Sohn des Geheimen Baurats Emil W.
Schon als Zwölfjähriger begann W., sich mit der Fotografie zu beschäftigen. Der Gymnasiast lieferte kleine Fotoreportagen an naturwissenschaftliche Zeitschriften (wie „Kosmos“ u. a.) und verdiente damit sein Taschengeld; später dokumentierte der Student seine Versuche in der Schmetterlingszucht mit der Kamera. „Dennoch“, so schrieb W. später in einem autobiographischen Aufsatz, „dachte ich nicht einen Augenblick daran, die Fotografie zum Beruf zu machen.“ Vor allem sein Vater, ein preußischer Beamter, soll auf einer akademischen Ausbildung bestanden haben. Nach dem Abitur in Lahr/Schwarzwald 1908 absolvierte W. in Straßburg und München ein Medizinstudium, das er mit der Promotion („Experimentelle Beiträge zur Aetiologie der accidentellen Syphilis“, Med. Diss., Straßburg 1914) abschloss. Noch während des Studiums veröffentlichte er seine ersten Fotobildbände („Alt-Straßburg“, zwei Folgen, 1912/14). Zu Beginn des Ersten Weltkriegs meldete sich der junge Assistenzarzt freiwillig und diente, zuletzt als Regimentsarzt, in Frankreich und Russland, bis er 1918 nach Straßburg zurückkehrte. Im nunmehr französischen Elsass durfte W. als Deutscher den Arztberuf nicht ausüben. Mit Frau und Kind übersiedelte er 1919 nach Ffm., wo er aber auch nicht als Arzt tätig sein konnte, zumal ihm die Mittel zur Eröffnung einer Praxis fehlten. So blieb ihm nur der Doktortitel, den er seitdem auch als Fotograf beharrlich wie ein Markenzeichen führte.
In Ffm. arbeitete W. zunächst als Laborant, Filmkopierer und Kinooperateur in einer Werbefilmfirma, die Dokumentar- und Industriefilme herstellte. Nebenbei veröffentlichte er weitere Bildbände über Städte und Landschaften wie Heidelberg (1922) und die Vogesen (1924). In Zusammenarbeit mit
Fried Lübbecke und im Auftrag von dessen gerade (1922) gegründetem „Bund tätiger Altstadtfreunde“ brachte W. drei Fotobände „Alt-Fft.“ (1923-26) heraus, in denen er das Bild der Ffter Altstadt als einer romantisch verwinkelten Idylle ohne jegliche soziale Not oder hässliche Ecken zeigte und prägte. Andererseits fotografierte er in den ausgehenden Zwanzigerjahren auch für
Ernst May und das Neue Fft., dessen Bauten er in klassischen Architekturaufnahmen sowohl im herkömmlichen Groß- wie im neuen Kleinbildformat effektvoll inszenierte.
Nach der Pleite seines bisherigen Arbeitgebers gründete W. 1924 eine eigene Firma (bis 1936 „Paul Wolff Verlag“, daneben seit 1926 „Wolff-Film, Film- und Photoaufnahmen”). Mit dem Unternehmen spezialisierte er sich bald auf Industriewerbung und Buchillustration, wobei er sich mehr und mehr auf die Fotografie konzentrierte und den Film aufgab; außerdem betrieb er eine Bild- und zunächst auch Filmagentur (von 1933 bis 1936 unter der Firma „Dr. Paul Wolff & Co. Lichtbildvertrieb OHG“). Wohl 1927 stellte W. den Fotografen
Alfred Tritschler, seinen späteren Kompagnon, in das rasch expandierende Unternehmen ein.
Kurz zuvor hatte W. seine erste Leica bekommen, eine der erstmals auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1925 vorgestellten Kleinbildkameras der Firma Leitz in Wetzlar, die er wahrscheinlich auf der „Deutschen Photographischen Ausstellung“ in Ffm. im August/September 1926 gewann. Insbesondere auf seinen Fotoreisen begann er, mit der handlichen Kleinbildkamera zu experimentieren, wodurch er bald zur „bewegten“, lebendigen Reportagefotografie (im Gegensatz zur eher statischen Fotografie mit der starren und schweren Plattenkamera) fand. Auch in der Industrie- und Architekturfotografie setzte er, neben der weiterhin von ihm genutzten klassischen Großformatkamera, ab 1927 die kompakte und dadurch dynamischer zu handhabende Leica ein: Als erster Eintrag im Kleinbildauftragsbuch ist eine Fotoserie von der neuen Siedlung Bruchfeldstraße in Niederrad verzeichnet, die er im Auftrag des Hochbauamts für die Zeitschrift „Das Neue Fft.“ 1927 aufnahm. Durch einen Laborzufall entdeckte W., wie man von den Kleinbildnegativen qualitativ hochwertige („körnungsfreie“) Vergrößerungen – bis hin zum Plakatformat – anfertigen konnte. „Belichte reichlich, entwickle kurz!“, wurde zu seinem Patentrezept, mit dem er der Kleinbildfotografie zum endgültigen Durchbruch verhalf. Sein erstmals 1934 erschienenes Buch „Meine Erfahrungen mit der Leica“ wurde zum Ratgeber für eine ganze Generation von Fotoamateuren. Nach dem Aufkommen des Farbdiafilms ließ er 1942 den Band „Meine Erfahrungen... farbig“ folgen. Durch solche Publikationen, seine Vorträge und Ausstellungen, die teilweise von der Firma Leitz unterstützt wurden, trug W. wesentlich zur Popularisierung der Kleinbildfotografie bei.
In den Dreißigerjahren war W. einer der berühmtesten und erfolgreichsten Fotografen in Deutschland. 1934 nahm er seinen bisherigen Mitarbeiter
Alfred Tritschler als Teilhaber in sein Unternehmen auf, das künftig unter der Firma „Dr. Wolff & Tritschler OHG“ (seit 1937) insbesondere auf dem Gebiet der Industrie- und Werbefotografie deutschlandweit führend war. Insgesamt beschäftigte der Betrieb rund 20 Mitarbeiter; außer W. und
Tritschler waren meist vier oder fünf weitere Fotografen im Unternehmen tätig, u. a. seit 1936
Willi Klar und seit 1943
Kurt Röhrig. Da allein „der Doktor“ (wie W. von seinen Mitarbeitern genannt wurde) sämtliche Fotos autorisierte, lässt sich heute kaum mehr der individuelle Anteil der für die Firma arbeitenden Fotografen am einzelnen Bild ausmachen. Besonders spektakulär war W.s Buch „Im Kraftfeld von Rüsselsheim“, das in Kooperation mit der Werbeabteilung von Opel entstand und als erster Industriebildband in Farbe (Text: Heinrich Hauser, 1939/40) erschien.
Etwa ab 1936 traten auch nationalsozialistische Stellen und die Rüstungsindustrie mit Aufträgen an den prominenten Fotografen heran. Bereits im März 1936 erhielt die Firma Dr. W. & Tritschler vom Reichspropagandaministerium den Auftrag, Hitlers Auftritt in der Ffter Festhalle zu fotografieren. Noch bei den Olympischen Spielen in Berlin 1936 genossen W. und
Tritschler aber keine privilegierte Stellung wie Riefenstahl und Hoffmann; als akkreditierte Bildberichterstatter konnten sie nur von den Rängen der Stadien, also aus großer Entfernung zu den Wettkämpfen, fotografieren (vgl. das Buch „Was ich bei den Olympischen Spielen 1936 sah“, 1936). Durch Vorträge für das Reichspropagandaministerium unterrichtete W. ab 1937 zahlreiche Pressefotografen in ganz Deutschland im Umgang mit der Kleinbildkamera. Auch publizierte er seine Fotos in Propagandaschriften („Das Heim im Reichsarbeitsdienst“, Text: Wilhelm Schlaghecke, um 1937) und brachte das propagandistische Buch „Arbeit!“ (mit
Alfred Tritschler, Text: Paul Georg Ehrhardt, 1937) heraus. W., obwohl kein überzeugter Anhänger des Nationalsozialismus und kein Parteimitglied, erwies sich letztlich als „geschäftstüchtiger Opportunist (...), der den beruflichen Erfolg über alles“ stellte (Jan Brüning) und sich daher auch mit dem NS-Regime arrangierte. So fotografierte er 1939/40 im Auftrag der „Deutschen Arbeitsfront“ (DAF) die „Front in der Heimat“ und im Auftrag des Reichspressechefs Otto Dietrich (nach eigenen Angaben von W., 1941) bzw. des Reichsministeriums für Bewaffnung und Munition (nach Recherchen von Kurt Wettengl, 1995) die deutschen Rüstungsbetriebe, wofür er nachweislich stattliche Honorare erhielt. 1943/44 dokumentierte W. im „Führerauftrag Farbphotographie“ wertvolle Wand- und Deckengemälde in historischen Gebäuden im Rhein-Main-Gebiet (u. a. in Heusenstamm, Mainz und Worms); in Ffm. nahm er mit seinen Mitarbeitern die Wandmalereien von
Jerg Ratgeb im Kreuzgang und Refektorium des Karmeliterklosters, den Bartholomäus-Fries u. a. Ansichten im Chor des Doms, die Barockgemälde im Palais
Thurn und Taxis sowie die Deckenbilder von Kaisertreppe, Kurfürstenzimmer und Rotunde im Römer auf, bevor diese Kunstwerke bei den Luftangriffen auf die Stadt zerstört oder zumindest beschädigt wurden.
Bei den Märzangriffen 1944 brannte auch W.s Haus mit Firma und Archiv in der Miquelallee 5, nördlich vom Palmengarten, aus. Gerettet wurde lediglich das Kleinbild-Negativarchiv, das in einem Brauereikeller ausgelagert war. Vorübergehend verlegte W. den Betrieb nach Braunfels/Lahn. Spätestens ab Ende 1945 versuchte er, nach Ffm. zurückzukehren, zumal er ab Frühjahr 1946 in städtischem Auftrag das zerstörte Fft. für Archivzwecke fotografisch dokumentieren sollte. Auch im Auftrag der amerikanischen Besatzungsmacht fotografierte er bald wieder deutsche Städte. Mehr und mehr wandte er sich jedoch der Naturfotografie zu. Er konnte aber nicht mehr an seine früheren Erfolge anknüpfen, zumal er infolge der hohen Arbeitsbelastung offenbar an einer Medikamentenabhängigkeit litt. Nach längerer Krankheit starb er in einem Sachsenhäuser Krankenhaus. Sein letztes Buchprojekt, „Ein farbiges Märchen“, blieb unvollendet. Als „moderner Gebrauchsfotograf“ hat Paul W. „maßgeblich zur Durchsetzung des Kleinbildformats beigetragen und (...) einem breiten Anwenderkreis neue gestalterische und technische Wege gewiesen“ (Tobias Picard).
Zahlreiche weitere Buchveröffentlichungen, u. a. „Aus Zoologischen Gärten“ (1929), „Ffm. Die Goethestadt“ (Text: Werner-Rades [d. i. Ernst Friedrich Werner], 1929), „So entsteht ein Auto. 50 Jahre Adler“ (Firmenschrift der Adlerwerke, Text: Paul G. Ehrhardt, 1930), „Alt-Fft. Ein Buch für seine Freunde in der Heimat und in der Fremde“ (Text:
Fried Lübbecke, 1931), „Formen des Lebens. Botanische Lichtbildstudien“ (Text:
Martin Möbius, 1931, Neudruck 2002), „Ffm.“ (Text:
Fried Lübbecke, 1932), „Schlösser und Gärten am Main“ (Text: Elisabeth Dauthendey, 1932), „Ins Land der Franken fahren. Eine Mainreise“ (Text:
Fried Lübbecke, 1934), „Am laufenden Band“ (Opel-Reportage, Text: Heinrich Hauser, 1936), „Skikamerad Toni. Winterfahrten um Garmisch-Partenkirchen. Hochgebirgserfahrungen mit der Leica“ (Text: Burghard von Reznicek, 1936), „Sonne über See und Strand. Ferienfahrten mit der Leica“ (1936), „Großbild oder Kleinbild? Ergebnisse einer Fotofahrt durch Franken an die Donau“ (Text:
Eberhard Beckmann, 1938), „Kleine Italienfahrt“ (Text: Georg Biermann, 1938), „Zur Erinnerung an die 75. Wiederkehr des Gründungstages der Farbwerke vorm. Meister, Lucius & Brüning“ (Firmenschrift, Text:
Hermann Pinnow, 1938), „Der Rhein. Vision und Wirklichkeit“ (mit
Alfred Tritschler, Text:
Alfons Paquet, 1940), „Festgabe für Ernst Leitz“ (Firmenschrift, 1941), „Hessen 1946“ (Kalender, 1946), „Germany. A series of photos of the U. S.-Zone, its towns and villages, their past and present“ (mit
Alfred Tritschler u. a., Einführung:
Eberhard Beckmann, 1948, dt. 1950) und „Schönheit am Wege“ (mit
Alfred Tritschler, Text: Erich Walch, 1949).
Autobiographischer Aufsatz in dem Sammelband „Meister der Kamera erzählen“ (hg. v. Wilhelm Schöppe, 1935). Autobiographie (unveröffentlichtes Typoskript, um 1950) im Besitz des Bildarchivs Dr. Paul W. & Tritschler in Offenburg.
In Anerkennung seiner Verdienste um die Einführung der Kleinbildfotografie wurde W. 1936 die 200.000ste Leica, eine Leica IIIa, von der Firma Leitz verliehen.
Grabstätte auf dem Ffter Hauptfriedhof (Gewann II GG 17a).
Die von W. begründete Firma, die zunächst (bis 1963) von seinem Partner
Alfred Tritschler weitergeführt wurde, ist seit 1972 in Offenburg ansässig. Sie besteht als Historisches Bildarchiv (mit etwa 500.000 erhaltenen Kleinbildnegativen, 1927-70) unter dem Namen Dr. Paul W. & Tritschler fort und gilt als eines der bedeutendsten deutschen Fotoarchive für die Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus.
Das erhaltene Gesamtwerk von W. dürfte über 300.000 Aufnahmen umfassen. Umfangreiche „Fotosammlung Dr. Paul W. & Tritschler“ (mit rund 8.000 Schwarz-Weiß-Abzügen nach Originalnegativen der Firma, 1927-60) im ISG. Sammlung von ca. 300 Fotografien („vintage prints“) im HMF. Briefe von W. an seinen Mitarbeiter
Willi Klar (1941-43) im ISG.
Spätere Bildbände mit Fotografien von W.: „Ffter Bürgerhäuser des 19. Jahrhunderts. Ein Stadtbild des Klassizismus“ (1970 posthum herausgegeben von
Günther Vogt), „Ffm. in Fotografien von Paul W. 1927-1943” (1991 posthum herausgegeben von Wolfgang Klötzer) u. a.
Seit einer Ausstellung im Stadtarchiv Ffm. (1980), der ersten nach W.s Tod, wurden häufiger Fotografien von W. in Einzelausstellungen gezeigt, u. a. in Ffm. (Stadtarchiv, 1987; Ffter Sparkasse, 1989; Flughafen, 1991; HMF, 1995/96; Bürgerhaus Bornheim, 2001), der Schweiz (Wanderausstellung, 1982/83), Osaka und Tokio (1991), New York (1999, 2001) und Berlin (2000, 2002, 2004). Mit W.s Arbeit für den „Führerauftrag Farbphotographie“ setzte sich das Künstlerpaar Petra Elena Köhle und Nicolas Vermot Petit-Outhenin mit einer raumgreifenden Installation im Rahmen der Ausstellung „Making History“ im Ffter Museum für Moderne Kunst 2012 auseinander.
2019/20 Ausstellung „Dr. Paul Wolff & Tritschler. Licht und Schatten – Fotografien 1920 bis 1950“ im Ernst Leitz Museum in Wetzlar.
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Frankfurter Biographie 2 (1996), S. 573f.,
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