Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,
der Artikel dieses Monats blickt auf einen besonderen Gedenktag voraus: Er erscheint zum 125. Geburtstag von Paul Hindemith am 16. November.
Artikel des Monats Oktober 2020:
Der Komponist im Kuhhirtenturm
Er war gebürtiger Hanauer und ein großer Frankfurter: Paul Hindemith. Ab seinem zehnten Lebensjahr in Frankfurt aufgewachsen, begann der später weltberühmte Komponist der Moderne hier seinen Weg. Nach Abschluss der Volksschule und Studium an Dr. Hoch’s Konservatorium fing er 1913 als Geiger am Neuen Theater an und wurde bald Konzertmeister im Orchester des Opernhauses. Am Hoch’schen Konservatorium machte er 1919 mit ersten Konzerten eigener Werke auf sich aufmerksam. Am 26. März 1922 wurden seine drei Operneinakter „Mörder, Hoffnung der Frauen“, „Das Nusch-Nuschi“ und „Sancta Susanna“, letzterer als Uraufführung, erfolgreich am Frankfurter Opernhaus herausgebracht, was dem Komponisten überregionale Aufmerksamkeit eintrug. Im Oktober 1923 bezog Hindemith sein Künstlerdomizil im mittelalterlichen Kuhhirtenturm in Sachsenhausen. Der Turm blieb für ihn ein wichtiger Rückzugsort, auch während seiner Berliner Jahre ab 1927 und vor allem in der NS-Zeit, als Hindemith zunehmend Repressionen ausgesetzt war. Aus dem Exil, seit 1940 in den USA, kehrte er zwar nicht dauerhaft nach Frankfurt zurück, kam aber immer wieder zu Besuchen, Treffen mit Freunden und auch zur ärztlichen Behandlung. Im Frankfurter Marienkrankenhaus ist Paul Hindemith am 28. Dezember 1963 gestorben.
Lesen Sie mehr >
Im Kuhhirtenturm ist seit 2011 ein „Hindemith Kabinett“ eingerichtet, das eine kleine und feine Ausstellung zu Leben und Werk des Komponisten an authentischer Stätte bietet. Dort ist allerhand zu erfahren, was in unserem Artikel aufgrund der erforderlichen Knappheit des Lexikons unter Konzentration auf die wesentlichen Punkte der Frankfurter Biographie leider keinen Platz finden konnte. Paul Hindemith war etwa auch ein talentierter Zeichner, der auf alles malte, was ihm in die Hände fiel: Notenmanuskripte, alte Briefumschläge, Kalenderblätter, Servietten und sogar Tischdecken. Die Löwenfigur, die auf seinen Zeichnungen immer wieder zu sehen ist, steht für seine Frau Gertrud, die im Sternzeichen Löwe geboren wurde (und übrigens eine Enkelin des legendären Frankfurter Oberbürgermeisters Franz Adickes war). Hindemith liebte zudem das Spiel mit der Modelleisenbahn, die er durch drei Zimmer seiner Berliner Wohnung fahren ließ. Er ging gern wandern, etwa im Schwarzwald, in Schlesien und der Eifel. Und er sprach zeit seines Lebens, auch nach all den Jahren im amerikanischen Exil und in der neuen Schweizer Heimat, mit hessischem Akzent.
Die Exponate im „Hindemith Kabinett“, darunter Hindemiths Viola d’amore, stammen aus dem Hindemith Institut Frankfurt, das den Nachlass des Komponisten aufbewahrt. Die Direktorin des Instituts, Susanne Schaal-Gotthardt, hat den Artikel über Paul Hindemith im Frankfurter Personenlexikon anhand authentischer Quellen und aufgrund neuester Forschungsergebnisse verfasst.
Ein weiterer prominenter Artikel in diesem Monat ist dem Dirigenten Michael Gielen gewidmet, der als Operndirektor die nach ihm benannte zehnjährige Ära im Frankfurter Musiktheater von 1977 bis 1987 prägte. Unter seiner Leitung stieg die Frankfurter Oper zu einem der bedeutendsten Opernhäuser Europas auf.
Vorgestellt wird außerdem der vielseitig gebildete Jurist und Schriftsteller Karl Heinrich Ulrichs, der von 1859 bis 1863 in Frankfurt lebte und erstmals eine moderne Theorie der „Homosexualität“ vorlegte – bevor dieses Wort 1869 überhaupt geprägt wurde. Ulrichs sprach vielmehr von einem „dritten Geschlecht“ und bezeichnete einen Mann, der Männer liebt, als „Uranier“ oder später als „Urning“. Wegen seiner Homosexualität wurde Ulrichs 1864 aus dem Freien Deutschen Hochstift ausgeschlossen. Erst 2015, fast genau 120 Jahre nach seinem Tod, widerfuhr ihm Gerechtigkeit durch eine Ausstellung des Hochstifts und die Benennung eines Platzes in der Nähe des Goethehauses.
Die Serie zum 175. Jubiläum des Clementine Kinderhospitals in diesem Jahr wird fortgesetzt mit einem Beitrag über Carl Stiebel, der in der Nachfolge seines Großvaters Salomon Friedrich Stiebel und seines Vaters Fritz Stiebel seit 1902 der Administration des Dr. Christ’schen Kinderhospitals und Entbindungshauses angehörte. Anders als seine beiden direkten Vorgänger aus der Familie war der dritte (und letzte) Stiebel kein Arzt, sondern ein welterfahrener Kaufmann – und damit genau der Richtige, um die Dr. Christ’sche Stiftung durch die Krisenzeiten im und nach dem Ersten Weltkrieg zu führen, als die Einnahmen aus Spenden und Zinsen sanken, die Betriebskosten aber stiegen. Ohne seinen Einsatz hätte das Dr. Christ’sche Kinderhospital die Hyperinflation 1923 nicht überstanden.
An dieser Stelle hätte ich, wie in vorangegangenen Jahren, Ihnen gerne einen goldenen Oktober gewünscht. Angesichts der derzeitigen Lage fällt mir das schwer. Aber warum eigentlich nicht?
Nutzen Sie die schönen Herbsttage! Sammeln Sie noch ein paar Farben und Sonnenstrahlen für den Winter. Wie Frederick, die kluge Maus, die Sie sicher aus dem Bilderbuch kennen, wenn Sie Kinder oder auch schon Enkelkinder haben.
Beste Grüße und Wünsche – und bleiben Sie gesund!
Ihre Sabine Hock
Chefredakteurin des Frankfurter Personenlexikons
P. S. Die nächste Artikellieferung erscheint am 10. November 2020.