Ältestes von elf Kindern des Gast- und Landwirts Burchard W. und dessen Ehefrau Anna Maria, geb. Orthaus.
Besuch des Gymnasiums im Geburtsort. Klassenprimus. Starke persönliche Beschäftigung mit dem christlichen Glauben. Ab 1829 Studium der Philologie und Philosophie, zunächst in Münster, vor allem bei Johann Christoph Schlüter (1767-1841), ab Herbst 1830 in Bonn, u. a. bei Friedrich Gottlieb Welcker (1784-1868). 1833 Examen pro facultate docendi (alte Sprachen, Geschichte, Geografie) und Eintritt als Probekandidat in das Coesfelder Gymnasium. Auf Welckers Empfehlung ab Herbst 1833 Erzieher in der Familie des englischen Schriftstellers Walter Savage Landor (1775-1864) in Fiesole bei Florenz. Infolge Ableistung des sechswöchigen Militärdienstes verlor W. seine Beschäftigung. Bei Rückkehr erhielt er jedoch auf Vermittlung des preußischen Gesandtschaftssekretärs in Rom, Rudolf von Sydow (1805-1872), eine neue Erzieherstelle, beim russischen Gesandten in Neapel, Graf Gustav Ernst von Stackelberg (1766-1850); W. begleitete dessen Familie auch zu längeren Aufenthalten nach Rom, Mailand und Paris.
1837 wurde W. als Lehrer an sein altes Gymnasium berufen, nachdem er sich zunehmend den modernen Sprachen gewidmet und auch für diese die Unterrichtsbefähigung erlangt hatte. Im Herbst 1843 warb ihn der Ffter Senat als Inspektor und philologischen Lehrer an die Selektenschule ab, eine katholische höhere Schule mit Progymnasium. 1844 Heirat mit Maria Franziska Hermanna Schmitz (1821-?); aus der Ehe stammten zwei Söhne. Obwohl W. fest in Ffm. Fuß gefasst hatte, wurde er 1848 für seinen Heimatkreis Borken-Coesfeld in die Nationalversammlung gewählt (fraktionslos), aber bereits nach vier Wochen durch
Justin von Linde ersetzt.
W. widmete sich dem Ausbau der Selektenschule, war Vorstandsmitglied des Ffter Pestalozzi-Vereins, nahm an zahlreichen Philologenversammlungen teil, verfasste Fachpublikationen und zog damit das Interesse auf sich: 1852 wollte Theodor Brüggemann (1796-1866) – Oberregierungsrat im Kultusministerium, ranghöchster katholischer Schulexperte in der preußischen Verwaltung sowie Mitglied des Herrenhauses und führender Vertreter des politischen Katholizismus – W. für eine erneute Aufgabe in Preußen gewinnen. Auch soll
Justin von Linde – inzwischen liechtensteinischer Bundestagsgesandter – versucht haben, W. in den österreichischen Staatsdienst zu ziehen. Zu W.s engerem Freundeskreis zählten Männer verschiedenster Ämter und Anschauungen, so die Historiker
Johann Friedrich Böhmer und
Johannes Janssen, der Kunsthistoriker
Johann David Passavant, der Arzt
Karl Passavant, der badische Militärattaché Georg Heinrich Krieg von Hochfelden (1798-1860), der Privatgelehrte
Fritz Schlosser wie auch Rudolf von Sydow, nunmehr preußischer Gesandter am Bundestag.
W. wird als bescheidener Mann von „tiefer Frömmigkeit“ mit großen Gottvertrauen beschrieben, für den es keinen unlösbaren Konflikt zwischen Glauben und Wissen gab und der gegenüber Andersgläubigen immer tolerant blieb (
Rudolf Eucken). Von 1852 bis 1864 gehörte W. mit kurzen Unterbrechungen dem katholischen Kirchenvorstand an, was ihn aber nicht hinderte, die Selektenschule gegen Eingriffe von Stadtpfarrer
Eugen Thissen in den Unterrichtsablauf zu verteidigen. Als weitgereister Mann mit allseitiger Anerkennung, vielfältigen Kontakten und parlamentarischer Erfahrung besaß W. durchaus das Selbstbewusstsein, die pädagogische Autonomie gegen geistliche Autoritäten zu vertreten, mit Unterstützung von Senator
August Speltz als Vorsitzendem der katholischen Kirchen- und Schulkommission.
W. hat in zahlreichen Schulprogrammen über seine Tätigkeit als Leiter der Selektenschule berichtet, seine pädagogischen Anschauungen dargelegt sowie sprach- und literaturgeschichtliche Abhandlungen veröffentlicht. Der Pädagoge trat für die Konfessionsschule ein und verteidigte Antike und Religion als zentrale Bildungsmittel höherer Schulen, wobei erstere aus der „Höhe des Christenthums“ betrachtet werden müsse, das „die guten Keine der heidnischen Cultur in sich aufgenommen und für die Nachwelt bewahrt“ sowie der heidnischen Weltsicht das überweltliche, auf das jenseitige Leben weisende Prinzip hinzugefügt habe. In der Sprache sah W. nicht nur die unmittelbarste Offenbarung des menschlichen Geistes als Voraussetzung aller übrigen Geistestätigkeiten, sondern auch ihren göttlichen Ursprung und ihre Durchdringung mit christlichem Geist.
W. starb hochgeehrt und erhielt Nachrufe bis in die „Historisch-politischen Blätter“. Die Philosophische Fakultät der Universität Würzburg ehrte ihn zum 25. Amtsjubiläum 1868 mit dem Doktordiplom, nachdem ihm der Senat der Stadt Ffm. schon vorher den Titel Professor verliehen hatte.
W. veröffentlichte u. a. die Monographien „Homer, Virgil, Tasso, oder Das befreite Jerusalem in seinem Verhältniß zur Ilias, Odyssee und Aeneis“ (1843), „Die Erziehung vom katholischen christlichen Standpunkte betrachtet, nebst Vorschlägen zur Umbildung und Erweiterung der Selectenschule zu Ffm.“ (1852), „Zur Sprachwissenschaft“ (1861), „Die Litteratur und die christliche Jugendbildung“ (1868) und „Das Christenthum und die neuere Sprachwissenschaft“ (1870) sowie zahlreiche Aufsätze in den Programmen der Selektenschule, etwa „Der deutsche Sprachunterricht nach seiner Wichtigkeit und Bedeutung für Realschule und Gymnasium“ (1842), „Über den Sprachunterricht an Gelehrtenschulen, mit besonderer Hinsicht auf die Stellung des französischen Unterrichts zum Lateinischen“ (1846), „Über die leitenden Grundsätze des Sprachunterrichts an Schulen, mit besonderer Berücksichtigung der englischen Sprache“ (1849), „Über die Wichtigkeit und Bedeutung der Sprache für das tiefere Verständnis des Volkscharakters“ (1859), „Über die Bedeutung des Stils für die Charakteristik der Völker“ (1860), „Über Ursprung und Wesen der Sprache“ (1863) und „Das Christenthum und die Sprache“ (1867); außerdem übersetzte er „Die wichtigsten Religionswahrheiten faßlich erklärt und begründet für die Jugend“ von Jacob Balmes (aus dem Spanischen, 1863).
Der Sohn
Hermann Joseph W. (1852-1922) besuchte das Ffter Gymnasium und studierte dann (1872-75) Philosophie, Geschichte und Theologie in Münster, abgeschlossen mit der Promotion zum Dr. theol. Nach der Priesterweihe 1876 ließ er sich in Wiesbaden nieder, wo er bis zu seiner Pensionierung 1920 als Religionslehrer an beiden Gymnasien unterrichtete, seit 1898 mit dem Titel Professor versehen. Hermann W. junior war auf theologischem Gebiet schriftstellerisch, journalistisch und wissenschaftlich tätig. Er veröffentlichte u. a. den Erlebnisbericht über eine „Eine Reise nach dem Orient“ (1877, Nachdr. 2004) und eine Abhandlung über „
Johannes Dietenberger 1475-1537“ (1888, Nachdr. 1967). Außerdem besaß er eine große Kunstsammlung, die er in Ausstellungen zeigte; die Sammlung wurde nach seinem Tod durch Versteigerungen (um 1925/26) aufgelöst.
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Frankfurter Biographie 2 (1996), S. 536f.,
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