L. gehörte zum Kreis junger Architekten, Stadtplaner und Gestalter um
Ernst May (Stadtrat für das gesamte Hochbauwesen) und
Fritz Wichert (Leiter der Ffter Kunstschule), die ab 1925 die Idee eines „Neuen Frankfurt“ entwickelten – ein städtebauliches und gestalterisches Konzept für die Massengesellschaft, geprägt von künstlerischer Avantgarde und sozialreformerischer Programmatik, sowie eines der bedeutendsten Projekte der klassischen Moderne, etwa zeitgleich mit dem Bauhaus. L.s Beitrag lag vor allem auf den Gebieten Typografie und Gebrauchsgrafik. Er war beteiligt an der Gestaltung kommunaler Druckerzeugnisse und Ausstellungen, am Layout der PR-Zeitschrift „Das Neue Frankfurt“, an der Farbgebung städtischer Bauten sowie an einer Neufassung des Ffter Wappentiers als Signet („L.-Adler“). Nach Stationen in Moskau (1930-37) und Berlin (1937-47) konnte L. in Ffm. nur kurzzeitig an seine frühere Stellung anknüpfen, bevor er 1948 an die Kasseler Werkakademie berufen wurde. Als freier Künstler entwarf er in der Nachkriegszeit u. a. Partien in der Westendsynagoge sowie Glasfester im Dom und anderen Kirchen.
L. war das älteste von drei Kindern des Elbinger Apothekers Johannes L. (1863-1897) aus Bromberg und dessen Ehefrau Käte, geb. Zachler (1869-1945), aus Breslau. Neffe des Malers Walter L. (1865-1908).
Nach dem frühen Tod des Vaters zog die Mutter mit den Kindern Hans,
Grete (1893-1989) und Wolf (1896-1914) 1902 zurück zu Verwandten nach Breslau, die L. nach der Mittleren Reife zu einer künstlerischen Ausbildung rieten. Zur Vorbereitung besuchte L. 1907 den Maler Heinrich Tüpke (1876-1951); dort wurde der Rechtsanwalt und Kunstfreund Erich Bohn (1874-1948) auf ihn aufmerksam, vermittelte die Aufnahme an die von
Hans Poelzig geleitete Breslauer Kunstakademie und trug zur Finanzierung des Studiums (1908-13) bei. L. besuchte die Klassen für Porträt-, Landschafts- und dekorative Malerei, vor allem aber den Stillehre-Unterricht des Direktors: „Diese Sonnabende waren eigentlich die einzige Zeit, in der ich wirklich arbeitete und lernte, weil ich glaubte, was
Poelzig vortrug.“
Ab 1914 freier Maler in Tampadel nahe Breslau. Motive vor allem Tiere in tropischen Landschaften, zunächst bunt und expressionistisch, später mit der Tendenz zur Abstraktion. Parallel dazu Beschäftigung mit geometrischen Kompositionen, variiert in konstruktivistischer und kubistischer Manier. 1914 erste Ausstellung im Jenaer Kunstverein, dann bis 1925 regelmäßige Ausstellungsbeteiligungen beim Schlesischen Künstlerbund Breslau. 1914 übernahm L. auf Wunsch von
Poelzig einen Großteil der Arbeiten, mit denen sich die Breslauer Akademie auf der Kölner Werkbundausstellung präsentierte. 1917/18 Soldat bei einer Luftschiffer-Einheit. Zwischen 1913 und 1925 Studienreisen nach Italien, Griechenland, Holland, Frankreich und Spanien. 1921 längerer Aufenthalt auf der Halbinsel Walcheren. Im gleichen Jahr Beitritt zum Bildungsverband der deutschen Buchdrucker.
Ab 1922 Aufträge aus dem Büro des Breslauer Baudezernenten Max Berg (1870-1947): „Ich wurde (…) vertraut gemacht mit allen Fragen des Außenanstrichs von Häusern, Brücken, Industriebauten. (…) Ich habe eine Begräbniskapelle (Oswitz) mit Malerei und Glasfenstern versehen. (...) Ich machte Plakate und Werbedrucksachen und entdeckte, daß ich durchaus in der Lage war, Geld zu verdienen.“ In einem späteren Lebenslauf äußerte sich L. entsprechend: „Ich entwarf Lampen, Vorhänge, Teppiche und ähnliches für die Jahrhunderthalle, malte unter anderem (…) ein Restaurant, ein Elektrizitätswerk und die große Messehalle.“ Hinzu kamen Szenenbilder für die
Gerhart-Hauptmann-Festspiele sowie die Neugestaltung des Verkaufsraums der Breslauer Mohrenapotheke.
1922 Beginn der Zusammenarbeit mit
Ernst May (seit 1921 Direktor der gemeinnützigen Siedlungsgesellschaft „Schlesische Heimstätte“), der L. zur Farbgestaltung von Siedlungen heranzog. Nachdem
May 1925 als Stadtbaurat nach Ffm. berufen worden war, bot er L. einen großen Wirkungskreis im neu gegründeten grafischen Büro der Stadtverwaltung an. Dienstantritt am 1.2.1925 als „Maler und Graphiker mit außertariflicher Besoldung“: „Dort leitete ich das gesamte Drucksachenwesen der Stadtverwaltung, arbeitete die Innen- und Außenanstriche von Häusern, Schulen und Siedlungen aus, und für die (…) Wirtschaftsbetriebe der Stadt machte ich alle nötigen Werbearbeiten. Die typographischen Arbeiten für die Zeitschrift ‚Das neue Fft.’ wurden ebenfalls in meinem Büro erledigt. In diesen fünf Jahren leitete ich die künstlerische Gestaltung von etwa 12 Ausstellungen, darunter 2 internationalen. Ich unterrichtete an der städtischen Kunstgewerbeschule und war Verbindungsmann zwischen Schule und Hochbauamt.“ Ganz ähnlich stellt ein späteres Dienstzeugnis das Tätigkeitsfeld dar: „Er war während dieser Zeit mit der Erledigung aller graphischen Arbeiten, die (…) von der Stadtverwaltung benötigt wurden, beschäftigt und führte die Bauberatung bezüglich aller Werbemittel im Straßenbild sowie der farblichen Gestaltung der Bauwerke aus. Hervorzuheben sind seine graphischen Arbeiten für die städtischen Bühnen, die Wirtschaftsbetriebe der Stadtverwaltung (…) sowie für alle Ausstellungen, die von der Stadt veranstaltet wurden, darunter die Internationale Musikausstellung, die Internationale Fotoausstellung und die Internationale Bauausstellung.“ Hinzu kam die „Neugestaltung der städtischen Graphik bis herunter zum Steuerzettel“ sowie die Mitwirkung an bautechnischen Sonderausstellungen („Die neue Wohnung“, „Das flache Dach“, „Elemente des neuen Bauens“) während der Frühjahrsmessen 1927 bis 1929. Für die Marburger Tapetenfabrik entwarf L. 1926 bis 1928 die „Ffter Siedlungstapeten“.
L. und seine Mitarbeiter (Walter Dexel,
Robert Michel,
Werner Epstein, Adolf Meyer u. a.) orientierten sich an der „elementaren Typografie“, die seit 1925 von Jan Tschichold (1902-1974), Kurt Schwitters (1887-1948), Paul Renner u. a. propagiert wurde: Verwendung von elementaren geometrischen Formen (Linien, Kreise, Dreiecke, Quadrate) sowie von Flächen- und Farbkontrasten, Bevorzugung neuer technischer Verfahren und der Normung, Verwendung von Groteskschriften einschließlich der Futura, Kombination mit Fotos als Ersatz für Zeichnungen. Diese Prinzipien setzten sich auch in der Stadtverwaltung durch, wo – wie andernorts – leicht lesbare Groteskschriften aus Großbuchstaben zur Anwendung kamen, die in balken- und kastenartiger Zusammenstellung die Flächen von behördlichen Drucksachen gliederten sowie an, auf und in kommunalen Einrichtungen, Plakaten, Broschüren, Richtungsschildern, Ausstellungen usw. verwendet wurden. Die neue Ffter amtliche Grafik fand Beachtung in der Fachwelt und trug zur Berufung L.s in den „ring neue werbegestalter“ 1928 bei. Mittels städtischer „Richtlinien für die Reklamegestaltung“ (April 1928) sowie einer kommunalen Bauberatungs-Stelle wurde auch Geschäftsleuten zur Auflage gemacht, in Firmenschildern und Anzeigen eine Groteske aus Versalien zu verwenden. Darüber hinaus entstanden Entwürfe für Reklameträger (Uhren, Feuermelder, Fernsprecher usw.). So kam es zum Eindruck, die ganze Stadt werde von dieser Schrift beherrscht.
L. legte darüber hinaus eine Reihe von Entwürfen zu einem neuen, kubistisch umgeformten Stadtadler (ohne Krone, Krallen und Zunge) vor. Nach 1925 diente der „L.-Adler“, der von Beginn an heftig umstritten war, ohne Stadtverordnetenbeschluss als Signet auf städtischen Briefköpfen und Druckerzeugnissen, nicht jedoch als Hoheitszeichen. Während die Stadtverordnetenversammlung den Magistrat ersuchte, auf das neue Zeichen zu verzichten, verteidigte
May es als Anpassung an die neue Gestaltung amtlicher Kopfbögen und als Produkt der Gegenwart. Nach dem Weggang
Mays schuf das Siedlungsamt 1931 für die Briefköpfe einen neuen, an ältere Formen angelehnten Adler. Heute wird L.s Signet u. a. auf der Ehrenplakette der Stadt Ffm. eingesetzt.
L.-Adler und elementare Typografie fanden zudem Verwendung in der PR-Zeitschrift „Das Neue Fft.“ (DNF), die seit 1926 Themen der Großstadtgestaltung (Wohnungsbau, Produktdesign, Werbung, Bildung usw.) behandelte und sich zu einem internationalen Forum entwickelte. Die Zeitschrift propagierte neue Formen des Bauens, Wohnens und kulturellen Lebens plakativ und in modern-illustrativem Gewand. Dazu trugen das ungewöhnliche quadratische Format sowie die anfangs deutlichen Lineaturen und die vielfach als Collagen gestalteten Titelseiten bei. Bis zu seinem Ausscheiden aus dem städtischen Dienst nach dem Septemberheft 1930 überwachte L. die Typografie und gestaltete sämtliche Titelseiten, meist unter Verwendung von Fotos, die ab 1927 zum Teil von seiner Schwester
Grete L. beigesteuert wurden, die in L.s Wohnung Fuchshohl 55 eine „Photographische Werkstatt“ betrieb. Vom Oktoberheft 1928 bis zum Septemberheft 1930 nennt das Impressum fast durchweg die „Geschwister Leistikow“ als verantwortlich für Titel und Typografie. Zusammen mit den Zeitschriften „Die Form“ und „Bauhaus“ war DNF wichtigstes Organ des Funktionalismus in Deutschland. Die Gestaltung wurde vielfach nachgeahmt und findet bis heute Anerkennung. L. war damit zwar als wegweisender Typograf und Werbegestalter ausgewiesen, hat jedoch keinen einschlägigen programmatischen Text verfasst und ist in DNF kaum mit signierten Arbeiten vertreten. Hervorzuheben ist seine Isometrie der Siedlung Praunheim I (1928, Heft 7/8) als eine der wenigen Quellen zu ursprünglichen Farbkonzepten.
L. unterrichtete zudem an der Ffter Kunstschule, die 1922 aus der Zusammenlegung von Kunstgewerbe- und Städelschule entstanden war, und blieb als freier Künstler tätig: Gestaltungsarbeiten für die Ausstellung „GeSoLei“ (Gesundheit, Soziale Fürsorge und Leibesübungen) in Düsseldorf (1926); Teilnahme an den Ausstellungen des „rings neue werbegestalter“ (1928 und 1930), „Neue Typographie“ in Essen und „Fotografie der Gegenwart“ in Magdeburg (beide 1929); Beteiligung am Wettbewerb um den Entwurf eines neuen Titelblatts für die Werkbund-Zeitschrift „Die Form“ und an der Werkbund-Ausstellung (mit
Grete L.; 1929); farbliche Gestaltung des großen Sitzungssaals im neuen Ffter AOK-Gebäude (1930; nicht erhalten).
L. gehörte seit Herbst 1928 zu einer Gruppe jüngerer Designer, die sich für eine Rezeption zeitgenössischer sowjetrussischer Kunst einsetzte („Ffter Oktobergruppe“). Zwei Jahre später schied L. angesichts des Rückgangs der expansiven Bautätigkeit des Magistrats aus dem städtischen Dienst aus (31.8.1930) und folgte
Ernst May in die Sowjetunion, gemeinsam mit seiner Ehefrau, der Goldschmiedin und Textildesignerin Erika (auch: Erica) L., geb. Habermann (1903-1999; Heirat am 23.8.1930), sowie mit seiner Schwester
Grete, deren Ehemann
Werner Hebebrand u. a. Hier hatte er beim Aufbau von Industriearbeiterstädten die Pläne der „Brigade
May“ grafisch zu überarbeiten. Nach
Mays Weggang 1933 entwarf L. Bühnenbilder, Kostüme und Plakate für das Moskauer Staatstheater Meyerhold sowie Bucheinbände für deutsche Exilliteratur in der „Verlagsgenossenschaft Ausländischer Arbeiter in der UdSSR“.
Nachdem 1937 das Ehepaar L. wie nahezu alle Ausländer aus der Sowjetunion ausgewiesen worden war, ließ sich L. in Berlin nieder. Obgleich die Nationalsozialisten sein Bild „Tiger vor einer Flußlandschaft“ (1917) im Kunstverein Jena als „entartet“ beschlagnahmt hatten, wurde L. seit 1938 als Angehöriger der NS-Kunstkammer geführt – der Preis dafür, im erlernten künstlerischen Beruf arbeiten zu dürfen. Auf Vermittlung seines Schwagers
Werner Hebebrand Plandarstellungen für das Industriebaubüro von Herbert Rimpl (1902-1978), in dem auch Max Cetto, Hermann Mäckler und
Hebebrand selbst tätig waren. Außerdem grafische Arbeiten für die Verlage B. Schotts Söhne und Bärenreiter sowie für die pharmazeutische Fabrik „Ciba“. Wiederaufnahme der Tätigkeit als freier Künstler: filigrane Luftschiffe als gegenständliche Mobiles sowie Schabeblätter mit Motiven aus der Seefahrt und aus Werken der Lieblingsschriftsteller Melville, Conrad und Scheerbart. Ab Mai 1945 Mitarbeit bei Stadtbaurat Hans Scharoun (1893-1972), u. a. bei der Ausstellungsgestaltung von „Berlin baut auf“ (1946). Im gleichen Jahr Teilnahme an der Neugründung des Deutschen Werkbunds.
1947 trat L. ein zweites Mal in den Dienst der Stadt Ffm. Für ihn hatte sich vor allem
Hebebrand eingesetzt, der 1946 als Leiter des Stadtplanungsamtes abermals an den Main gekommen war. L. selbst brachte den Versuch einer Anknüpfung an frühere Jahre so zum Ausdruck: „Sehr verehrter Herr Oberbürgermeister! Bezugnehmend auf Ihr Gespräch mit meinem Schwager (…) bewerbe ich mich hiermit um die Stelle eines Malers und Grafikers beim Magistrat der Stadt Ffm., einen Posten, den ich von 1925-1930 schon einmal innehatte. Um diese Stelle (…) ausbaufähig zu gestalten, wäre es nötig, sie wie damals mit einer Beschäftigung an der Ffter Kunstschule zu verbinden, da mir eine Schülerklasse immer die Möglichkeit gäbe, Kräfte für Sonderaufgaben zur Verfügung zu haben.“ L. legte seine Gehaltsvorstellungen dar, verlangte die Bereitstellung einer Wohnung und ging davon aus, Nebentätigkeiten fortsetzen zu können.
Hebebrand umriss das ganz an die
May-Zeit anschließende Aufgabengebiet seines Schwagers so: „Nach Rücksprache mit Herrn Stadtrat
Miersch soll Herr L. die graphische Ausarbeitung der Pläne in der Abteilung Stadtplanung übernehmen. Ich selbst habe mit Herrn L. bis 1930 in Ffm., 1930-1937 in Russland und von 1938-1942 in der Planungsabteilung der Wohnungs-A. G. der Reichswerke Hermann Göring zusammengearbeitet. Herr L. ist auf dem Gebiet der Stadtplanungsdarstellung eine allererste Kraft.“
Im Januar 1947 beschloss der Magistrat die Einstellung L.s als Maler und Grafiker. Im Juli 1947 Bezug der zugewiesenen Wohnung Nonnenpfad 53, vier Monate später Unterzeichnung des Arbeitsvertrags. Im April 1948 kündigte die Kommune das Beschäftigungsverhältnis unter Berufung auf Sparanordnungen. L. nahm die Kündigung an, da seine Bemühungen um eine Wiederbelebung der Kunstgewerbeschule (mit Eugen Blanck) ohne Erfolg geblieben waren und er hinsichtlich freier Arbeiten keine Beschränkungen akzeptieren wollte; überdies wurde die Notwendigkeit eines zentralen grafischen Büros für die Stadtverwaltung nicht von allen Verantwortlichen geteilt. Ebenso wie
Hebebrand und andere Sondervertragsangestellte schied L. am 30.9.1948 aus.
Im Anschluss Annahme eines Lehrauftrags an der staatlichen Werkakademie Kassel und des damit verbundenen Professorentitels sowie Einzelausstellung bei der dortigen Hessischen Sezession. L. prägte wesentlich die „Kasseler Schule für Plakatkunst, Buch- und Zeitschriftengrafik“. Arbeitsmittelpunkt und Wohnsitz behielt er in Ffm., ab 1954 in einem Bungalow Wilhelm-Beer-Weg 117 (abgerissen 2020) zwischen den Anwesen der befreundeten Architekten
Alois Giefer und Hermann Mäckler, die – wie
Hebebrand – L.s Arbeiten in ihre Bauten integrierten. Beim Wiederaufbau der Westendsynagoge (Architekten: Max Kemper und
Werner Hebebrand, 1950) umgab L. den Toraschrein mit einem Steinmosaik aus Dreiecken und sechs Löwen (als Symbol für die Stärke des Stammes Juda), aufgelegt auf eine Rückwand, die ihrerseits ein starres Muster aus großen Dreiecken erhielt. Der gesamte Innenraum wurde verputzt und bekam einen Grundanstrich in blassem Rot. Die Schale der Kuppel wurde am Rand durch kreisrunde Löcher (mit Tageslichteinfall) betont und mit blauen Dreiecken bemalt, die nach oben lichter werden. L.s Kuppelausmalung und Fenster (Bleiverglasung aus Dreiecken in Freihandlinien) wurden bei Renovierung des Gebäudes 1988 ausdrücklich beibehalten.
L.s Beschäftigung mit Lichtspektren war die Basis ähnlicher Projekte mit prismatischen Glasmalereien, zuerst im Dom, wo mit Berufung der Architekten Mäckler und
Giefer der Wiederaufbau wieder in Gang kam. Angesichts der Neugestaltung des Innenraums (heller Verputz bei natursteinfarbenen Pfeilern und Fenstergewänden) wurden folgende Bedingungen formuliert: „Die farbige Haltung der Fenster muß sich innerhalb einer bestimmten Grauskala bewegen (…). Innerhalb dieser Grauskala sind Abweichungen nach allen Richtungen des Farbkreises möglich. Es muß dabei vermieden werden, daß durch Hinzunahme der Buntfarben einzelne Fenster oder Fensterteile aus der Fläche heraustreten. Variationen sind ebenso durch Strukturverschiedenheiten der Gläser möglich und erwünscht. (…) In formaler Hinsicht kann nicht an figürliche Darstellungen gedacht werden, ornamentale Gestaltung (…) wird begrüßt.“ Einstimmige Entscheidung des Preisgerichts für die Entwürfe L.s vor Wilhelm Teuven (Anrath) und Wilhelm Geyer (Ulm). Einsetzung der Fenster im Chor im Sommer 1951, im Langhaus im November 1953, in den Seitenkapellen 1954. Zur bewusst schlichten Verglasung in zurückhaltender Farbigkeit gehörte die Verwendung an sich minderwertiger, aber durch eingebrannte helle Tönungen veredelter Glasarten. Die größeren Fenster sind netzartig aus Dreiecken zusammengesetzt sowie durch Sterne untergliedert. Ähnlich wie das Maßwerk wird diese Struktur in ihrem oberen Teil lichter. Die Fenster zum Kreuzgang hin sind kleiner; ihre ungewöhnlichen Rot-, Blau- und Grüntöne sowie die eingefügten dekorativen Scheiben gehen auf eingearbeitete Reste der Verglasung des 19. Jahrhunderts zurück. Zudem sind in einfacher Schrift Glaubensbekenntnis und Vaterunser in die Fenster eingefügt; Schriftgröße und Zeilenlänge gliedern und dynamisieren die Fläche. Bei Renovierung des Doms von 1991 bis 1994 wurden L.s Fenster als bedeutendes Dokument ungegenständlicher Glasmalerei der 1950er Jahre in ihrer ursprünglichen Gestalt belassen (mit Ausnahme in der Wahlkapelle).
Ähnlich verfuhr L. 1956 beim Chorfenster der Maria-Hilf-Kirche im Gallusviertel (Architekten: Mäckler und
Giefer). In die feingliedrige, in Gelb- und Goldtönen gehaltene Fläche schrieb L. wie mit eigener Hand den Text der Lauretanischen Litanei. Die große Altarwand gestaltete er mit goldenen Dreiecken, was theologische Anknüpfungspunkte möglich macht. L. sah in einem Dreieck wohl zunächst ein Elementarzeichen, das grafisch als Grundstruktur, inhaltlich als Universalzeichen dienen kann. L. entwarf auch später noch Kirchenfenster, etwa für die Ffter Allerheiligenkirche (1953), die Klosterkirche Maulbronn, die Martinskirche (1954/58) und die Adventskirche (1961) in Kassel sowie für die Elisabethkirche in Ffm.-Bockenheim (1962). In seinen Fenster- und Wandgestaltungen mittels geometrischer Elementarformen zeigen sich möglicherweise Einflüsse des russischen Suprematismus (August Heuser). Weitere Werke: Drahtplastiken und Neonlineaturen für die Ffter Kinos „Turmpalast“ (heute im HMF) und „Luxor“, Mosaike mit Symbolen der vier Elemente in den Chemischen Staatsinstituten Hamburg (1958), ein Mosaikenfries mit Figuren der italienischen Komödie an der Fassade des Mannheimer Nationaltheaters (1959) u. a. Buchveröffentlichungen: „ABC, die Katze läuft im Schnee“ (1947), „Die Schiffe des Kapitän Hans Hal“ (1964) und „Geliebte Mimi“ (eine Katzengeschichte, aus dem Nachlass von
Grete L. hg. v. L.-Kollektiv, 2017). Beständiges Arbeitsfeld waren auch Umschlaggestaltungen für die Verlage Aufbau, List, Suhrkamp, Metzner und Ullstein.
An manchen dieser Arbeiten beteiligte L. seine Kasseler Grafikklasse, die er als Teil eines Netzes von freien Mitarbeitern für Fachausstellungen, Wettbewerbe usw. nutzte. L. besorgte Aufträge, lieferte Grundkonzeptionen, regelte das Finanzielle und vertrat die Ergebnisse nach außen. In einer Aufgabendefinition der Klasse hieß es: „Das Studium steht in reger Beziehung zum Leben durch Aufgaben aller Art: Illustration, Buchumschläge, Plakate, Kataloge, Tapeten- und Textilentwürfe, graphische Darstellungen für Ausstellungen, Wandgestaltungen in Schulen und anderen öffentlichen Gebäuden. Häufig können unter den Studierenden engere Wettbewerbe veranstaltet werden, deren prämierte Entwürfe dann zur Ausführung gelangen.“ Die Tapetenentwürfe für die „Marburger Tapetenfabrik“ gehörten zur Kollektion „Die neue Wohnung“ der Werkakademie Kassel, die – von L. und seinen Schülern entworfen – bis 1959 mehrere Neuauflagen erlebte. Die Tapeten sind, ähnlich wie L.s Fenster, aus Punkten sowie aus in Freihandlinien gezogenen Dreiecken, Rechtecken, Quadraten und Streifen aufgebaut.
In der Lehre legte L. Wert auf Grundfertigkeiten wie das Zeichnen von Schriften und deren Vervielfältigung mittels selbstgeschnittener Schablonen. Er schenkte seinen Studenten zu Weihnachten Zeichengeräte, streckte ihre Mitarbeiterhonorare vor und prägte die gesellige Atmosphäre: „War er in Kassel, lagen konzentriertes Arbeiten und Feiern dicht beieinander. Bei starkem Kaffee mit Kirschwasser war er der Vater des Semesters. Stundenlang erzählte er spannend von seinen (…) Vorhaben und seiner Zeit in Russland.“ (Gerhart Fuhr). Für spätere Schülergenerationen war die Grafikklasse bereits ein Mythos und der Respekt groß: „L. verkörperte, was früher eine ‚aristokratische Erscheinung’ genannt wurde, groß von Gestalt, hager, (...) makellos gekleidet. Im grauen Flanell, fein gestreiftem Hemd mit Fliege (…) stand er im Türrahmen. (...) Sein Leiden hatte ihm tiefe Falten ins Gesicht geschnitten (…). Sobald er sprach, verflüchtigte sich dieser Eindruck. Sein Gang hatte das ausholende Schieben des Seemanns, er fand den für ihn bestimmten Stuhl (…). Nach einigen (…) Suchbewegungen brachte er eine weiße Doppelschachtel Juno-Filter hervor. (…) Respektvoll bedienten wir uns.“ (Ernst Wahrmut Mayer). Zu L.s Schülern, die sich andernorts einen Namen machten, gehörten u. a. Hans Hillmann, Wolfgang Schmidt, Rudolf Kroth, Lothar Keyser, Dieter von Andrian, Paul Froitzheim, Roger Platiel und Ernst Wahrmut Mayer.
L.s Klasse hatte zahlreiche Projekte und Beteiligungen vorzuweisen (Werkbundausstellung „Neues Wohnen“ in Köln, 1949; Ausstellungen des „Internationalen Verbandes für Städtebau, Wohnungswesen und Raumplanung“ in Amsterdam, 1950, und in Lissabon 1952; Bauausstellung „Constructa“ in Hannover, 1951; Mailänder Triennale, 1952; Bundesgartenschau in Hamburg, 1953; Deutscher Pavillon der Weltausstellung in Brüssel, 1959, u. a.). Zum 65. Geburtstag L.s 1957 widmete der Kasseler Kunstverein der Klasse eine Ausstellung, und das Land Hessen verlieh L. die Goethe-Plakette. 1958 Aufgabe der Lehrtätigkeit. 1959 Beteiligung an der Ausstellung der Ffter Sezession. Zu den Arbeiten der letzten Jahre zählten geometrische Bilder in Holz- und Kunststoffreliefs, in Auswahl gezeigt auf der Internationalen Arbeitsausstellung Turin 1961.
Mays Angebot einer erneuten Zusammenarbeit als Grafiker für die „Neue Heimat“ und deren „Monatshefte“ hatte L. bereits 1954 abgelehnt.
L. betrieb stets angewandte und freie Kunst. Obgleich kunsttheoretische oder weltanschauliche Äußerungen von ihm kaum überliefert sind, kann er als uneingeschränkter Befürworter der Gebrauchsgrafik gelten: „Im Kopfe des Malers oder Graphikers, der mit den Gesetzen der angewandten Kunst nicht vertraut ist, entsteht sofort eine Art Vakuum, wenn er vor eine Aufgabe gestellt wird. In diesem luftleeren Raum entstehen dann Arbeiten, die der Auftraggeber nicht haben wollte und die der Künstler nicht anerkennt, weil er sie als ihm abgezwungen ansieht. (...) Macht man einen Wettbewerb mit, so will man ihn auch gewinnen. (…) Lange bevor Sie zu entwerfen beginnen, müssen Sie versuchen, gewissermaßen durch den Kopf des Auftraggebers zu denken. (…) Es heißt also nicht, was könnte ich hierhin malen, sondern, was will der Ausschreiber sehen und was kann ich aus seinem Wunsche machen.“ (Brief an die Studierenden der Werkakademie, 1953.) Dem entsprechen frühere Aussagen über das Verhältnis von Auftraggeber und Künstler: „Es gibt wohl keine gebrauchsgraphische Arbeit, die nur vom Künstler gemacht wird. In Wirklichkeit zeichnen immer zwei verantwortlich, Künstler und Auftraggeber. Der Auftraggeber ist also Vorbedingung (…), denn er verkörpert die Bindung, die derartige Arbeiten von rein künstlerischen unterscheidet. Ich will damit sagen, daß es falsch ist, den Auftraggeber als notwendiges Übel zu bezeichnen und daß seine Niederkämpfung durch den Künstler die Gewähr für eine erstklassige Arbeit ist. Es besteht im Gegenteil die Gefahr, daß derartige Dinge zu Gebilden werden, die keine Graphik mehr sind und noch keine Kunst.“
L. unternahm selbst kaum etwas zur Vermehrung des eigenen Ruhms: „Wenn ich so zurückdenke, sehe ich ihn meistens am Reißbrett sitzen und arbeiten. Er trug dabei Vergrößerungsgläser, die in einem großen schwarzen, um den Kopf reichenden Rahmen eingefasst waren (…). Ich habe in meiner Jugend nicht wirklich begriffen, daß Hans Leistikow ein über seine Zeit hinaus wirkender Künstler war. Er hat das von sich mit Sicherheit nie behauptet.“ (Karl Hebebrand).
Gleichwohl ist L. nach seinem Tod im März 1962 nicht vergessen worden: 1963 Gedenkausstellung in der Ffter „göppinger galerie“ mit Stationen in Düsseldorf und Kassel, 1979 Ausstellung „Plakate der Kasseler Schule“ im Ffter Kunstverein, 1995 Ausstellung „exemplarisch. Hans Leistikow“ der Gesamthochschule Kassel in der Offenbacher Hochschule für Gestaltung, 2003 Aufnahme in einen Themenband „Kunst und Künstler in Ffm.“ in der Reihe „Archiv für Fft.s Geschichte und Kunst“, 2013 Bildung eines „L.-Kollektivs“ (zur Neugestaltung der Grabstätte auf dem Südfriedhof und Prüfung der Denkmalwürdigkeit des nach dem Tod von Erika L. verfallenden Bungalows), 2015 Ausstellung „Hans und
Grete Leistikow“ der „ernst-may-gesellschaft“, 2017 digitale Präsentation aller Hefte von „Das Neue Fft.“ durch das Institut für Stadtgeschichte, 2022/23 Ausstellung „Hans Leistikow. Zurück in die Moderne“ im Dommuseum Fft.
Seit 2011 Hans-L.-Straße auf dem Riedberg.
.
Frankfurter Biographie 1 (1994), S. 450f.,
.