Wöhr, Elisabethe Anna, gen. Lia. Schauspielerin. Ballettmeisterin. Regisseurin. Fernsehproduzentin. Diese Angaben konnten anhand von Dokumenten zweifelsfrei bestätigt werden.* 26.7.1911 Ffm., † 15.11.1994 Ffm., begraben in Oberursel-Weißkirchen.
Älteste Tochter des Bäckermeisters Karl W. (1887-?) und seiner Ehefrau
Maria Catharina, geb. Simon (1889-1973).
W. wurde in Rödelheim geboren und wuchs mit zwei jüngeren Geschwistern (Karl, 1914-1986, und
Ella Katharina, 1918-1994) im Ffter Gallusviertel auf, wo ihre Eltern eine Bäckerei betrieben. Sie besuchte die Hellerhofschule (1918-20), ging dann aufs Lyzeum, die Viktoriaschule (1920-25), und schließlich bis zur Mittleren Reife auf die Westend-Mittelschule (1925-27); daneben erhielt sie eine Ballettausbildung in der Ballettschule Bensler (1924-27). Seit 1927 absolvierte W. die Schauspielschule in Ffm.; sie wurde u. a. von
Ellen Daub und
Mathilde Einzig im Rollenstudium, von
Helene Mayer im Fechten und von
Eberhard Beckmann in Kunstgeschichte unterrichtet und am 31.8.1929 „als bühnenreif entlassen“. Direkt anschließend hatte W. ihr erstes Engagement, am Stadttheater in Halberstadt (1929-33), wo sie als Schauspielerin im Fach der jugendlichen Naiven verpflichtet, aber bald vor allem als Soubrette und Tänzerin beliebt war. Nachdem sie schon in Halberstadt häufiger die Einstudierung von Tänzen für Operetten-Inszenierungen übernommen hatte, wandte sich W. im Sommer 1933 zunächst nach Berlin, um die Prüfung zur Ballettmeisterin abzulegen. Nach kurzen Engagements als Schauspielerin, Sängerin, Tänzerin und Tanzleiterin am Grenzlandtheater Obererzgebirge in Annaberg (1933/34) und am Kur- und Stadttheater in Bad Helmstedt (1934) arbeitete sie eine Spielzeit lang an verschiedenen Bühnen in Berlin, als Soubrette in Operetten (u. a. am Theater in der Innenstadt, dem früheren Thalia-Theater, Dezember 1934), aber auch als Tänzerin in einem Zirkus.
Auch aus familiären Gründen nach Ffm. zurückgekehrt, wo sie nach der Scheidung der Eltern, einem Unfall des Bruders und der dadurch bedingten Aufgabe der Bäckerei ihre Mutter unterstützen wollte, bekam W. für die Spielzeit 1935/36 einen Vertrag als Chargendarstellerin am Schauspielhaus der Städtischen Bühnen, der allerdings angesichts kleiner und kleinster Rollen (u. a. als Kellnerin Lisettche in „Datterich“, 1936) ihren künstlerischen Ambitionen nicht entsprach. Auf Empfehlung des Regisseurs Walter Felsenstein und mit Unterstützung des Generalintendanten
Hans Meissner wechselte W. zur kommenden Spielzeit 1936/37 an das Opernhaus. Mit dem Ziel, in die Opernregie zu gehen, sollte sie „von der Pike auf“ beginnen und wurde als Souffleuse („Einhelferin“) verpflichtet; daneben studierte sie Komposition, Klavier und Dirigieren bei Bertil Wetzelsberger und
Franz Konwitschny an der Musikhochschule, und an den Städtischen Bühnen erhielt sie intern Unterricht in Dekoration und Kostümkunde durch
Ludwig Sievert sowie in Bühnentechnik und Beleuchtung durch Walter Dinse (1892-1946), den technischen Direktor der Städtischen Bühnen. Ihr Ffter Debüt als Choreografin gab sie im Sommer 1937, als sie die Tänze für den Schwank „Die Juxbraut“ von
Impekoven/
Mathern am Schauspielhaus einstudierte, und im selben Jahr war sie als Tänzerin bei den Römerbergfestspielen eingesetzt. Im Weihnachtsmärchen des Opernhauses 1937/38 spielte sie die Hauptrolle der Goldmarie in „Goldmarie und Pechmarie“, einer opulenten Bühnenfassung von „Frau Holle“ nach den Brüdern Grimm.
Kriegsbedingt blieb W. dann jahrelang „im Kasten“ (nämlich als Souffleuse) sitzen. Zwischen 1939 und 1944 begleitete sie einige Gastspiele der Ffter Oper in Rumänien, Jugoslawien, Bulgarien und Spanien sowie im besetzten Frankreich als Souffleuse und teilweise als Regieassistentin, Bühneninspizientin und „Mädchen für alles“. Durch einen neuen Vertrag ab der Spielzeit 1943/44 stieg W. auch offiziell zusätzlich zur „Helferin des
Generalintendanten“ auf. Auf der Theaterbühne war sie in jenen Jahren höchstens einmal als Einspringerin (u. a. in der Rolle der Frau Muffel in
Stoltzes „Alt-Fft.“, 1937, 1941 und 1942) zu sehen. Mit heiteren Beiträgen und Chansons in bunten Programmen trat sie jedoch ab 1940 im Rundfunk in Ffm. (u. a. bei „öffentlichen Sendungen“ im Saalbau, 1942/43) und Berlin sowie spätestens ab Juni 1942 in Veranstaltungen der Wehrmacht, der NS-Organisation „Kraft durch Freude“ (KdF) und des Roten Kreuzes für Soldaten, Verwundete und Rüstungsarbeiter im Ffter Umland auf, womit sie ihrer dienstvertraglichen Verpflichtung zur Truppenbetreuung zeitweise so eifrig und eigenständig nachkam, dass der
Generalintendant sie unter Hinweis auf ihre Pflichten an den Städtischen Bühnen verwarnte. Nach der Zerstörung von Schauspiel- und Opernhaus bei den Luftangriffen im Januar bzw. März 1944 setzte W. ihre Theaterarbeit an den Ausweichbühnen der Städtischen Bühnen fort, etwa im Großen Saal des Reichssenders Fft., in den Aulen der Elisabethenschule („Theater am Holzhausenpark“) und der Ziehenschule („Kammerspiele Eschersheim“) sowie im Kurtheater Bad Homburg. Infolge der Schließung aller Theater im Zuge des totalen Kriegseinsatzes zum 1.9.1944 war W. ab 13.11.1944 bei der Firma „Telefonbau und Normalzeit“, nach eigener Erinnerung mit einem Arbeitsplatz an der Drehbank in der ehemaligen Kleiderfabrik Vogel an der Messe, dienstverpflichtet. Angesichts des Heranrückens der amerikanischen Truppen verließen W. und ihre Mutter am 22.3.1945 die Stadt gen Nordhessen. Sie erlebten das Kriegsende in Grebendorf/Kreis Eschwege und kehrten Ende Juni 1945 nach Ffm. heim, wo sich W. bei den Städtischen Bühnen zurückmeldete.
Wegen ihrer Mitgliedschaft in der NSDAP (seit 1.6.1940) wurde W. „mit sofortiger Wirkung“ am 11.7.1945 vom amtierenden Bürgermeister aus dem städtischen Dienst entlassen; neben der Reichstheaterkammer (seit 1935) hatte sie weiteren nationalsozialistischen Organisationen (NS-Volkswohlfahrt, Reichsluftschutzbund und Volksbund für das Deutschtum im Ausland) angehört, ohne alle Mitgliedschaften auf dem üblichen Fragebogen zur Entnazifizierung angegeben zu haben. Von der US-amerikanischen Militärregierung zunächst mit einem Beschäftigungsverbot in ihrem Beruf belegt, versuchte W., in der französischen Besatzungszone zu arbeiten. Für die „Internationale Fliegende Musical-Bühnenschau“ in Trier wirkte sie bereits um den Jahreswechsel 1945/46 und, seit Januar 1946 nachweislich als Regisseurin engagiert, mindestens bis zum Sommer 1946 bei der Betreuung alliierter Offiziere und Soldaten mit. Nachdem sie laut Spruchkammerbescheid vom 17./21.10.1946 in die Gruppe 4 (Mitläufer) eingestuft worden war und eine Sühnezahlung von 1.000 Reichsmark geleistet hatte, erhielt sie von der örtlichen Militärregierung in Ffm. am 11.1.1947 die Zulassung als Schauspielerin und Lehrerin für dramatischen Unterricht in der amerikanisch besetzten Zone. Unverzüglich begann W., sich eine neue Existenz aufzubauen, indem sie ein Programm für sich als Conférencière und Alleinunterhalterin entwickelte. Sie kreierte dafür die Figur des „Hessenmädchens“, die sie in dem Stimmungslokal „Maier Gustl’s Oberbayern“ im Ffter Bahnhofsviertel erprobte. Als „Hessenmädchen“ in oberhessischer Tracht tingelte sie zwei Jahre lang durch das neu gebildete Land Hessen und trat ab 1947 regelmäßig bei den „Öffentlichen Bunten Nachmittagen“ von Radio Fft. bzw. dem daraus hervorgegangenen Hessischen Rundfunk (HR) auf. Am 27.1.1948 wurden die früheren Beschäftigungsbeschränkungen für W. durch die amerikanische Militärregierung aufgehoben, und mit der Zustellung eines „Unterrichtserlaubnisscheins“ durch die zuständigen deutschen Schulbehörden am 15.2.1949 durfte sie endgültig auch offiziell privaten dramatischen Unterricht erteilen. Nachweislich bis in die 1960er Jahre unterrichtete sie als Leiterin der Opern- und Schauspielklassen am „Studio Haindl“, einer privaten Gesangs-, Opern- und Schauspielschule in Ffm.-Höchst.
Bei einem der Bunten Nachmittage des Hessischen Rundfunks, der am 17.9.1949 im Radio gesendet, aber lt. der Einträge in W.s Kalender wahrscheinlich schon 14 Tage vorher live aufgezeichnet wurde, stellte sich „Die Familie Hesselbach“ von und mit
Wolf Schmidt den Radiohörern vor. In jener ersten Episode mit dem Titel „Hesselbachs ihrn Hausschlüssel“, die vom Sender als Testlauf für eine mögliche Serienproduktion gedacht war, gab W. – zwar authentisch im Dialekt, aber nicht gerade typ- und altersgerecht – die 17-jährige Tochter Anneliese. Ab der zweiten Folge übernahm sie die Rolle der „Mamma Hesselbach”, die sie bis zur 77. und letzten Folge der bald außergewöhnlich beliebten hessischen Hörfunkserie (ges. 47 Folgen, 1949-53) und deren Fortsetzungen („Prokurist a. D. Hesselbach – Büro für Lebensberatung“, 12 Folgen, 1953/54, und „Hesselbach GmbH“, 18 Folgen, 1954-56) sprach. Danach war sie weiterhin beim HR zu hören, in der bereits seit Herbst 1955 alle 14 Tage laufenden Unterhaltungssendung „Auf ein frohes Wochenende“ mit dem Moderator Hans Hellhoff (1910/11-1975), in der sie als Putzfrau Hippenstiel über 500 Folgen lang (wahrsch. bis 1966) weggeworfene Schallplatten aus dem Papierkorb klaubte und kommentierte. In dieser Rolle trat sie nach eigener Erinnerung auch regelmäßig im „Ffter Wecker“, der Frühsendung im Hörfunk des HR, mit
Heinz Schenk als Partner auf. Nebenbei war W. um diese Zeit in die Filmbranche eingestiegen, als Co-Regisseurin bzw. Produktionsleiterin von vier Kinofilmen, die
Wolf Schmidt über die „Familie Hesselbach“ (1954-56) drehte; in drei der Filme spielte sie außerdem die Rolle der „bösen Nachbarin“ Frau Bickelberg. Mit dem Flop eines fünften Films, diesmal ohne die „Hesselbachs“ („Der ideale Untermieter“, 1957, worin W. die Produktionsleitung dem ambitionierten
Schmidt selbst überließ und „nur“ als Darstellerin der Haushälterin Isolde mitwirkte), endete der Ausflug ins Filmgeschäft für
Schmidt und sein Team.
Parallel zum Beginn ihrer Hörfunkkarriere hatte W., auch dank ihrer Kontakte aus der Zeit am Ffter Opernhaus, an ihre frühere Operntätigkeit angeknüpft. Erstmals im Mai 1948 wurde sie, vermittelt durch die Berliner Opernagentur Ernst Kühnly, von der Bayerischen Staatsoper wieder als Souffleuse für ein Auslandsgastspiel, diesmal in Lissabon, engagiert. Seitdem regelmäßig als Souffleuse und bald als Regieassistentin bei Operngastspielen im Ausland verpflichtet, glückte ihr unter dem Namen Elisabetta Woehr ab 1951 eine internationale Karriere als Opernregisseurin. Bis 1962 war sie mit ihren Inszenierungen, insbesondere der Werke von
Richard Wagner, in Italien, Spanien, Portugal, Brasilien, England und Irland zu Gast. Ihre letzte Arbeit als Opernregisseurin war eine Inszenierung von
Humperdincks „Hänsel und Gretel“ auf Katalanisch am Gran Teatro del Liceo in Barcelona.
Seit 1959 war W. als Produzentin für das Fernsehen fest beim HR angestellt. Sie zeichnete für Familienserien (wie „Die Firma Hesselbach“ und „Die Familie Hesselbach“) und Unterhaltungssendungen (etwa „Karussell“ und Vorentscheidungen zum „Grand Prix Eurovision de la Chanson“) ebenso verantwortlich wie für ernste Musikproduktionen (wie
Strawinskys „Feuervogel“ und Bachs „Johannespassion“, ausgezeichnet mit dem Eurovisionspreis, 1964). In den ab 1959 gedrehten „Hesselbach“-Serien im Fernsehen („Die Firma Hesselbach“, 24 Folgen, 1960-61, „Die Familie Hesselbach“, 18 Folgen, 1961-63, und „Herr Hesselbach und...“, 9 Folgen, 1966/67), die bei ihrer bundesweiten Ausstrahlung eine Sehbeteiligung von bis zu 94 Prozent erreichten, spielte sie zudem als Putzfrau Siebenhals, in einer der wichtigsten Nebenrollen, selbst mit. Seit 1966 war W. in der Unterhaltungsshow „Zum Blauen Bock“ als Wirtin, an der Seite von
Heinz Schenk und Reno Nonsens als „ihren“ beiden Kellnern, auf dem Bildschirm zu sehen. Unter der Produktion von W. (ab 1970) wurde „Zum Blauen Bock“ nach Senderangaben zur beliebtesten Samstagnachmittagssendung im deutschen Fernsehen.
Nach ihrer Pensionierung beim HR 1976 wirkte W. weiterhin als Wirtin im „Blauen Bock“, in insgesamt 134 Sendungen bis zur Einstellung der Show 1987, mit. Außerdem kehrte sie als Schauspielerin zur Bühne zurück, u. a. beim Volkstheater Fft. (1976-83; Rollen u. a.: Frau Funk in „Alt-Fft.“, mit
Liesel Christ, 1976/77, Tante Anna in „Schweisch, Bub!“, mit Walter Flamme, 1977/78, die Putzfrau Lilli in „Keine Leiche ohne Lilli“, mit Walter Born, 1979, Abby Brewster in „Arsen und Spitzenhäubchen“, mit Josefine Klee-Helmdach, 1981, und Anna Maria Gärtner in „Zwei ahnungslose Engel“, mit Josefine Klee-Helmdach, 1982/83), beim Tourneetheater „Theater unterwegs“ (seit etwa 1979 bis 1990; Rollen u. a.: Titelrolle in „Guten Abend, Mrs. Sunshine“, mit Carola Höhn und Friedrich Schoenfelder, 1979/80, Frau Vogl in „Sturm im Wasserglas“, mit Dieter Henkel und Georg Lehn, 1981, und Bibbo in „Katharina Knie“, 1990) und an der Ffter „Komödie“ (als Henny Hopkins in „Kein Problem, Herr Kommissar!“, 1986); am Volkstheater Fft. führte sie auch Regie bei der Posse „Herr Hampelmann in Eilwagen“ nach
Carl Malss bei den Freilichtspielen im Dominikanerkloster (1979). Für den HR moderierte W. die Regionalsendung „Hessen-Rallye“ zur unterhaltsamen Erkundung des Bundeslands im Fernsehen (1986-89), und für die „Werbung im Rundfunk“ beriet sie als Briefkastentante „Frau Löhlein“ mit hessischem Witz die Hörer (ab 1986) und später die Fernsehzuschauer [ab etwa 1988/89 (Drehbeginn im Mai 1988)] in den „drängendsten“ Alltagsfragen. Trotz einiger gesundheitlicher Malaisen übernahm sie bis zuletzt immer wieder kleinere Fernsehrollen, etwa im „Tatort“ (1972-94) oder in den „Geschichten aus der Heimat“ (1993).
Die beliebte Botschafterin Hessens, die seit 1968 in einem umgebauten alten Bauernhaus in (Oberursel-)Weißkirchen wohnte, starb am 15.11.1994 im Ffter Nordwestkrankenhaus.
„Meine Welt ist ein großes Theater“ (Erinnerungen, aufgeschrieben von Wendelin Leweke, 1994).
Zahlreiche Auszeichnungen, u. a. Bundesverdienstkreuz I. Klasse (1982), Stoltze-Preis der „Freunde Fft.s“ (1984) und Hessischer Verdienstorden (1992). 1988 Ehrenbürgerin von Oberursel.
Nachlass im ISG.
Lia-W.-Platz im Gallusviertel; dort Gedenkstein mit Bronzetafel (gestiftet vom HR, 2001).
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Frankfurter Biographie 2 (1996), S. 570f.,
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