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Horkheimer, Max

Begründer der Kritischen Theorie. Ehrenbürger der Stadt Ffm.

Max Horkheimer

Max Horkheimer
Fotografie (1948).

© Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg Ffm.
Horkheimer, Max. Psd.: Heinrich Regius. Prof. Dr. phil. Sozialphilosoph. * 14.2.1895 (Stuttgart-)Zuffenhausen, † 7.7.1973 Nürnberg, begraben auf dem Jüdischen Friedhof in Bern.
Das bis heute in Ffm. wirkende Institut für Sozialforschung ist untrennbar mit dem Namen H.s verbunden, ebenso die von ihm aus der Taufe gehobene „Kritische Theorie“, die seit den Dreißigerjahren bis in die Gegenwart hinein den Theoriediskurs in Philosophie und Soziologie nachhaltig beeinflusst hat.
Eigentlich wurde H. durch sein Elternhaus ein Lebensweg vorgezeichnet, der es zunächst unmöglich erscheinen ließ, dass er einst zum Gelehrten werden sollte, der mit seinem gesamten Schaffen die Ungerechtigkeit kapitalistischer Gesellschaft anklagte: Der Sohn des mehrfachen Millionärs Moses, gen. Moriz, H. (1858-1945), der in Zuffenhausen bei Stuttgart mehrere Textilfabriken besaß, verließ schon in der Untersekunda das Gymnasium, um als Lehrling in eine der väterlichen Fabriken einzutreten. Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs wurde H. zum Juniorchef, wodurch er zunächst vom Kriegsdienst verschont blieb und erst 1917 einberufen wurde. Der offene Konflikt mit dem Elternhaus begann schon 1916, als er sich mit seiner späteren Frau Rose Christine, gen. Maidon (d. i. eine Zusammensetzung aus „Maid“, engl. Mädchen, und „don“, das Geschenk), Riekher (1887-1969), Tochter eines verarmten Hoteliers, Christin und Privatsekretärin von H.s Vater, liierte. Diese unstandesgemäße Beziehung wollte der nicht orthodox, aber konservativ jüdische Fabrikant nicht dulden. Sie wurde zum Anlass einer fast zehnjährigen Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn.
H.s Distanzierung vom Elternhaus vollzog sich nicht zuletzt unter dem emanzipatorischen Einfluss von Friedrich Pollock, Sohn eines Lederfabrikanten, den H. 1911 kennenlernte und mit dem er bis zu dessen Tod 1970 eng befreundet bleiben sollte. Pollock lebte H. aber nicht bloß vor, wie man sich den Zwängen des gesellschaftlichen Lebens entziehen konnte, sondern eröffnete ihm die Welten der Literatur und Philosophie. Er machte H. 1913 während gemeinsamer Aufenthalte in Brüssel, Manchester und London mit Schopenhauers „Aphorismen zur Lebensweisheit“ bekannt und regte ihn so zur intensiven Lektüre der Werke Schopenhauers an. 1918 trat H. in die 1911 gegründete Schopenhauer-Gesellschaft ein. In Schopenhauer begegnete H. einem „philosophischen Weltbürger“ (Robert Zimmer), mit dem ihn – durch alle wechselnden Phasen affirmativer und kritischer Rezeption des metaphysischen Pessimismus hindurch – die Einsicht in das letztlich Sinnwidrige aller kreatürlichen Existenz (malum metaphysicum) verbinden sollte. Bezeichnend für den kaum zu überschätzenden Einfluss Schopenhauers auf sein Verständnis einer kritischen Theorie der Gesellschaft sind H.s späte Bekenntnisse Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre, wonach die der traditionellen Theoriebildung entgegengesetzte Denkweise sehr viel von Schopenhauer enthalte, der gelehrt habe, dass das Wesen aller Dinge letztlich ein negatives sei: der sich in ihnen objektivierende und daher sich selbst verzehrende Wille zum Leben. Die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs und die auf die Niederlage folgende Reihe politischer Morde an Menschen, die für die subjektgerechte Einrichtung der Welt eintraten, bestärkten H. in seiner Lesart des metaphysischen Pessimismus, verwiesen ihn aber zugleich auf die Marx’schen Schriften. Marxens Kritik der politischen Ökonomie erlaubte H., Eingriffe wider das von Menschen verursachte, damit reduzierbare Leid (malum physicum) zu formulieren. Mit dem Herannahen der völkisch-autoritären Barbarei, die in Shoah und Zweitem Weltkrieg gipfelte, erschien H. Schopenhauers durch die Negativität des Weltlaufs bestätigter Gedanke von Geschichte als einer Verlängerung der Zoologie nun doch allzu resigniert und als zu generell formuliert. Als angemessenere Theorie wider den völkischen Zeitgeist empfahlen sich H. neben der „Freud’schen Philosophie“ die Werke von Marx und Engels, dies freilich ohne Preisgabe der von Schopenhauer formulierten Einsichten in das Herz einer von der Allgegenwart ewigen Leids bestimmten Welt, wie H. im Gespräch „Das Schlimme erwarten und doch das Gute versuchen“ (1972) mit Gerhard Rein zu bedenken gab.
Zu Beginn des Jahres 1919 gingen H. und sein Freund Pollock nach München, wo beide das Abitur nachholten. Bereits im Sommersemester 1919 begann H. ein Studium der Psychologie im Hauptfach sowie der Philosophie und Nationalökonomie in den Nebenfächern. Nach dem Semester wechselte er, wiederum zusammen mit Pollock, von München nach Ffm. Sie kauften sich gemeinsam ein stattliches Haus in Kronberg im Taunus und nahmen ihr Studium an der Ffter Universität auf. H.s Mentor wurde der Philosophie-Ordinarius Hans Cornelius, der ihn im Herbst 1920 mit einem Empfehlungsschreiben an Husserl für zwei Semester nach Freiburg im Breisgau schickte, wo H. auch dessen Assistenten Heidegger kennenlernte. Zurückgekehrt nach Ffm., begann er im Wintersemester 1921/22 seine Arbeit an der Dissertation mit dem Titel „Über Gestaltveränderungen in der farbenblinden Zone um den blinden Flecks im Auge“. Noch im Sommersemester 1922 erfuhr er von seinem Doktorvater, dem Gestaltpsychologen Friedrich Schumann (1863-1940), dass alle bisher in die Dissertation investierte Mühe vergebens war, da in Kopenhagen eine fast gleiche Untersuchung mit denselben Ergebnissen veröffentlicht worden war. Daraufhin machte Cornelius seinem Lieblingsstudenten den Vorschlag, seine Seminararbeit unter dem Titel „Zur Antinomie der teleologischen Urteilskraft“ zur Dissertation auszuweiten. Damit promovierte H. im Januar 1923 als erster Hauptfachphilosoph der Ffter Universität mit der Note summa cum laude. Diese Auszeichnung stellte die Weichen für eine akademische Laufbahn: Er wurde Assistent von Cornelius (1922-25) und habilitierte sich 1925 mit der Arbeit „Kritik der Urteilkraft als Bindeglied zwischen theoretischer und praktischer Philosophie“, wiederum ein neukantianisches Thema, das gehorsam im Sinne seines neukantianischen Lehrers Cornelius schulphilosophisch abgehandelt wurde.
Seit seiner Antrittsvorlesung am 2.5.1925 hielt H. einige Vorlesungen, die zum Ausdruck brachten, dass der junge Privatdozent allmählich aus den Fußstapfen seines Mentors heraustreten würde. Im Vollzug des intellektuellen Reifeprozesses heiratete H. 1926 Rose, gen. Maidon, Riekher und emanzipierte sich damit endgültig vom elterlichen Einfluss. Als H. im Januar 1928 einen besoldeten Lehrauftrag für Geschichte der neueren Philosophie erhielt, tastete er sich in seinen Veranstaltungen behutsam an die materialistische Philosophie heran. Radikaler sich zum Materialismus bekennend und gesellschaftskritischer erscheinen demgegenüber seine in der Zeit von 1926 bis 1931 entstandenen, aber erst 1934 in Genf mit dem Titel „Dämmerung“ unter dem Pseudonym „Heinrich Regius“ erschienenen Aphorismen, die sich mit dem Gestus antibürgerlicher Revolte in ihren Alltagsbeobachtungen über das gesellschaftliche Unrecht, die Kluft zwischen Reichtum und Armut empören.
Den endgültigen Durchbruch in seiner akademischen Karriere schaffte H. bereits 1930: Ende Juli wurde er auf den der Philosophischen Fakultät neu gestifteten Lehrstuhl für Sozialphilosophie berufen. Der Lehrstuhl war verknüpft mit der Leitung des Instituts für Sozialforschung, die H. im Oktober übernahm. Das am 22.7.1924 eingeweihte Institut, das – ministeriell genehmigt und an die Ffter Universität angeschlossen – als Privatstiftung von dem sozialistischen Intellektuellen Felix Weil, Sohn des Getreidehändlers und Multimillionärs Hermann Weil, gegründet worden war, war die erste wissenschaftliche Forschungseinrichtung Westeuropas, die sich mit Marxismus und Arbeiterbewegung auseinandersetzte. Als H. am 24.1.1931 seine öffentliche Rede zur Übernahme des Instituts und des Lehrstuhls hielt, bahnte sich deutlich eine Akzentverschiebung in der zukünftigen Forschung des Instituts an. H. entwarf darin das Programm einer vorrangig philosophisch ausgerichteten kritischen Gesellschaftstheorie, die interdisziplinär verfahrend die Einzelwissenschaften in sich aufnehmen sollte, um die Gesellschaft in all ihren Zusammenhängen auszuleuchten. Diese Vielschichtigkeit spiegelte sich im ersten Band der 1932 von H. herausgegebenen „Zeitschrift für Sozialforschung“, deren Beiträge alle gesellschaftlichen Bereiche abdeckten. Wichtige Mitarbeiter waren hier, bis auf Marcuse, schon diejenigen, die auch später im Exil den engeren Kreis um H. bilden sollten: Pollock, Adorno, Löwenthal, Fromm, Wittfogel und Grossmann.
Rechtzeitig erkannte H. die Gefahr des heraufkommenden Nationalsozialismus. Als im März 1933 das Institutsgebäude in Ffm. von den Nationalsozialisten geschlossen wurde, befanden sich bereits das Vermögen und der Hauptsitz des Instituts für Sozialforschung mit seinen Mitarbeitern in Genf. Genf konnte jedoch nur eine Übergangslösung sein; die Schweiz bot H. zu wenig Sicherheit vor den Übergriffen der Nationalsozialisten. Dementsprechend verhandelte er im Mai 1934 in New York mit Nicholas Murray Butler, dem Präsidenten der Columbia University, über die Angliederung des Instituts, das dann im Juli 1934 von Genf nach New York übersiedelte. Schon bald hatte sich das „International Institute of Social Research“ etabliert. Die Zeitschrift wurde fortgesetzt, Seminare und Vorlesungen begannen. In der Zeit von 1940 bis 1949 arbeitete H. hauptsächlich an dem Grundlagenwerk der Kritischen Theorie, „Die Dialektik der Aufklärung“ (mit Theodor W. Adorno, 1947), und an seinem Hauptwerk „Eclipse of Reason“ (1947), einer philosophiegeschichtlich ausgeweiteten Variante der „Dialektik der Aufklärung“.
Bereits 1946 wandten sich die Stadt und die Universität Ffm. an H. mit der Bitte, mit seinem Institut zurückzukommen. Doch noch zögerte er, auf das Angebot einzugehen. Erst 1949 kehrte er zurück nach Ffm., wo er wieder auf seinen alten Lehrstuhl berufen wurde. Ein Jahr später, im August 1950, nahm das Institut seine Arbeit wieder auf, finanziell unterstützt vom McCloy-Fond, von der Stadt und von Privatleuten. Am 20.11.1950 wurde H. zum Rektor der Ffter Universität gewählt. Er gab das Amt 1953 ab.
In den Sechzigerjahren war H. der zu Recht geehrte und mit Auszeichnungen bedachte Grandseigneur der Kritischen Theorie. Zum 65. Geburtstag 1960 wurde ihm das Ehrenbürgerrecht der Stadt Ffm. verliehen. Zu dieser Zeit hatte sich H. bereits in Montagnola in der Schweiz niedergelassen. Mit seiner Emeritierung 1962 zog er sich weitgehend aus dem akademischen Betrieb und den Arbeiten des Instituts für Sozialforschung zurück. 1969 musste er den Verlust seiner Frau Maidon hinnehmen; kurz zuvor war Adorno gestorben, und im folgenden Jahr starb auch Pollock. Gerade in den 1950er und 1960er Jahren setzte sich H. abermals intensiv mit der Philosophie Schopenhauers auseinander. In seinen kleineren Aufsätzen thematisierte er immer wieder auf der Grundlage der „Dialektik der Aufklärung“ die Erkenntnis, dass die moderne Gesellschaft sich niemals als eine vernünftige und freiheitliche würde einrichten können. Solcher Pessimismus führte ihn immer tiefer in die Philosophie Schopenhauers. Aus der Sackgasse absoluter Weltverneinung retten konnte sich H. in seiner Spätphilosophie bis zu seinem Tod nur noch, indem er Zuflucht bei den Wurzeln der jüdischen und christlichen Theologie suchte: im Aushalten des Leidens und in der Hoffnung auf Erlösung.
Mitglied der Ffter Loge des jüdischen Ordens B’nai B’rith.
Weitere Auszeichnungen: Goetheplakette der Stadt Ffm. (1953), Ernennung zum Ehrenmitglied der Schopenhauer-Gesellschaft (1966) und Lessing-Preis der Hansestadt Hamburg (1971).
Porträtbüste (von Knud Knudsen, 1966) im Lesesaal Geisteswissenschaften der UB Ffm.
Gedenktafel (von Edwin Hüller, 1990) am Wohnhaus (1950-63) in der Westendstraße 79.
Nachlass im Archivzentrum der UB Ffm.
Seit 2015 Max-H.-Straße (bis 2014: Lübecker Straße) am Campus Westend der Universität.

Artikel aus: Frankfurter Biographie 1 (1994), S. 353-356, verfasst von: Jochen Zulauf (überarbeitete Onlinefassung für das Frankfurter Personenlexikon von Michael Jeske).

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Quellen: Ffter Allgemeine Zeitung. Ffm. 1949-heute.Oevermann, Ulrich: Denn Du Ewiger bist meine Zuversicht. [Über das Grab von Max Horkheimer auf dem Jüdischen Friedhof in Bern.] In: FAZ, Internetausgabe (www.faz.net), Finanzen, 16.9.2013. | ISG, Dokumentationsmappe in der Sammlung S2 (mit Kleinschriften, Zeitungsausschnitten und Nekrologen zu einzelnen Personen und Familien).ISG, S2/2.243.
Internet: Hessische Biografie, Kooperationsprojekt des Instituts für Personengeschichte in Bensheim und des Hessischen Instituts für Landesgeschichte in Marburg zur Erstellung einer umfassenden personengeschichtlichen Dokumentation des Landes Hessen. http://www.lagis-hessen.de/pnd/118553615Hess. Biografie, 6.5.2015. | Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Ffm. http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/horkheimer
Hinweis: Digitalisiertes Material aus dem Nachlass Max Horkheimer.
UB Ffm., 13.5.2015.
| Wikipedia, Die freie Enzyklopädie, Hg.: Wikimedia Foundation Inc., San Francisco/Kalifornien (USA). http://de.wikipedia.org/wiki/Max_HorkheimerWikipedia, 6.5.2015.

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Empfohlene Zitierweise: Zulauf, Jochen/Jeske, Michael: Horkheimer, Max. In: Frankfurter Personenlexikon (Onlineausgabe), https://frankfurter-personenlexikon.de/node/2782

Stand des Artikels: 15.8.2019
Erstmals erschienen in Monatslieferung: 05.2015.