheimer und Adorno erhielt Fetscher 1963 einen Lehrstuhl für Politikwissenschaft an der Frankfurter Universität, den er fast ein Vierteljahrhundert lang innehatte. Auch über seine Emeritierung 1987 hinaus war der international anerkannte Wissenschaftler und wortmächtige Intellektuelle im politischen Diskurs in der Öffentlichkeit präsent. Gerne kommentierte er das aktuelle Geschehen in der Bundesrepublik – von der Studentenbewegung über den RAF-Terrorismus bis hin zum Erstarken neokonservativer und rechter Strömungen – auch in den Medien. Als der „Stern“ 2011 veröffentlichte, dass Fetscher NSDAP-Mitglied gewesen sei, bestritt er, aktiv in die Partei eingetreten zu sein.
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Schluss: 

Fast alle anderen Artikel in dieser Monatslieferung beschäftigen sich ebenfalls mit Biographien, die ihren Schwerpunkt im 20. Jahrhundert haben. Es geht – in chronologischer Reihenfolge nach dem Geburtsjahr – um den Börsenmakler John Elsas, der im Alter zum echten Künstler wurde, die Kunsthistorikerin Rosy Schilling, die als erste Frau in ihrem Fach in Frankfurt promovierte, den Arzt Felix Abraham, der von Magnus Hirschfeld an dessen Institut für Sexualwissenschaft in Berlin berufen wurde, und den Maler Theo Garve, der Beckmanns erster Meisterschüler an der Kunstgewerbeschule in Frankfurt war. In allen diesen Lebensläufen brachte das Jahr 1933, der Beginn des nationalsozialistischen Terrorregimes, einen Bruch. Es gilt daher umso mehr, diese Biographien zu dokumentieren und zu publizieren – wider das Vergessen.

Mit einem weiteren Beitrag erinnern wir gerne wieder an das diesjährige 175. Jubiläum des Clementine Kinderhospitals, dessen Geschichte bis zu dem 1845 eröffneten Dr. Christ’schen Kinderhospital zurückreicht. Dessen Stifter Theobald Christ wurde im Artikel des Monats Juni vorgestellt. Ein anderer Wohltäter, der dem Kinderhospital auf eher merkwürdige Weise verbunden ist, war der gut betuchte Kaufmann Philipp Heinrich Fleck (1740-1816): Er liegt im Garten des Kinderhospitals begraben – und zwar bereits seit dem Bau des Krankenhauses und damit ebenfalls seit ziemlich genau 175 Jahren. Das Privileg, sich außerhalb eines Friedhofs bestatten zu lassen, hatte sich Fleck zu Lebzeiten selbst erwirkt. Außer ihm wurde es nur zwei anderen Frankfurtern zuteil: Johann Christian Senckenberg, der heute in der Kapelle des von ihm gegründeten Bürgerhospitals beigesetzt ist, und Jakob Guiollett, der sein Grab im von ihm geschaffenen Anlagenring fand. Die Grabstätte von Philipp Heinrich Fleck ist seit einigen Jahren in den Spielplatz auf dem Außengelände des Clementine Kinderhospitals integriert – was durchaus dem Wunsch des Verstorbenen entspricht, der sich immer vorgestellt hatte, dass der Garten mit seinem Grab ein sonntäglicher Tummelplatz für Kinder sein sollte. Die sonderbare Lebensgeschichte von Philipp Heinrich Fleck, eines heute fast vergessenen Frankfurters, der sich vom Steuersünder zum wohltätigen Stifter wandelte, ist ab sofort im Frankfurter Personenlexikon nachzulesen.

Auch das alltägliche Leben verlangt derzeit viel Geduld. Wirklich glücklich ist in diesen Wochen wohl, wem es vergönnt ist, die kleinen Freuden genießen zu können.

Beste Sommergrüße – und bleiben Sie gesund!
Ihre Sabine Hock
Chefredakteurin des Frankfurter Personenlexikons

P. S. Die nächste Artikellieferung erscheint am 10. August 2020.