Tochter des Landschaftsmalers
Johann Christian H. (1812-1878) und dessen Ehefrau Maria Dorothea
Amalie, gen. Malchen, geb. Binding (1807-?). Zwei ältere Schwestern: Auguste H. (1846-1917), verheiratet (seit 1869) mit dem promovierten Chemiker Georg
Philipp Anton Kühner (1839-1884), der eine Maschinenölfabrik in Ffm. betrieb; Susanna
Clementine H. (1848-1937), verheiratet (seit 1870) mit dem Fabrikanten Georg Ludwig
Victor Zöppritz (1839-1922) aus Darmstadt, der in (Heidenheim-)Mergelstetten an der Brenz ein noch heute existierendes Familienunternehmen führte. Ledig. Keine Kinder.
H. wuchs zunächst in der Bleichstraße 42 auf und zog um 1851 mit der Familie nach Bockenheim. Nach drei Jahren kehrte die Familie zurück nach Ffm., um den drei Töchtern den Besuch der weiblichen Erziehungsanstalt von Bertha Ryhiner (1812-1873) zu ermöglichen. Die Familie wohnte im Grüneburgweg 33 (ab Adr. 1857). H. verlebte „eine schöne Kinderzeit, immer in Gärten wohnend, meist mit freiem Blick“ (Emma Heerdt: Erinnerungen 1927, S. 6), und besuchte als Kind öfter ihre Tante Maria Dorothea, gen.
Doris, Binding, geb. Binding (1808-1890), die mit dem Appellationsgerichtsrat und Stadtgerichtsdirektor
Georg Christoph Binding (1807-1877) verheiratet war, in der Schönen Aussicht 2. Von ihrem Vater, der in der Familie die Musik pflegte, erhielt H. schon früh eine musikalische Ausbildung. Als Heranwachsende hatte sie Klavierunterricht bei Emma Zwerger (1832-1905), einer Tochter des Bildhauers
Johann Nepomuk Zwerger. Die beiden Künstlerfamilien H. und Zwerger waren befreundet und trafen sich bis 1866, als die Zwergers nach Cannstatt zogen, regelmäßig zum Musizieren.
Zwergers jüngster Sohn Rudolph Zwerger (1844-1891) blieb in Ffm. und lernte auf den Musikabenden im Hause H. seine spätere Ehefrau Sophie Morgenstern (1846-1882) kennen, eine Tochter des Malers
Carl Morgenstern. Mit dem Paar verband H. eine lebenslange Freundschaft.
Am 28.6.1869 schrieb der Vater
Johann Christian H. einen Brief an die Administration des Städelschen Kunstinstituts, in dem er um die Aufnahme seiner Tochter Emma H. als Schülerin nachsuchte.
Johann Christian H. war einst selbst am Städelschen Kunstinstitut ausgebildet worden. Nachdem auch der Lehrer Georg Schultze (1821-1873) am 22.9.1869 schriftlich um Aufnahme seiner Tochter Marie Schultze (1852-1917) gebeten hatte, beschloss die Städeladministration am 4.11.1869, die beiden Frauen versuchsweise aufzunehmen. Das von den männlichen Ateliers getrennte „Südzimmer“, in dem bereits die Malerinnen
Caroline Schierholz und Emilie Döring (1839/40-1907) arbeiteten, wurde wegen der beiden Neuzugänge „durch Pappwände in vier Räume geteilt“ (Emma Heerdt: Erinnerungen 1927, S. 14). Zugleich wurde seitens der Administration die Aufnahme weiterer Schülerinnen wegen Platzmangels vorläufig unterbunden.
H. und Marie Schultze, die enge Freundinnen wurden, wurden ab November 1869 gemeinsam am Städelschen Kunstinstitut ausgebildet und studierten dort beide bis 1878. Zu ihren Lehrern gehörten der Bildhauer
Heinrich Petry, bei dem sie das Modellieren lernten, und insbesondere der Maler
Heinrich Hasselhorst, der sein Atelier nebenan hatte und der „täglich zur Correktur und auch gar manchmal zum Plauderstündchen“ (ebd.) vorbeikam. Weitere Lehrer waren der schon erkrankte und 1872 verstorbene
Jakob Becker, der sein Atelier auf dem gleichen Gang hatte, sowie
Gustav Kaupert und
Leopold Bode. 1875 stieß
Josefine Schalk als
Hasselhorsts Privatschülerin zu den studierenden Frauen am Städel. Auch mit ihr blieb H. lebenslang in freundschaftlichem Kontakt.
H. wohnte in der Zeit ihrer Ausbildung bei ihren Eltern auf dem Kies 2 in Bockenheim. Nachdem der Vater 1878 gestorben war und die Mutter 1881 zu ihrer mittleren Tochter Clementine Zöppritz in Mergelstetten an der Brenz gezogen war, lebte H. in einem eigenen Haushalt in der Senckenbergstraße (heute: Stephanstraße) 1 nahe der Brönnerstraße (ab Adr. 1883; Haus nicht erhalten, an dessen Stelle heute das städtische Kassen- und Steueramt in der Stephanstraße 15). Wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehend, bestritt sie ihren Unterhalt mit der Malerei und begann eine ausgeprägte Reisetätigkeit. In Begleitung von Marie Schultze reiste H. 1886 drei Monate lang durch Italien, wo sie Rom, Florenz, Neapel und Mailand besuchte und an der Amalfiküste Landschaftsbilder anfertigte. Mit ihrer Nichte Else Kühner reiste sie später ein zweites Mal durch Italien und besuchte erneut Florenz sowie Siena, Ravenna, Verona und Venedig. Weitere Ziele, die H. oft auch mit Besuchen bei ihrer weitläufigen Verwandtschaft verband, waren das Hochgebirge, Berchtesgaden, die Dolomiten und das Engadin sowie Fidaz bei Flims in den Schweizer Bergen, wo eine Nichte ein Kinderheim betrieb. Mit dem Bankdirektor
Hermann Andreae, der ebenfalls malte, und dessen Ehefrau Antonie, geb. Andreae (1848-1927), einer Freundin aus der Schulzeit, unternahm H. Studienreisen in die Vogesen, zum Mont Pèlerin und in das Rhonetal. Zudem verbrachte sie alljährlich längere Zeit bei dem befreundeten Ehepaar in dessen Villa in Kronberg im Taunus. H. besuchte außerdem die wichtigen Kunstgalerien in Kassel, Dresden, Leipzig, Berlin, München und Wien und bereiste mit ihrer Schwester Clementine und ihrem Schwager Victor Zöppritz den Bodensee und den Rigi in der Zentralschweiz. Hinzu kamen Kuraufenthalte, denen sich H. aufgrund ihrer schwachen Gesundheit unterzog. Sie war zweimal in Karlsbad sowie an der See und in Bad Reichenhall zur Kur.
1890 wurde H. von ihrem Arzt das Turnen als Ausgleich zu ihrer sitzenden Lebensweise verordnet. Daraufhin gründete sie zusammen mit einer Reihe gleichgesinnter Frauen 1893 den Frauenverein für Gymnastik, dem sie 30 Jahre lang als Vorsitzende vorstand. Der Verein, der sich zudem für die Förderung des Mädchenturnens einsetzte, hatte großen Zulauf und erreichte beim Magistrat der Stadt Ffm., dass ihm für seine Vereinsaktivitäten erstmalig die städtischen Schulturnhallen zur Verfügung gestellt wurden. Die Frauen und Mädchen turnten zunächst in der Katharinenschule, später in der Viktoriaschule und schließlich auch in der Humboldtschule.
1906 zog H. in die Wolfsgangstraße 113, wo sie bis 1923 gemeldet war. Am 3.11.1910 beteiligte sie sich an einer Frauenkundgebung im Großen Saal des Saalbaus, die sich gegen das Ffter „Unwesen der Animierkneipen und Bars“ (FZ, Nr. 295, 25.10.1910, Drittes Morgenblatt, S. 6) wandte. Im Ersten Weltkrieg betätigte sich H. im Kriegshilfeverein. Außerdem war sie Mitglied im Verein für Sanitätshunde. Im fortgeschrittenen Alter litt H. an Grünem Star, der ihr das Malen zunehmend erschwerte und letztlich unmöglich machte. 1917 ließ sie sich an beiden Augen operieren, was dazu führte, dass sie auf einem Auge fast erblindete. An dem vom Grünen Star geheilten rechten Auge erkrankte sie später an Grauem Star. Im Frühjahr 1923 zog H. zu ihrer verwitweten Schwester Clementine Zöppritz in Mergelstetten an der Brenz. Zuvor hatte sie ihre eigenen Bilder und die Bilder aus dem Erbe ihres Vaters für mehrere Millionen Mark verkauft, wovon ihr, als die Inflation vorüber war, nur wenige Hundert Mark blieben.
H. fertigte viele Porträts an, darunter ein Ölporträt von
Hannah Louise von Rothschild und ein Pastell von dem Pianisten
Wilhelm Hill und seiner deutschamerikanischen Ehefrau Mary (auch: Maria) Hill, geb. Möhring (1843-1914). Mit dem Paar, das schon mit ihrem Vater befreundet war, verband auch H. eine lebenslange Freundschaft. Ihre Auftraggeber für Porträts kamen oft nicht aus Ffm., sondern von außerhalb. Zudem malte H. Genrebilder, Blumenstillleben und auf Reisen Landschaften. Sie beteiligte sich regelmäßig an den Ausstellungen des Ffter Kunstvereins und an den Jahresausstellungen der Ffter Künstler.
Die meisten Werke von H. dürften sich in Privatbesitz befinden. Zwei Porträtzeichnungen („Bildnis des Fräulein Irma Müller-Krämer“ und „Bildnis einer jungen Frau“, beide 1898) besitzt die Graphische Sammlung im Städel. Gelegentlich werden Gemälde von H. auf Kunstauktionen angeboten.
Verfasserin von „Erinnerungen“ (Manuskript, Juli 1927; überliefert im ISG, Sign. S5/239).
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