Tochter des späteren Ffter Ratsherrn und Schöffen
Johann Adolph S. v. C. und seiner Ehefrau Maria Catharina, geb. von Hynsperg (1648-1736), einer Ffter Patriziertochter. Justina Catharina S. v. C. – im Folgenden kurz Justina genannt – war über alle ihre väterlichen und mütterlichen Linien ein Abkömmling von Ratsfamilien aus der Ganerbschaft Alten-Limpurg und damit Angehörige der eingesessenen Geburtsaristokratie des Ffter Patriziats.
Von großer Bedeutung für Justina war ihre Großmutter väterlicherseits, Justina Margretha S. v. C., geb. Völcker (1621-1692). Während die anderen Großelternteile bereits vor Justinas Geburt gestorben waren, wurde diese Großmutter zu ihrer Taufpatin und starb erst, als Justina 15 Jahre alt war. Vor allem kam von der Völcker’schen Großmutter das Gros des Familienvermögens. Dessen Hauptbestandteile waren ein Landgut in Nieder-Erlenbach, das an Justinas Tante ging, die mit dem späteren Stadtschultheißen Heinrich Ludwig von Lersner (1629-1696) verheiratet war, und der große Kranichhof am Roßmarkt, in dem Justina geboren wurde und in dem sie ihr ganzes Leben verbrachte. Die Großmutter war eine dominierende Persönlichkeit in der Familie, die Justina in vieler Hinsicht zum Vorbild gereichte.
In der Verwandtschaft der Mutter, der
Familie Hynsperg, gab es einige Belastungen, mit denen sich Justina ihr ganzes Leben lang konfrontiert sah. Schon einige Jahre vor ihrer Geburt waren bei zwei Geschwistern der Mutter voreheliche Beischlafaffären vorgefallen, die der Zeit entsprechend als Skandal empfunden wurden und die zur Folge hatten, dass nicht nur die betreffenden Personen selbst, sondern sogar ihre gesamten Nachkommen nicht mehr in die Ganerbschaft Alten-Limpurg aufgenommen wurden. Damit wurde seit Ende des 17. Jahrhunderts ein lang anhaltender sozialer Niedergang von Justinas unmittelbaren Seitenverwandten aus der
Familie Hynsperg eingeleitet, so dass der letzte männliche Vertreter der Familie 1770 geistig zerrüttet im Armenhaus starb. Die teilweise dramatischen Vorgänge unter ihren Verwandten scheinen Justina immer wieder belastet zu haben und beschäftigten sie noch im Alter bei der Ausformulierung ihres Testaments.
Justina war das erstgeborene Kind ihrer Eltern. Alle drei jüngeren Geschwister, darunter ein Stammhalter, starben früh. Zwölf Jahre alt geworden, blieb Justina daher als einzige Nachkommin zurück und wuchs so in die exklusive Position einer reichen Erbtochter hinein. Früh wurde sie durch die pietistische Frömmigkeit geprägt, die in Ffm. durch das Wirken
Philipp Jakob Speners als Senior des Predigerministeriums von 1666 bis 1686 – während Justinas frühester Kinderjahre – zur Entfaltung gebracht worden war. Von den extremen Entwicklungen, die im Pietismus früh zutage traten und die in Gestalt der „Saalhofpietisten“ (denen auch eine Tante von Justina angehörte) eine Separierung der besonders Frommen von der allgemeinen Kirchen- und Abendmahlsgemeinschaft zur Folge hatten, hielt sich Justina jedoch stets fern; sie praktizierte ihre Religiosität immer unter der Obhut der Amtskirche und in engem geistlichen Kontakt zu den führenden Vertretern des Predigerministeriums. Pfarrer Dr.
Johann Friedrich Starck, der Vertreter der dritten Generation des Pietismus und Verfasser einflussreicher und weitverbreiteter Erbauungsschriften, wurde später ihr Beichtvater.
Kurz nach ihrem 23. Geburtstag wurde Justina das Opfer eines gewaltsamen und spektakulären Entführungsversuchs. Ein von auswärts zugezogener Offizier, der Hauptmann Andreas Grass (um 1662 bis 1709), hatte sich in sie verliebt und hielt bei ihrem Vater um ihre Hand an. Grass’ Person und Stellung waren jedoch nicht standesgemäß, weshalb er zurückgewiesen wurde; Justina selbst hatte jeden Umgang mit ihm gemieden. Am Abend des 28.2.1700, einem Sonntag, passte er Justina nach ihrem Besuch der Betstunde in der Katharinenkirche ab und zerrte sie auf dem Roßmarkt gewaltsam in eine bereitgestellte Kutsche. Justinas Hilferufe wurden gehört, so dass Passanten die Kutsche zum Anhalten bringen und Justina unverletzt befreien konnten. Grass wurde verhaftet und der städtischen Gerichtsbarkeit überstellt. Justinas Vater wirkte in seiner Eigenschaft als Schöffe darauf hin, die Sache, die großes Aufsehen erregt hatte, schnell zu bereinigen, indem Grass für alle Zeiten der Stadt verwiesen wurde. Doch Grass kam bald wieder zurück. Jetzt wurde er zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt und danach erneut ausgewiesen. Als er 1702 in völlig heruntergekommenem Zustand abermals wiederkehrte, wurde er schließlich ins Tollhaus eingeliefert, wo er nach mehreren Jahren im Dezember 1709 elend zugrunde ging. Justina war durch diese Affäre so stark mitgenommen, dass sie den Entschluss fasste, auf Ehe und Familiengründung zu verzichten und ein zurückgezogenes Leben im elterlichen Kranichhof zu führen.
In den folgenden Jahren erlebte Justina den Ffter Verfassungskonflikt. In einem langen Prozess von 1705 bis 1732 büßte das Patriziat tradierte Machtpositionen im Rat der Stadt ein; insbesondere nichtpatrizische Juristenfamilien wie die
Textor und die
Schlosser profitierten davon. Justina sah, wie die ebenfalls alleinstehende Alten-Limpurgerin Anna Sibylla Schad von Mittelbiberach (1666-1737) auf diese Vorgänge reagierte, indem sie durch Gründung einer Stiftung – der Schad’schen Stiftung von 1732 – die Stellung der Alten-Limpurger zu stärken versuchte. Dies war sicher eine der Inspirationsquellen für Justina, später ein Gleiches zu tun. Nach dem Tod des
Vaters 1712 war Justina mit der Verwaltung des umfangreichen Besitzes ihrer Familie konfrontiert. Es zeigte sich, dass sie insbesondere den Grund- und Hausbesitz nicht nur erhielt, sondern durch Zukäufe und An- und Ausbauten auch zu mehren verstand. Wiederholt wurde der stattliche Kranichhof während der Feiern zur Wahl und Krönung der Könige bzw. Kaiser von hohen und höchsten Standespersonen bezogen. 1742 residierte hier bei Justina monatelang der französische Wahlbotschafter mit großem Gefolge. 1745 wurde für den im Nachbarhaus logierenden neuen Kaiser Franz I. eine große „Kaiserküche“ im Kranichhof errichtet. 1764 wohnte Kaiser Franz mit seinem Sohn und frisch gewählten Nachfolger, Joseph II., selbst im Haus der Justina. Aus diesem Anlass ließ die Hausherrin ihr Palais mit einem Anbau für eine „Kaisertreppe“ versehen. Auch nach Justinas Tod sollte noch einmal ein Kaiser – nämlich Leopold II. anlässlich seiner Wahl 1790 – im Kranichhof residieren.
1753, als Justina 76 Jahre alt war, setzte sie ihr Testament auf. Dieses sehr umfangreiche Dokument, das nach ihrem Tod 1766 gedruckt und publiziert wurde, gibt am besten Einblick in ihre Denkweise und in ihre Absichten. Hervorstechend ist die zutiefst religiöse, vom Pietismus geprägte Haltung der Erblasserin. Die Hauptabsicht Justinas galt der Errichtung eines evangelischen adligen Damenstifts im elterlichen Kranichhof. Zwölf alleinstehende Damen aus den Familien der Ganerbschaft Alten-Limpurg sollten in das Stift einziehen. Stiftsdamen hatten im Gegensatz zu den Nonnen in den katholischen Klöstern keine ewigen Gelübde abzulegen; ein Austritt, insbesondere zum Zweck der Heirat, war regulär möglich. Auch behielten die Damen das Erbrecht an ihrem Vermögen. Ansonsten jedoch wurden sie für die Dauer ihres Aufenthalts im Stift von Justina streng auf einen klosterähnlichen Lebenswandel verpflichtet: regelmäßige Gottesdienstbesuche, Einhalten von Gebetsstunden, Unterordnung unter die Oberaufseherin, Verzicht auf allerlei Unterhaltung und Lustbarkeit, kein Männerbesuch, vorzugsweise schwarze Kleidung u. a. m. Dafür wurde den Damen durch das reiche Stift ein standeswürdiges Leben garantiert, wodurch Justina Verarmungstendenzen im Adel wirksam begegnete. Entscheidend waren für Justinas Gründertat zwei Motive. Zum einen ein religiöses: Sie hoffte, dass „viele vor dem Thron GOttes versammlet werden, welche in meiner Stifftung zur wahren Bekehrung gebracht, oder in dem Gnaden-Stand bis ans Ende gestärket und erhalten worden.“ (§ 40 des Testaments). Zum anderen ein herrschaftspolitisches: Sie wollte damit ihren eigenen Stand, die Familien der Ganerbschaft Alten-Limpurg, stärken, weshalb die Stiftsfräulein vornehmlich aus den ihr nächstverwandten Familien zu berufen waren und die Administration der Stiftung durch würdige Herren aus dem Kreis der Ganerbschaft vorzunehmen war.
Ein geringerer Teil der Erträge aus der Stiftung sollte der Bürgerschaft zugutekommen. Auch dabei dominierte ein missionarischer Zug. So veranlasste Justina die Einstellung eines bezahlten Katecheten, dessen Aufgabe es sein sollte, Ffter Bürgerkinder täglich zwei Stunden religiös zu unterweisen und sie im Lesen und Schreiben zu unterrichten. Sie hoffte, damit „das rohe Wesen“ der Kinder zu zähmen. Des Weiteren initiierte Justina ein Stipendien- und Ausbildungsprogramm: Es sollten das Studium eines Alten-Limpurger Sohns, das Theologie- und das Jurastudium je eines Bürgersohns sowie die Ausbildung je eines Lehrlings des Juweliers- und des Benderhandwerks finanziell gefördert werden. Darüber hinaus setzte Justina ein jährliches Brautlegat aus, stiftete eine jährliche Summe für bekehrte Juden, Unterstützung für arme Schüler des Gymnasiums, Gelder für das Armenhaus und für Brennholz für arme Bürger, eine Unterkunft für drei arme Witwen u. a. m.
Vorab sollten aus dem hinterlassenen Vermögen eine Reihe von Vermächtnissen (im hohen Gesamtbetrag von ca. 90.000 Gulden) bedient werden. Neben einer Reihe von Legaten für die Ffter Pfarrer aus dem Predigerministerium, für eine Witwenkasse der Pfarrer sowie für Bedienstete ging das Gros dieser Summe an einen weiten Kreis von insgesamt 26 Seitenverwandten aus den Alten-Limpurger Familien Kayb,
Völcker,
Lersner und
Hynsperg. Die Kayb bedachte Justina mit der größten Summe (32.000 Gulden), während die sieben Hynsperg’schen Verwandten, die zum Teil in Existenznot waren, mit nur 11.000 Gulden vorliebnehmen mussten. Justina wollte diejenigen Verwandten fördern, die sie als Gewährsleute für die Zukunft und die Lebensfähigkeit des Ffter Patriziats sah, die anderen eher bescheiden abfinden.
Justina starb 1766 im 90. Lebensjahr. Sie wurde in der Grabkapelle der Familie in der Barfüßerkirche beigesetzt. Als diese 20 Jahre später zugunsten des Baus der Paulskirche abgerissen wurde, wurde Justinas Sarg auf den Peterskirchhof, wo ihre Mutter unter dem
Backoffen’schen Kreuz begraben war, umgebettet. Da dieses Kreuz später versetzt wurde, lässt sich die Grabstelle nicht mehr genau bestimmen; auch Justinas Grabstein lässt sich nicht mehr identifizieren.
Die Testamentsvollstrecker und Administratoren machten sich nach Justinas Tod unverzüglich daran, den Nachlass zu regeln und die Stiftung zu gründen. Der Ffter Wirtschaftshistoriker
Alexander Dietz gab den Wert von Justinas Nachlassvermögen mit 330.000 Gulden an, dem Dreifachen dessen, was
Johann Christian Senckenberg wenig später für seine Stiftung hinterließ. Vermutlich waren in der
Angabe von Dietz aber nicht die Immobilien eingerechnet, so dass der Wert von Justinas Vermögen wahrscheinlich bei mehr als 400.000 Gulden gelegen haben dürfte. In jedem Fall zählte Justina zum kleinen Kreis der reichsten Personen in Ffm. zu ihrer Zeit.
Die Gründung der Stiftung, die in Würdigung auch der mütterlichen Familie den Namen „Cronstett- und Hynspergische evangelische Stiftung“ erhielt, verlief nicht ohne Schwierigkeiten, da der Rat deren Bestätigung an Bedingungen knüpfte. Gegen Justina wurde der Vorwurf erhoben, sie habe beim Ausbau des Kranichhofs Allmendengrundstücke, also öffentliches Gut, vereinnahmt. Die Triftigkeit dieses Vorwurfs lässt sich nicht mehr erhärten. Darüber hinaus beanspruchte der Rat eine Oberaufsicht über die Stiftung mit Einsichtnahme in die Protokolle und Rechnungsbücher, was dem Willen der Stifterin nach Selbstverwaltung durch die Ganerbschaft Alten-Limpurg zuwiderlief. Die Ganerbschaft vermutete hinter diesem Vorgehen des Rats eine stark antipatrizische Stimmung und bemühte sich daher um eine formelle Protektion durch Kaiser Joseph II., der nur wenige Jahre zuvor bei seiner Wahl und Krönung im Kranichhof gewohnt hatte. Der Kaiser stellte das Stift 1767 unter seinen Schutz. Der Rat konnte seinen Anspruch auf Kontrolle des Stifts somit nicht durchsetzen.
Justinas Damenstift wurde, auch nach mehreren Umbauten des Areals (u. a. unter Abriss des Kranichhofs, um 1865), bis zum Ende des 19. Jahrhunderts am Roßmarkt gehalten. Dann wurden die dortigen Immobilien der Stiftung zu reinen Ertragsobjekten umfunktioniert (und sind in reduziertem Zuschnitt als solche unter der Adresse Kaiserstraße 1 am angestammten Ort bis heute erhalten), während das Damenstift 1895 ein neu errichtetes Domizil in der Lindenstraße im Westend bezog. Das Stift bestand in dieser Form bis Mitte des 20. Jahrhunderts, wurde angesichts der Lebenswirklichkeit der modernen Gesellschaft dann aber aufgegeben. Heute ist Justinas Stiftung eine gemeinnützige Institution und betätigt sich im Geiste ihrer Gründerin vor allem in der Altenpflege und -hilfe (u. a. „Altenpflegeheim Justina von Cronstetten Stift“ im Westend, eröffnet 1997), in verschiedenen sozialen Projekten, aber auch im Kulturbereich. Die Cronstett- und Hynspergische evangelische Stiftung ist heute eine der ältesten und größten der annähernd 600 Stiftungen in Ffm.
Ausgehend von der Affäre um den Hauptmann Grass wurde Justinas Biographie mehrfach in Novellen, Romanen und Theaterstücken literarisch verarbeitet. Der Lehrer Dr. Emil Neubürger (1826-1907) publizierte in einer Novellensammlung 1889 einen Text zur „Gründung des Cronstett’schen Stifts“. 1939 brachte der Pädagoge und Schriftsteller
August Verleger eine Erzählung mit dem Titel „Die Wolfsangel. Die Geschichte des tapferen Fräulein Justina von Cronstetten“ heraus. Nur zwei Jahre später veröffentlichte der Journalist und Schriftsteller
Kurt Gustav Kaftan (* 1900) den historischen Roman „Das Leben für Justine. Die Chronik von Leben, Liebe und Tod des Hauptmann von Craß“ (1941). Mit Förderung der Cronstetten-Stiftung entstand das Theaterstück „Fräulein Justina“ von Rainer Dachselt, das unter der Regie von Michael Quast mit der Fliegenden Volksbühne zum 250. Todestag Justinas am 20.9.2016 uraufgeführt wurde. Der Inhalt all dieser literarischen Bearbeitungen von Justinas Schicksal deckt sich nur teilweise mit den historisch verbürgten Fakten; die Autoren nahmen sich vielfach die Freiheit, die Begegnung mit Grass phantastisch auszuschmücken oder romantisch zu verklären und verschiedene andere historische Figuren (wie etwa
Goethes Großvater, den Schneidermeister
Friedrich Georg Göthé, oder
Johann Christian Senckenbergs Vater) auftreten zu lassen.
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Frankfurter Biographie 2 (1996), S. 418,
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