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Sachs-Fuld, Moritz

Von 1900 bis 1939 Alleineigentümer des Hauses Schöne Aussicht 16 („Schopenhauerhaus“).

Sachs-Fuld, Moritz. Eigentl. Nachname: Sachs; führte nach der Heirat mit Pauline Louise Sachs zusätzlich deren Geburtsnamen. Weinhändler. Diese Angaben konnten anhand von Dokumenten zweifelsfrei bestätigt werden.* 23.3.1850 Koblenz, Diese Angaben konnten anhand von Dokumenten zweifelsfrei bestätigt werden.† 16.6.1940 Ffm.
Aus einer jüdischen Familie, die aus Koblenz stammte. Ältester Sohn des Weinhändlers Nathan Sachs (1825-1896) und dessen erster Ehefrau Regina, geb. Höchheimer (1820-1850). Verheiratet (seit 1877) mit Pauline Louise S.-F., geb. Fuld (1855-1911). Kinder: Edgar Emanuel S.-F. (1878-1917); Rosi (auch: Rosy) Clementine Regina S.-F. (seit 1909 verh. Hiller, 1887-1930). Zwei Enkel aus der Ehe der Tochter Rosi mit dem Architekten Ernst Hiller (1876-1935): Holde Paula Martha Hiller (seit 1934 verh. Hirsch, 1910-1976); Hans-Sachs Hiller (1918-1938), tödlich verunglückt auf einer Bergwanderung in der Nähe von Inzell.
Die Brüder Nathan Sachs (der Vater von Moritz S.-F.) und Salomon Sachs wurden mit ihren Ehefrauen und Kindern 1865 in das Ffter Bürgerrecht aufgenommen und erhielten zugleich die Erlaubnis, die seit 1843 geführte Weinhandlung „Sachs und Höchheimer“ von Koblenz nach Ffm. zu verlegen und in der Stadt eine Champagnerfabrik zu betreiben. Sitz der Firma wurde das direkt am Mainufer gelegene klassizistische Palais Schöne Aussicht 16, das der Stadtbaumeister Johann Georg Christian Hess 1805 für den jüdischen Bankier Zacharias Wertheimber (1782-1844) erbaut hatte; in dem Haus war der Philosoph Arthur Schopenhauer, der ab Sommer 1859 dort zur Miete gewohnt hatte, am 21.9.1860 gestorben. Von der Familie Wertheimber erwarben die Brüder Nathan und Salomon Sachs 1865 die Liegenschaft, zumal sich das mächtige Kellergewölbe des Hauses hervorragend für die Lagerung und Herstellung von Weinen eignete. Bereits im Adressbuch 1866 ist die „Weinhandlung und Fabrik moussirender [sic!] Rhein- und Moselweine“ unter der Firma „Sachs und Höchheimer“ in der Schönen Aussicht 16 verzeichnet. Nathan Sachs bezog mit seiner zweiten Frau Clara, geb. Hamburg (1828-1899), und den sechs Kindern den zweiten Stock des Hauses.
Moritz S.(-F.) trat 1873 als Prokurist in das Familienunternehmen ein und war seitdem erfolgreich im Weinhandel tätig. Er handelte nur mit „großen Weinen“ (nie mit „Konsumweinen“, so Fried Lübbecke: Muschelsaal 1960, S. 465) und unterhielt gute Geschäftsbeziehungen zum ostdeutschen und englischen Hochadel, wofür er jährlich die Schlösser in England und Schottland (bis zu den Orkney-Inseln) bereiste. Überall wurde er als Freund empfangen; er sprach fließend Englisch, verstand sich als Gentleman, spielte außerdem glänzend Klavier und besaß ein ausgeprägtes Vortragstalent. Nach seiner Heirat 1877 war S.-F. in die Bleichstraße 6 gezogen, und von 1899 bis zu seinem Tod wohnte er in der Miquelstraße (später: Siesmayerstraße) 5. Ab 1900 war er Alleineigentümer des Hauses Schöne Aussicht 16 und führte die Weingroßhandlung unter seinem Namen weiter. Um 1910 stieg er aus dem aktiven Geschäft aus. Er vermietete ab 1911 den Weinkeller und die seit Jahrzehnten als Kontor genutzte Parterrewohnung rechts vom Eingang (Schopenhauers Sterbewohnung) an die ebenfalls jüdischen Weinhändler Gebrüder Weiß. Während im zweiten Stock des Hauses S.-F.s Tochter Rosi mit ihrer Familie lebte, vermietete S.-F. die übrigen Räumlichkeiten an gewerbliche Nutzer, städtische Körperschaften wie auch an Privatpersonen. Zu den Mietern gehörten ab 1917 der Kunsthistoriker Fried Lübbecke, der seit 1922 den Bund tätiger Altstadtfreunde leitete, und dessen Ehefrau, die Pianistin und Hindemith-Interpretin Emma Lübbecke-Job. Lübbecke, der sich besonders für die Erhaltung des Hauses und dessen Ruf als „Schopenhauerhaus“ engagierte, veranlasste auch, dass die Porträts von Tycho Mommsen und Johannes Janssen, die Ende des 19. Jahrhunderts in dem Haus gewohnt hatten, im Atrium aufgehängt wurden. Der Bildhauer Richard Petraschke, der spätestens seit 1917 ein Atelier im vierten Stock gemietet hatte, schenkte der Schopenhauer-Gesellschaft anlässlich von Schopenhauers 70. Todestag 1930 eine monumentale Gipsbüste des Philosophen, die bis zu ihrer Zerstörung durch den NS-Mob während des Novemberpogroms 1938 ebenfalls das Atrium des Hauses schmückte. Dem Gründer und Leiter des Schopenhauer-Archivs, Carl Gebhardt, stellte S.-F. in der Schönen Aussicht 16 ab 1921 ein Büro zur Verfügung. Dort trafen sich im Oktober 1933 die Mitglieder der Schopenhauer-Gesellschaft zu ihrer vorläufig letzten Generalversammlung.
S.-F., seit 1913 selbst Mitglied der Schopenhauer-Gesellschaft, begegnete den kulturellen Aktivitäten seiner Mieter, die sein Anwesen über die Grenzen Fft.s hinaus zu einem Anziehungspunkt für Musik- und Schopenhauerfreunde machten, mit großem Wohlwollen. Zugleich war er stets bemüht, die architektonische Ursprünglichkeit des Hauses trotz des damit verbundenen hohen Erhaltungsaufwands zu wahren. Vorschläge seines Schwiegersohns, des Architekten Ernst Hiller, die geringe Rendite durch Umbau der Großwohnungen in besser vermietbare Kleinwohnungen zu steigern, lehnte S.-F. mit dem Argument ab, man dürfe „die großen Geister darin nicht stören, noch weniger die Göttin der Musik“ [zit. nach Fried Lübbecke in: Hartmann (Hg.)/Lübbecke (Bearb.): Alt-Fft. 1950, S. 324]. Unter dem NS-Regime verschärfte sich die schlechte Ertragslage. Bereits für das Jahr 1933 strich die städtische Finanzbehörde S.-F. die bis dahin für Baudenkmäler gewährte Sonderabschreibung. Sein mehrfach erhobener Einspruch gegen den Bescheid blieb ungehört, trotz des Hinweises, dass die Erhaltung des Hauses „in seiner äusseren und inneren Erscheinung“ auch im Interesse der Stadt sei. Schließlich machte S.-F. 1936 beim Finanzamt Verluste geltend, denn die Kündigung städtischer Mietverträge (zuletzt im Juli 1937 durch die Ffter Künstlertheater GmbH) führte zu weiteren Einnahmeverlusten bei stetig steigenden Aufwendungen für den Erhalt der Immobilie.
Im Zuge der antijüdischen Novemberpogrome drang am 10.11.1938 ein etwa zwölfköpfiger NS-Schlägertrupp in das Haus Schöne Aussicht 16 ein und zerstörte gezielt das Inventar der Weinhandlung Gebrüder Weiß, deren Inhaber dadurch zur Geschäftsaufgabe gezwungen wurden. Per Verfügung vom 2.12.1938 befürwortete Oberbürgermeister Friedrich Krebs die Einrichtung eines Schopenhauer-Museums in der durch die Vertreibung der Gebrüder Weiß freigewordenen Wohnung. Das Kulturamt hatte im Vorfeld bereits Verhandlungen mit S.-F.s Hausverwalter Hermann Nägele über die Anmietung der seit Schopenhauers Tod baulich völlig unverändert gebliebenen Parterrewohnung geführt und das Einverständnis von Richard Oehler als Direktor der Stadtbibliothek und Karl Jahn als Betreuer des Schopenhauer-Archivs zur Verlegung des Schopenhauer-Archivs von der Stadtbibliothek an die Schöne Aussicht 16 eingeholt. Am 21.3.1939 genehmigte der Oberbürgermeister eine überplanmäßige Sonderausgabe für die Mietkosten und die Ausstattung des Museums. Zeitgleich führte das städtische Bauamt im Auftrag des Kulturamts Verhandlungen mit S.-F. über den Erwerb der gesamten Liegenschaft, die schließlich am 29.3.1939 zum Vertragsabschluss führten. Damit ging das Haus Schöne Aussicht 16 zum 1.4.1939 in das Eigentum der Stadt über; der Kaufpreis betrug 71.300 Reichsmark (was dem 1935 neu festgesetzten Einheitswert entsprach) zuzüglich Vertragskosten. Von dem Verkaufserlös, der zunächst auf ein Sperrkonto eingezahlt wurde, überwies die Stadt Ffm. 11.860 Reichsmark als „Judenvermögensabgabe“ (eine vom NS-Staat nach dem Novemberpogrom 1938 verfügte Sondersteuer für Juden) direkt an das Finanzamt. S.-F. erhielt den Betrag von 56.403 Reichsmark als Privatvermögen, den er in Wertpapieren anlegte. Inwiefern S.-F. hinter dem Verkauf stand oder sich durch die politischen Umstände dazu gezwungen sah, lässt sich anhand der überlieferten Quellen kaum beurteilen. Jedenfalls war die Einrichtung des Schopenhauer-Museums durchaus in seinem Sinne. Am 7.4.1939 schrieb er an seinen langjährigen Mieter Fried Lübbecke: „Die alte Ehrwürdigkeit meines Palastbaues bleibt bestehen; das Weilen des großen Philosophen darin hat den Ruf des Hauses in der ganzen Welt in alle gebildeten Kreise hinausgetragen, und jetzt mag durch das Museum eine neue Glanzperiode ihm zukommen, die ich freilich nach Vollendung des 89ten nicht lange miterleben kann.“ (Zit. nach Lübbecke: Muschelsaal 1960, S. 468.)
S.-F. starb ein Jahr später und wurde neben seiner bereits 1911 verstorbenen Frau auf dem Jüdischen Friedhof Rat-Beil-Straße bestattet (Block 95, Reihe 1, Nr. 764c und 765a).
Das Haus Schöne Aussicht 16 wurde bei dem Luftangriff auf die Stadt Ffm. am 22.3.1944 bis fast auf die Grundmauern zerstört (vgl. Lübbeckes Erlebnisbericht „Abschied vom Schopenhauerhause“, ursprünglich verfasst für die Mitglieder des Bunds tätiger Altstadtfreunde, 1944). S.-F.s Alleinerbin, seine Enkelin Holde Hirsch-Hiller, die dem Juristen Ernst Eduard Hirsch 1934 ins türkische Exil gefolgt war, um ihn dort zu heiraten, meldete nach dem Krieg Rückerstattungsansprüche an. Sie verglich sich mit der Stadt am 31.1.1951 dahingehend, dass ihr das Trümmergrundstück gegen eine Zahlung von 7.100 D-Mark zurückerstattet wurde (wobei die Kaufsumme nach der Währungsumstellung dem ursprünglichen Kaufpreis entsprach). 1954 verkaufte Holde Hirsch-Hiller, nicht zuletzt nach vergeblichen Versuchen von Lübbecke u. a. zum Wiederaufbau des Schopenhauer-Museums, das Grundstück an eine private Investmentfirma zum Bau eines (bis heute dort erhaltenen) Mietshauses. Das Trümmergrundstück wurde Mitte Juli 1954 geräumt.

Artikel aus: Frankfurter Personenlexikon, verfasst von Gudrun Jäger.

Literatur:
                        
Franz-Schneider, Lucia: Erinnerungen an das Schopenhauerhaus Schöne Aussicht Nr. 16 in Ffm. (...) niedergeschrieben im Jahre 1911. Mit einem Nachwort von Fried Lübbecke. Ffm. 1959.Franz-Schneider: Erinnerungen an das Schopenhauerhaus 1959. | Hartmann, Georg (Hg.)/Lübbecke, Fried (Bearb.): Alt-Fft. – Ein Vermächtnis. Ffm. [1950].Hartmann (Hg.)/Lübbecke (Bearb.): Alt-Fft. 1950, S. 323-330. | Lübbecke, Fried: Der Muschelsaal. Ffm. 1960.Lübbecke: Muschelsaal 1960, S. 464-468.
Quellen: Ffter Volksblatt (Ffter Beobachter). Nationalsozialistische Tageszeitung; ab 1933: Amtliches Organ [später: Zentralorgan] der NSDAP für den Gau Hessen-Nassau. Ffm. 1930-43. [Dann fortgesetzt u. d. T.: Rhein-Mainische Zeitung. Ffm. 1943-45.]Wüst, H. Th.: Schaffung einer Schopenhauer-Stätte. Eine Unterredung mit dem Direktor der Stadtbibliothek, Professor Oehler. In: Ffter Volksblatt, 28.2.1938. | Hessisches Landesarchiv (HLA), Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (HHStAW).HLA, Hess. Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Entschädigungsakten, Best. 518 Nr. 15944 (Paula Martha Holde Hirsch, geb. Hiller, 1954-65). | Hessisches Landesarchiv (HLA), Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (HHStAW).HLA, Hess. Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Steuerakten, Best. 676 Nr. 2688 (Moritz Sachs-Fuld, um 1930-45). | ISG, Archiv der „Freunde Fft.s“ (vorm. Bund tätiger Altstadtfreunde), 1950-90.ISG, Freunde Fft.s – Bund tätiger Altstadtfreunde, V40/59. | ISG, Kirchen- bzw. Standesbücher: Heiratsbücher, Ffm., 1533-1848 bzw. 1849-1939.Eintrag der Heirat mit Pauline Louise Fuld, 31.5.1877: ISG, Kirchen- bzw. Standesbücher: Heiratsbuch, Bestand STA 11/53: Standesamt Ffm. I, Heiratsurkunde 1877/I/604 (Bd. 2, Bl. 254). | ISG, Kirchen- bzw. Standesbücher: Tauf- bzw. Geburtsbücher, Ffm., 1533-1850 bzw. 1851-1909.Geburtsurkunde der Tochter Rosi Clementine Regina Sachs, geb. am 4.11.1887 in Ffm.: ISG, Kirchen- bzw. Standesbücher: Tauf-/Geburtsbuch, Bestand STA 10/238: Standesamt Ffm. I, Geburtsurkunde 1887/I/3667 (Bd. 7, S. 67). | ISG, Kirchen- bzw. Standesbücher: Tauf- bzw. Geburtsbücher, Ffm., 1533-1850 bzw. 1851-1909.Geburtsurkunde des Sohns Edgar Emanuel Sachs, geb. am 4.9.1878 in Ffm.: ISG, Kirchen- bzw. Standesbücher: Tauf-/Geburtsbuch, Bestand STA 10/123: Standesamt Ffm. I, Geburtsurkunde 1878/I/2877 (Bd. 5, S. 477). | ISG, Kirchen- bzw. Standesbücher: Toten-/Sterbebücher (Beerdigungs- bzw. Sterbebücher), Ffm., 1565-1850 bzw. 1851-1989.Sterbeurkunde der Ehefrau Pauline L(o)uise Sachs, geb. Fuld, gest. am 30.1.1911: ISG, Kirchen- bzw. Standesbücher: Toten-/Sterbebuch, Best. STA 12/435: Standesamt Ffm. I, Sterbeurkunde 1911/I/129 (Bd. 1, S. 129). | ISG, Magistrat: Nachträge (Best. A.02.02), Mischbestand aus dem Bereich Stadtkanzlei-Haupt(verwaltungs)amt, 1917-67; dazu Rep. 804.ISG, Magistrat: Nachträge 122 (Niederschrift über die nichtöffentliche Beratung mit den Gemeinderäten, 4.5.1939; hier: Erwerb des Hauses Schöne Aussicht 16/Hinter der Schönen Aussicht 21 aus jüdischem Besitz und geplante Errichtung einer Schopenhauer-Gedächtnisstätte). | ISG, Magistratsakten (Best. A.02.01), Serien 1868-1930 und 1930-69.ISG, MA 8.040 (Stadtbibliothek: Leihgaben, 1930-54; hier: Schopenhauer-Bibliothek, -Archiv und -Museum). | ISG, Bestand Senatssupplikationen (Best. H.02.16), 1814-68.ISG, Senatssuppl. 856/9 (Sachs, Nathan, Weinhändler aus Koblenz, Gesuch um Bürgerrecht für sich, seine Ehefrau und seine Kinder sowie um Verlegung der Weinhandlung „Sachs und Höchheimer“ nach Ffm. u. a., 1864-65). | ISG, Bestand Senatssupplikationen (Best. H.02.16), 1814-68.ISG, Senatssuppl. 856/10 (Sachs, Salomon, Weinhändler aus Koblenz, Gesuch um Bürgerrecht für sich, seine Ehefrau und seine Kinder sowie um Verlegung der Weinhandlung „Sachs und Höchheimer“ nach Ffm. u. a., 1862-65).

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Empfohlene Zitierweise: Jäger, Gudrun: Sachs-Fuld, Moritz. In: Frankfurter Personenlexikon (Onlineausgabe), https://frankfurter-personenlexikon.de/node/13154

Stand des Artikels: 4.7.2023
Erstmals erschienen in Monatslieferung: 06.2023.