S. stammte aus altem oberlothringischem Dienstadel. Mitglieder der Familie wirkten seit 1685 in diplomatischen Reichsdiensten, besonders in Leiningen, Zweibrücken, Isenburg und Nassau. Der Vater Christian
Carl Ludwig von S. (1726-1791) war isenburg-birsteinischer, dann (seit 1768) nassau-usingischer Geheimrat und Gesandter beim Oberrheinischen Reichskreis in Ffm.
Friedrich Carl von S. wurde im Haus zur Weißen Katze in der Allerheiligengasse 52 (früher Lit. B 173) in Ffm. geboren und getauft. Er wurde reformiert erzogen, im Bekenntnis der Mutter, während der Vater lutherisch war. Zunächst wuchs er vor allem im Ffter Geburtshaus, daneben auf dem Hofgut Trages, seit 1791 teils in Hanau auf. Unterrichtet wurden er und sein älterer Bruder Ernst Ludwig (1777-1790) von Hauslehrern (besonders in Latein und Französisch, aber auch Naturwissenschaften), bei denen „Junker Fritz“ als der fleißigere galt. Auch zur Jagd wurde er standesgemäß ausgebildet. Nach dem Tod von Vater (1791) und Mutter (1792) kam S. in das Haus des Vaterfreundes und Vormunds Constantin von Neurath (1739-1816), der Assessor am Reichskammergericht in Wetzlar war und den Jungen ungewohnt streng erzog. Durch das ererbte große Vermögen, u. a. mit dem Gut Trages aus der reichen Linie von Crantz, war S. lebenslang finanziell unabhängig.
Sein Studium absolvierte S. von 1795 bis 1799 in Marburg, unterbrochen 1796/97 von einem Semester in Göttingen, an der damals führenden Universität. Danach unternahm er die übliche „Kavalierstour“, allerdings als Studienreise nach Dresden und Jena. Im Oktober 1800 promovierte er glanzvoll in Marburg, und seit 1801/02 hielt er dort Vorlesungen, ab 1803 als außerordentlicher Professor. Dass sich ein adeliger Diplomatensohn so entschieden der Wissenschaft und nicht der Diplomatie oder dem Militär zuwandte, erregte in seinen Kreisen viel Kritik und Aufsehen. Aber seine Monographie über „Das Recht des Besitzes“ (1803) machte ihn als besonders begabten Rechtswissenschaftler schlagartig international und bis heute berühmt. Für seinen Umgang mit den antiken und späteren Rechtstexten wurde er als brillanter Philologe, umsichtiger Historiker und eindringlicher Systematiker bewundert. Nach ausgedehnten Forschungsreisen (1804-05) für seine pionierhafte, noch nicht überholte „Geschichte des Römischen Rechts im Mittelalter“ (6 Bde., 1815-31) nahm er zum Winter 1808 einen Ruf nach Landshut im aufstrebenden rheinbündischen Königreich Bayern an. Aber schon 1810 holte ihn der Minister
Wilhelm von Humboldt nach Berlin. Dort, wo S. bis 1842 an der neuen Universität lehrte, suchte man überall seine Mitarbeit: 1811 im Spruchkollegium für Urteilsanfragen der Gerichte bei der Fakultät, im selben Jahr in der Preußischen Akademie der Wissenschaften (als einziger Jurist und erster Professor), 1812/13 als Rektor der Universität, 1813 im Landsturm und Landwehrausschuss, 1817 im Staatsrat (als einziger Professor), 1819 im rheinischen Kassations- und Revisionsgerichtshof, 1842 auf Bitten des neuen Königs Friedrich Wilhelm IV. als Minister für Gesetzesrevision, 1847 als Präsident des Staatsrats und des Ministeriums. Im Revolutionsmärz 1848 trat er mit dem ganzen Ministerium zurück.
Seiner Geburtsstadt Ffm. war S. weniger durch seine Familie verbunden, denn die Eltern verkehrten kaum in Kreisen des städtischen Bürgertums, sondern unter Diplomaten und anderen Angehörigen des höheren Dienstadels, wie den Familien von Wunderer, Firnhaber zu Eberstein,
von Günderrode und
von Holzhausen; von den
Holzhausen hatte der Vater um 1770 das Haus zur Weißen Katze, S.s Geburthaus, als Stadtsitz angemietet. Eine wichtige, lebenslang gepflegte Bindung zu Ffm. entwickelte S. erst um die Jahrhundertwende durch die Freundschaften mit Friedrich von Leonhardi (1778-1839) und mit
Clemens Brentano. Auf Einladung von Leonhardi, den er während des Studiums in Marburg kennengelernt hatte, hielt sich S. im Sommer 1799 auf Gut Lengfeld im Odenwald auf, wo er am 4.7.1799 erstmals
Karoline von Günderrode traf. Wenige Wochen später, auf einer Reise in Jena, wo er am 29.7.1799 ankam, befreundete sich S. mit
Brentano, der ihn im Frühjahr 1801 in seine
Familie in Ffm. einführte. Damals begegnete S. erstmals
Clemens’ Schwester Kunigunde, gen.
Gunda, Maria Ludovica Catharina B. (1780-1863), die er später (1804) heiratete. Vor allem über die Geschwister
Clemens,
Christian und
Bettine Brentano entstand der frühe Marburger, dann Heidelberger, Landshuter und Berliner Romantikerkreis, u. a. mit
Achim von Arnim, den Brüdern Creuzer, dem Philosophen Leonhard (1768-1844) und dem Philologen Friedrich (1771-1858), sowie den begeisterten S.-Studenten
Jacob und
Wilhelm Grimm. Der Goldene Kopf, das Ffter Stammhaus der
Familie Brentano in der Sandgasse, zählte künftig zu S.s Heimatplätzen. Freilich blieben die Kontakte aus Landshut und Berlin nach Ffm. begrenzt auf viele Briefe und einige Besuche, einmal zu einer großen Geburtstagsfeier für S. im Februar 1815 und gelegentlich zu herbstlichen Ferienaufenthalten (u. a. 1818, 1820, 1821, 1831, 1832, 1841, 1845, 1852, 1853 und zuletzt 1855). Dafür weilten Mitglieder der
Familie Brentano immer wieder, insbesondere
Clemens und
Bettine sogar für längere Zeit, bei den S.s in Marburg, Landshut und Berlin. Nicht nur in der unruhigen
Brentano-Familie wurde S. oft zum ruhenden Pol. Seine geschäftskundige, ausgleichende und bisweilen einflussreiche Hilfe wurde immer wieder wichtig, etwa 1808-14 bei
Clemens Brentanos schwieriger Scheidung von
Auguste Bußmann oder nach 1831 als Vormund der
Arnim-Kinder und des Niebuhr-Sohns Marcus sowie 1847 im Berliner Magistratsprozess gegen seine Schwägerin
Bettine von Arnim.
Seit 1814 kümmerte sich S., u. a. mit dem
Freiherrn vom Stein, intensiv um den Aufbau der späteren „Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde“ (zur Herausgabe der „Monumenta Germaniae Historica“ als grundlegender Quellensammlung), die am 20.1.1819 in Ffm. entstand.
S. begründete die „geschichtliche Schule der Rechtswissenschaft“, wie er selbst sie nannte (1815), und, mit seiner allgemeinen Rechtslehre und seiner Privatrechtstheorie, die juristische Moderne seit 1800. In seinen Texten wandte er sich dezidiert von den Prinzipien des ständisch verfassten Ancien Régime ab und prägte den Neubau unserer normativen Welt nach dem Grundsatz der gleichen Freiheit und der gleichen Autonomie in Recht und Sittlichkeit. In seltener Konsequenz ließ er sich bei diesem Neubau von einer zeitgemäßen philosophischen Grundhaltung leiten, die man objektiven Idealismus nennen kann. Er hat damit der Jurisprudenz seiner Zeit eine doppelte Orientierung aufgegeben, nämlich zugleich historisch-positiv-konkret und philosophisch-metaphysisch-allgemein zu sein.
Seine wesentlichen, noch heute grundlegenden Werke sind: „Das Recht des Besitzes“ (1803), „Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“ (1814), „Geschichte des Römischen Rechts im Mittelalter“ (6 Bde., 1815-31, 2. Aufl., 7 Bde., 1834-51), „System des heutigen Römischen Rechts“ (8 Bde., 1840-49) und „Das Obligationenrecht als Theil des heutigen Römischen Rechts“ (2 Bde., 1851-53), zudem „Vermischte Schriften“ (5 Bde., 1850), alle in Neudrucken erschienen.
In der „Geschichte des Römischen Rechts im Mittelalter“ verfolgt S. die große Konzeption eines Fortlebens des römischen Rechts auch ohne Staat (gegen die bloß politische Herleitung von der Kaisertradition und damals auch rechtspraktisch entscheidend für die Fortgeltung des römischen Rechts nach 1806) und erbringt zugleich eine Unmasse bis heute grundlegender Stoffsichtung vor allem zur Gelehrten- und Universitätsgeschichte (auch das im Zeichen möglichster Kontinuitätsbildung). Paralleles leistete er für die allgemeineren Lehren des Rechts, des Privatrechts und teilweise des Prozessrechts in den ingesamt zehn Bänden „System des heutigen Römischen Rechts“ und „Obligationenrecht (...)“. Er durchdenkt dabei die Tradition und vor allem die Quellen im alten Corpus Iuris (um 530) neu und bringt sie in oft genialer Reduktion möglichst auf moderne Prinzipien. So kommt er in Abstraktion von bloß römischen Verhältnissen wie Sklaverei und Hausherrschaft im Familienrecht vielfach zu modernen, liberalen Konzepten.
Am bekanntesten nicht nur in der Jurisprudenz wurde S.s Programmschrift „Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“ gegen kodifizierende allgemeine Gesetzbücher. Sie enthält die grundlegende, damals durchaus kritisch-reformpolitische Rechtskonzeption von der Entstehung des Rechts im Volksbewusstsein und seiner modernen Ausdifferenzierung durch Rechtswissenschaft. Besondere Erwähnung verdient seine bisher unbekannte, höchst moderne Strafrechtstheorie S.s. Sie wurde fassbar durch die Kenntnis der Manuskripte seiner privaten „Kronprinzenvorträge“ in Berlin 1816/17. Darin hält er im Strafrecht eine Kodifikation aus Gründen der Rechtsklarheit für nötig und tritt für eine Resozialisierung ein. Die Straftat sei zu vergleichen mit der Verletzung des Vertrauens unter Freunden. „Freundschaft“ ist also auch hier sein übergreifendes sozialtheoretisches Konzept. Sie sei wiederherzustellen durch verdoppelte Innigkeit der Freunde im Umgang miteinander und büßende Selbstdemütigung. Und er fügt hinzu: „ganz so im Staat“. S. plädiert also weder für Rache noch für Vergeltung oder bloße Prävention, sondern für eine Art freie Resozialisierung. Er stellte sich damit erstaunlich gegen die damals ganz dominierenden Vergeltungskonzepte und vertrat eine erzieherische, auf Wiederherstellung des Vertrauens ausgerichtete, resozialisierende Straftheorie.
Zahlreiche Orden und Auszeichnungen, u. a. Orden Pour le Mérite für Wissenschaften und Künste (1842, Ordenskanzler 1859), Bayerischer Maximiliansorden für Wissenschaft und Kunst (1853) und preußischer Schwarzer Adlerorden (1855). S.s unerreichte Berühmtheit zeigte sich auch darin, dass zur häuslichen Trauerfeier in Berlin 1861 der König selbst, die Prinzen, die Professoren im Talar und beim Trauerzug zusätzlich viele Studenten erschienen.
Porträtbüste (lt. Inventar aus dem Jahr 1942: von Friedrich Drake, 1865; kriegszerstört) im Treppenhaus der alten Stadtbibliothek an der Obermainbrücke.
Gedenktafel (1929; kriegszerstört) am Haus Allerheiligenstraße 52/Ecke Klingerstraße an der Stelle des schon früher (vor 1929) abgerissenen Geburtshauses.
S.s Sohn war der Diplomat
Karl (eigentl.: Carl)
Friedrich Georg von S. (1814-1875), von 1864 bis 1866 preußischer Bundestagsgesandter in Ffm., der – ein Gegenspieler
Bismarcks – vom Familiengut Trages aus sehr um das „katholische Ffm.“ bemüht war. Er war befreundet mit dem Ffter Stadtpfarrer
Eugen Theodor Thissen, dem Ffter Historiker
Johannes Janssen und dem Limburger Bischof Peter Joseph Blum (1808-1884). Karl Friedrich von S., der am 11.2.1875 in Ffm. starb, wurde zunächst in einer Gruft auf dem Ffter Hauptfriedhof bestattet; wenige Monate später wurde sein Sarg in die Familiengruft in der Kapelle auf dem Hofgut Trages überführt.
Zum 150. Geburtstag von Friedrich Carl von S. 1929 Gedenkfeier der Universität unter Beteiligung der Stadt Ffm. und der Juristischen Gesellschaft in Ffm. 2011 Tagung „Savigny International?“ des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte und des Instituts für Rechtsgeschichte an der Goethe-Universität in Ffm. Etliche Jubiläumsreden und -texte zu den Gedenktagen 1879, 1911, 1929, 1954, 1961, 1979 (verzeichnet bei Rückert: Idealismus, Jurisprudenz u. Politik bei Friedrich Carl von Savigny 1984, S. 23).
S.straße (seit 1862) im Westend.
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Frankfurter Biographie 2 (1996), S. 247,
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