G. kam als Sohn des Schuhmachermeisters Johann David G. (1825-1900) und dessen Ehefrau Hulda Emilie, geb. Thym (1845-1921), in der Alten Gasse 69 in Ffm. zur Welt. Beide Eltern waren evangelisch getauft und in Waltershausen im Herzogtum Sachsen-Coburg-Gotha geboren. Am 9.3.1909 heiratete G. in Nürnberg
Lilly Gertrude Hellmann (1885-1983), die Schwester seiner Heidelberger Studienfreundin
Hanna Hellmann. Aus der Ehe stammte ein Sohn, der Bildhauer
Hans Bernt G. (1915-1995).
G. wuchs in der Ffter Altstadt auf und zog 14-jährig 1895 mit seinen Eltern in eine Wohnung in die Niedenau 30. Trotz bescheidener Herkunft und häufiger Krankheit in der Jugend besuchte G. das städtische Gymnasium, später das daraus hervorgegangene Lessing-Gymnasium, das er Ostern 1899 mit der Reifeprüfung abschloss. Im Wintersemester 1899 immatrikulierte sich G. an der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg, im Wintersemester 1900/01 studierte er an der Universität Berlin. Seine Studienschwerpunkte waren Philosophie und Kunstgeschichte; er besuchte aber auch Vorlesungen in Nationalökonomie, Jura und Medizin. 1905 wurde G. bei dem Neukantianer Kuno Fischer (1824-1907) in Heidelberg mit einer ideengeschichtlichen Arbeit über Spinoza promoviert („Spinozas Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes“, Diss., 1905). Sein wichtigster Lehrer der Kunstgeschichte in Heidelberg war
Henry Thode, früherer Direktor des Städelschen Kunstinstituts in Ffm., dem er seine Studie „Die Anfänge der Tafelmalerei in Nürnberg“ (1908) widmete.
Nach der Promotion kehrte G. in seine Heimatstadt Ffm. zurück, wo er sich zunächst als Privatgelehrter und Kunstkritiker niederließ. Neben seinen Arbeiten als Wissenschaftler und Philosoph, besonders auf dem Gebiet der Spinoza-Forschung, entwickelte er eine ausgedehnte publizistische und volksbildnerische Tätigkeit. Regelmäßig schrieb G. für die FZ. Die beiden Feuilletonchefs
Rudolf Geck (der 1934 den Nachruf auf G. verfassen sollte) und dessen Nachfolger
Benno Reifenberg waren Freunde der Familie. Außerdem publizierte G. für renommierte Kunstzeitschriften, darunter „Die Kunst für alle“, „Der Cicerone“ und „Der Kunstwart“. Seine Schwerpunkte waren die Malerei des Barocks sowie die französische impressionistische Malerei des 19. Jahrhunderts. Häufig kommentierte und analysierte er das Kunstgeschehen in der Stadt Ffm., besprach Ausstellungen, die Ankaufpolitik der Museen oder recherchierte zu bedeutenden Ffter Kunstwerken und Künstlern. 1912 initiierte G. mit dem Ffter Kunstverein eine Reihe von Sonderausstellungen zum Thema „Ffter Meister des 19. Jahrhunderts“. Im gleichen Jahr gehörte er zusammen mit der Malerin
Ottilie W. Roederstein, einer langjährigen Freundin der Familie, und dem Städeldirektor
Georg Swarzenski zum Komitee für die Ausstellung „Die klassische Malerei Frankreichs im 19. Jahrhundert“, die mit Werken von Cézanne, Monet, Degas, van Gogh, Gaugin, Daumier u. a. im Kunstverein gezeigt wurde. G. sprach die Einführung zu der Ausstellung.
Zeitlebens engagierte sich G. in der Volksbildung. Er galt als begnadeter Redner und hielt zahlreiche Vorträge und Vorlesungsreihen zu philosophischen, kulturpolitischen und historischen Themen, insbesondere für den Ffter Ausschuss für Volksvorlesungen (ab 1919: Ffter Bund für Volksbildung), aber auch für andere lokale Vereine und Institutionen, darunter das Freie Deutsche Hochstift, das Freie Jüdische Lehrhaus und das Frauenseminar für soziale Berufsarbeit. Nach Beginn des Ersten Weltkriegs setzte sich G., einem vaterländischen Pflichtgefühl folgend, für die Kriegsbeschädigtenfürsorge ein und gründete im Mai 1915 die Ffter Lazarett-Zeitung, die er als ehrenamtlicher Redakteur leitete. Das Blatt avancierte bald mit Unterstützung des Preußischen Kriegsministeriums zur Hessischen Lazarett-Zeitung und wurde schließlich zu einem Modellprojekt für ganz Deutschland. Es bot den „Kriegsbeschädigten im weitesten Sinne“ praktische Lebenshilfe aller Art, Rechtsinformationen, Fortbildungshinweise etc., aber auch einen „Briefkasten“, in dem Einzelne mit Fragen, Sorgen oder Nöten zu Wort kamen. 1918 gab G. ein „Auskunfts-Büchlein für Soldaten“ zur Rechtsberatung für Soldaten im Auftrag der Kriegsfürsorge des Deutschen Roten Kreuzes heraus.
G. war ein hervorragender Netzwerker, der beste Kontakte zur Ffter Bürgergesellschaft unterhielt. Im Februar 1916 luden städtische Funktionsträger für den Ffter Ausschuss für Volksvorlesungen zu stände- und parteiübergreifenden Diskussionsrunden ein, auf denen man sich über die staatsbürgerlichen Aufgaben in Kriegszeiten verständigte. Neben G. unterzeichneten die Einladung die Frauenrechtlerin
Anna Edinger, der Leiter des Ffter Ausschusses für Volksvorlesungen
Wilhelm Epstein, der Industrielle Adolf Haeffner, der Historiker Georg Küntzel, der Rechtsanwalt
Paul Levi, Bürgermeister
Hermann Luppe, der Unternehmer
Heinrich Roessler, der Jurist
Hugo Sinzheimer und Stadtrat
Philipp Stein. Im Mai 1916 wurde G. Mitglied des Rhein-Mainischen Verbands für Volksbildung (RhMV), in dem sich Personen, Städte und Gemeinden sowie Vereine und Ausschüsse mit volksbildender Zielsetzung zusammengeschlossen hatten, und beteiligte sich fortan als Vortragender an dessen mehrtägigen Kriegsvolksakademien (1916 in Diez, 1917 in Heppenheim und 1918 in Schlüchtern). Im Juni 1916 wurde er auf Vorschlag des Ffter Ausschusses für Volksvorlesungen in der Nachfolge von
Hugo Sinzheimer, der seine Tätigkeit wegen Arbeitsüberlastung aufgab, in den Vorstand des RhMV berufen. Im Juni 1917 wurde er auf der Mitgliederversammlung in dieser Funktion offiziell bestätigt, übernahm im gleichen Jahr das Amt des Schriftführers und wurde Mitglied des Arbeitsausschusses, der die Vorstandsarbeit des Verbands organisierte.
1920 entwickelte G. ein neues Konzept für den Rhein-Mainischen Verband für Volksbildung und wurde dessen Geschäftsführer, ein Amt, das er bis zu seinem Tod innehatte. Nach dem Vorbild des infolge des Ersten Weltkriegs aufgelösten Rhein-Mainischen Verbandstheaters gründete er das „Ffter Künstlertheater für Rhein und Main“ (ab 1933/34: Rhein-Mainisches Künstlertheater), das wiederum als Abteilung des RhMV geführt und am 15.10.1920 im Großen Saal des Volksbildungsheims eröffnet wurde. Der Theaterbetrieb war spätestens ab 1924 in einer GmbH organisiert, in der G. den Vorsitz im Aufsichtsrat ausübte. Als Wanderbühne im volksbildenden Auftrag sollte das Künstlertheater Theatervorstellungen im gesamten Verbandsgebiet veranstalten. Es wurde von einem geschäftsführenden Intendanten geleitet (von 1920 bis 1923 Adam Kuckhoff, wohl zumindest zeitweise zusammen mit Robert George, von 1924 bis 1930
Hans Meissner, von 1930 bis 1937 Fritz Richard Werkhäuser) und absolvierte bis zu 200 Vorstellungen im Jahr. Weitere Schwerpunkte der Verbandsarbeit waren die Gründung von Volks- und Wanderbüchereien und Heimatmuseen sowie die Organisation von Konzerten, Ausstellungen und Lichtbildervorträgen, aber auch die berufsbezogene Erwachsenenbildung. Unter G.s Leitung weitete sich der Wirkungsradius des RhMV erheblich aus und umfasste schließlich Hessen-Nassau sowie die besetzten Rheinprovinzen, wo der Verband im Rahmen des Kulturkampfs seinen Einfluss geltend machte. G., der vermutlich zeitweise der Deutschen Demokratischen Partei angehörte, vertrat zwar auch kulturkonservative Positionen, fühlte sich aber vor allem einem humanistischen, an den Bedürfnissen des Menschen orientierten Bildungsideal verpflichtet. Als Liberaler und Republikaner vertrat er die These, dass „Demokratie (…) ohne Volksbildung“ undenkbar sei und dass die Leitidee jeglicher Volksbildung stets „Toleranz allen Standpunkten gegenüber und Wissenschaftlichkeit, d. h. Streben nach objektiver Erkenntnis“, sein müsse.
Im Sinne seines aufklärerischen Bildungsbegriffs versuchte G., auch das Kino und insbesondere den Rundfunk für die Volksbildung nutzbar zu machen. Ab Juni 1927 gehörte er dem Kulturbeirat der Südwestdeutschen Rundfunkdienst AG (SÜWRAG) in Ffm. an. Im Sommer 1928 veranstaltete G. eine große Landfunk-Konferenz in Wiesbaden. Im Herbst 1928 rief er die „Die Stunde des Landes“ ins Leben, eine für den Gemeinschaftsempfang der Landbevölkerung konzipierte Sendung, sowie den „Rundfunkversuchskreis“, der bis zu 870 Mitglieder zählte. G. versorgte die als Multiplikatoren agierenden Volksbildner mit dem nötigen Informationsmaterial und technischen Knowhow, damit sie mit innovativen Methoden in der Provinz auf Sendung gehen konnten. Das Ziel dieser Bildungsbemühungen bestand in der Verringerung des Stadt-Land-Gegensatzes und der Herstellung eines Gefühls der Zugehörigkeit zur „Volksgemeinschaft“. Mit der Verstaatlichung der Rundfunkanstalten ab 1932 wurde G. in den neu gegründeten Programmbeirat berufen, der ihn auf der konstituierenden Sitzung am 12.1.1933 einstimmig zum Vorsitzenden wählte. In seiner Antrittsrede sprach er sich für die Unabhängigkeit des Hörfunks von staatlichen Einflüssen und Werbung aus. Neben seinen umfangreichen Aktivitäten als Volksbildner unterrichtete G. zeitweise an einem Ffter Gymnasium und förderte Reformschulversuche wie die Röderbergschule, an der er einige Jahre dem Schulelternbeirat vorstand.
Als Spinoza-Forscher brachte G. zahlreiche Übersetzungen, Editionen und Kommentierungen von Spinozas Werken heraus, „die besten, die genauesten und vollständigsten in deutscher Sprache“ (Adolph S. Oko, 1936), begonnen mit Spinozas „Sämtlichen Werken“ bei Dürr in Leipzig (als Mitherausgeber; 7 Bde. in 3 Bden., 1907-14) und fünf Bänden in der Philosophischen Bibliothek des Leipziger Felix Meiner Verlags (1907-22). Der Höhepunkt von G.s Spinoza-Philologie war die Edition von Spinozas Werken in den Originalsprachen unter dem Titel „Spinoza Opera“ (4 Bde., 1925, Nachdr. 1972), die im Auftrag der Heidelberger Akademie der Wissenschaften entstand. Drei Ergänzungsbände, die in Vorbereitung waren, konnte G. wegen Krankheit vor seinem Tod nicht fertigstellen. Den Antrag für dieses Editionsprojekt hatte G. bereits 1913 bei der Heidelberger Akademie eingereicht. Seine Eignung dafür begründete er einerseits mit seinen Sprachkenntnissen – er beherrschte neben den alten Sprachen zahlreiche moderne, darunter das Niederländische –, zum anderen mit der Tatsache, dass der Ffter Juraprofessor
Berthold Freudenthal, Sohn des Spinoza-Forschers Jakob Freudenthal (1839-1907), ihm den Nachlass seines Vaters zur wissenschaftlichen Auswertung überlassen hatte. Eine ergänzte Neuauflage des erstmals 1904 erschienenen Freudenthal’schen Werks „Spinoza. Leben und Lehre“ gab G. im Auftrag der von ihm gegründeten Spinoza-Gesellschaft 1927 in vier europäischen Ländern und Verlagen heraus, u. a. im Heidelberger Universitätsverlag Carl Winter. Dort veröffentlichte G. auch seine eigenen zahlreichen philosophisch-historischen Abhandlungen und Studien zu Spinoza und dessen Zeit.
Spinozas Denken war für G., der sich als Spinozist verstand, nicht nur Gegenstand wissenschaftlicher Studien, sondern auch Lebenslehre. Ausgehend von der Auffassung, dass Spinoza „den Anthropocentrismus aus der Weltbetrachtung verbannt“ habe, stellte G. stets uneigennützig und keinem Dogma folgend seine Kräfte ganz in den Dienst der Sache. Aus diesem Geist heraus gründete er am 1.7.1920 in Den Haag die weltweit erste internationale Spinoza-Gesellschaft, die „Societas Spinozana“, zusammen mit vier Spinoza-Forschern aus verschiedenen europäischen Ländern. G. fungierte als Redakteur ihres mehrsprachigen Jahrbuchs „Chronicon Spinozanum“ (5 Bde., 1921-27), in dem er selbst etliche Aufsätze veröffentlichte. 1926 errichtete G. die „Domus Spinozana“, eine Stiftung, die Spinozas Sterbehaus in Den Haag kaufte und damit vor dem Ruin rettete. Den Aufruf zur Gründung der Stiftung hatten in Deutschland illustre Persönlichkeiten wie
Thomas Mann, Ernst Cassirer,
Berthold Freudenthal, Edmund Husserl, Jakob Wassermann und Theodor Ziehen unterzeichnet. Die Kaufsumme akquirierte G. u. a. bei amerikanischen Geldgebern. Hierbei unterstützte ihn sein aus Russland stammender Freund Adolph S. Oko (1883-1944), Gründer der ersten amerikanischen Spinoza-Gesellschaft und Bibliothekar am Hebrew Union College in Cincinnati. Am 22.2.1927 wurde das Spinozahaus in Den Haag, das als Sitz der „Societas Spinozana“ sowie als Museum, Archiv und internationales Forschungs- und Begegnungszentrum dienen sollte, anlässlich von Spinozas 250. Todestag eröffnet. 1932, anlässlich von Spinozas 300. Geburtstag, schenkte G. der „Domus Spinozana“ eine heute noch existierende Bronzebüste des Philosophen. Schöpfer der Büste war der Bildhauer Alfred H. Hüttenbach (1897-1960), ein Verwandter mütterlicherseits von G.s Frau Lilly.
Besondere Verdienste erwarb sich G. als Kunsthistoriker, Sammler, Archivar, Herausgeber und Ffter Stadtbürger auf dem Gebiet der
Schopenhauer-Forschung. Vor allem gilt er als „der Schöpfer des
Schopenhauer-Archivs im heutigen Sinne“ (Jochen Stollberg, 2009). Auch wenn er diesem Philosophen weltanschaulich weniger nahestand als Spinoza, hatte G. schon 1911 zu den 25 Unterzeichnern des von Paul Deussen (1845-1919) initiierten Aufrufs zur Gründung einer
Schopenhauer-Gesellschaft gehört. Außer G. hatten den Gründungsaufruf zwei weitere Ffter unterschrieben, der Bankier
Arthur von Gwinner und
Friedrich Clemens Ebrard, der Direktor der Ffter Stadtbibliothek. Zu beiden unterhielt G. stets enge und freundschaftliche Beziehungen. Auch pflegte er die Verbindung zu
Wilhelm von Gwinner, dem Nachlassverwalter und ersten Biographen
Schopenhauers, dem er wichtige Hinweise für die Suche nach Schopenhaueriana verdankte.
Anlässlich der zweiten Generalversammlung der
Schopenhauer-Gesellschaft, die im Mai 1913 in Ffm. stattfand, kuratierte G. in der Stadtbibliothek eine Ausstellung mit 44
Schopenhauer-Porträts. Aus der Ffter Stadtbibliothek, die sieben Daguerreotypien als testamentarisches Vermächtnis
Schopenhauers als Beginn einer Sammlung zu dem Philosophen erhalten hatte, stammten mehr als ein Dutzend der Exponate, während die meisten anderen als Leihgaben aus Ffter Privatbesitz kamen. Darunter befanden sich auch G.s eigene Schopenhaueriana: drei Zeichnungen aus dem Nachlass des Malers Jules Lunteschütz (1822-1893), eine Radierung von
Angilbert Göbel (1821-1882) und eine Daguerreotypie. Später (1933) schenkte G. dem
Schopenhauer-Archiv eine Zeichnung
Schopenhauers von dem Ffter Maler
Hermann Junker (1838-1899) aus seinem Bestand; das Blatt ging im Zweiten Weltkrieg verloren. Anlässlich der Ausstellung von 1913 verfasste G. die erste wissenschaftliche
Schopenhauer-Ikonografie („
Schopenhauer-Bilder. Grundlagen einer Ikonographie“, 1913), ein Basiswerk, auf dem spätere Generationen aufbauten. Schon damals, im Jahr 1913, so G. später, habe er den Plan verfolgt, in Ffm. ein
Schopenhauer-Archiv aufzubauen, damit „alles, was jetzt nur für kurze Zeit in der Ffter Stadtbibliothek zusammengebracht war, für die Dauer dort“ vereinigt würde. Im Mai 1918 wurde G. auf der Generalversammlung in Kiel in die Wissenschaftliche Leitung der
Schopenhauer-Gesellschaft gewählt, die für die Herausgabe des Jahrbuchs verantwortlich war. Infolgedessen geriet er, obwohl Protestant, in die völkisch-antisemitische Schusslinie von Maria Groener (1883-1937), einem später aus der
Schopenhauer-Gesellschaft ausgeschlossenen Mitglied, das G. in einem Pamphlet als „verjudet-journalistisch“ beschimpfte.
Die Gründung des
Schopenhauer-Archivs, das am 16.10.1921 anlässlich einer weiteren Generalversammlung der
Schopenhauer-Gesellschaft in Ffm. eröffnet wurde, wurde durch das Zusammenwirken mehrerer Akteure ermöglicht. 1919 starben kurz nacheinander Paul Deussen und Josef Kohler (1849-1919), beide im Vorstand der
Schopenhauer-Gesellschaft. Das verbleibende dritte Vorstandsmitglied,
Arthur von Gwinner, ernannte in Absprache mit der Wissenschaftlichen Leitung den Ffter Justizrat
Leo Wurzmann (1860-1941) provisorisch zum Vorsitzenden. Der Sitz der
Schopenhauer-Gesellschaft wurde dadurch satzungsgemäß von Kiel nach Ffm. verlegt. Auf der Generalversammlung des Jahres 1920 in Weimar wurden diese Schritte durch Mitgliederbeschluss bestätigt, und zugleich wurde G. in das neu geschaffene Amt des Archivars der
Schopenhauer-Gesellschaft gewählt, wodurch er zum Vorstand gehörte. G., der nie in städtischen Diensten stand, hat diese Funktion zeitlebens ehrenamtlich ausgeübt. Die
Schopenhauer-Sammlungen der Stadtbibliothek und der
Schopenhauer-Gesellschaft wurden in einer selbstständigen Abteilung der Stadtbibliothek in Ffm. zusammengefasst, nach G.s Anweisungen geordnet und in einem eigenen Raum der Forschung und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Der Bibliotheksdirektor
Friedrich Clemens Ebrard stellte einen Mitarbeiter zur Pflege des Bestands ab, und
Moritz Sachs-Fuld, Mitglied der
Schopenhauer-Gesellschaft und Besitzer des
Schopenhauerhauses in der Schönen Aussicht 16, überließ G. Arbeitsräume in diesem Haus, im Stockwerk über
Schopenhauers Sterbezimmer, zur Nutzung.
Als Archivar des
Schopenhauer-Archivs verfolgte G. drei inhaltliche Hauptziele: die Sammlung aller authentischen
Schopenhauer-Bildnisse gemäß dem letzten Willen des Philosophen, die Anlage eines vollständigen Epistolariums und die lückenlose Rekonstruktion von
Schopenhauers Bibliothek. In diesem Sinne mehrte G. kontinuierlich den Bestand des Archivs, wobei ihm seine Kompetenz als ausgewiesener Sammler von Büchern, Autographen und Kunstwerken – er besaß u. a. eine vollständige Sammlung von Ffter Mundartstücken seit dem 18. Jahrhundert – zugutekam. Auch der Zugang von zahlreichen Nachlassobjekten, darunter das noch heute erhaltene Sofa
Schopenhauers, ist G. und seinen Recherchen auf den Spuren der Haushälterin des Philosophen, Margarete Schnepp, zu verdanken. Über seine Tätigkeit als Archivar verfasste G. regelmäßig Rechenschaftsberichte, die im
Schopenhauer-Jahrbuch erschienen, und vermeldete dort erfolgreiche Erwerbungen (z. B. von
Schopenhauers Jugendbildnis des Malers Ludwig Sigismund Ruhl, 1815) wie aus Geldmangel nicht realisierbare Ankäufe. 1929, anlässlich der dritten Generalversammlung, die die
Schopenhauer-Gesellschaft in Ffm. abhielt, organisierte G. federführend für den Ffter Ortsausschuss die vielbeachtete Tagung „Philosophie und Religion“, auf der
Martin Buber und
Albert Schweitzer als Hauptredner auftraten. 1930, anlässlich von
Schopenhauers 70. Todestag, fand im Namen der
Schopenhauer-Gesellschaft und des Bunds tätiger Altstadtfreunde im Atrium des Hauses Schöne Aussicht 16 eine Gedenkveranstaltung statt, bei der G. die Rede hielt. Dabei wurde eine Büste des Philosophen enthüllt, geschaffen von dem im Haus lebenden Bildhauer
Richard Petraschke (zerstört beim Novemberpogrom 1938). Im selben Haus, im Arbeitszimmer des Archivars, traf sich am 22.10.1933 die vierte Ffter Generalversammlung der
Schopenhauer-Gesellschaft in kleiner Runde, nachdem die Versammlung in München wegen der politischen Verhältnisse nicht hatte abgehalten werden können. G. hielt eine Gedenkrede auf
Arthur von Gwinner, den verstorbenen Mäzen der
Schopenhauer-Gesellschaft und des
Schopenhauer-Archivs, und zeigte die Neuerwerbungen in der Stadtbibliothek.
Als Herausgeber edierte G. zwei
Schopenhauer-Briefbände:
Schopenhauers Korrespondenz mit dem Verleger Brockhaus auf der Basis von Recherchen im Leipziger Verlagsarchiv (1926) und den ersten Band des
Schopenhauer-Briefwechsels als Band 14 der Deussen-Ausgabe (1929). Mit der Sammlung der
Schopenhauer-Briefe und der Vorbereitung der Edition beschäftigte sich G. seit 1911; den Auftrag dazu hatte ihm seinerzeit Deussen erteilt. Zwei weitere Bände, für die G. schon erhebliche Vorarbeiten geleistet hatte, konnte er aufgrund von Krankheit nicht mehr fertigstellen. Im Bewusstsein seines herannahenden Todes und in Absprache mit dem Vorstandsvorsitzenden der
Schopenhauer-Gesellschaft, Hans Zint (1882-1945), überließ G. schließlich 1933 die Herausgabe der geplanten beiden Bände
Arthur Hübscher. Erste Kontakte zwischen
Hübscher und G. gab es bereits 1931, in dem Jahr, als
Hübscher erstmals als Mitglied der
Schopenhauer-Gesellschaft erwähnt wird.
Von 1910 bis 1932 wohnte G. mit seiner Familie zur Miete im Röderbergweg 170. Nach seiner Erkrankung zog die Familie in eine Wohnung in der Villa Auf dem Mühlberg 14, wo er die letzten beiden Lebensjahre verbrachte. Das Haus der Familie G. galt als sehr gastfrei. Ausländische Wissenschaftler hielten sich dort wochenlang zu Forschungszwecken auf; zu den Besuchern gehörten etwa
Albert Schweitzer,
Martin Buber, Else Lasker-Schüler und Stanislaus von Dunin-Borkowski. G.s Charakter galt als redlich und lauter, was vielfach und einmütig überliefert ist. Er sei ein Humanist und Mensch großer Bildung, ein Weltbürger, bewusster Staatsbürger und „aufrechter Demokrat von Alt-Ffter Prägung“ (Hans Zint, 1935) gewesen. Lediglich
Arthur Hübscher, der nach halbjähriger Amtsführung durch
Richard Oehler in der Nachfolge von G. 1936 zum Archivar der
Schopenhauer-Gesellschaft gewählt wurde, sah seinen Vorgänger äußerst kritisch. Er schätzte G.s wissenschaftliche Fähigkeiten sehr gering, zuletzt in seiner 1983 erschienenen Autobiographie, in der er G. philologische Unfähigkeit unterstellt und die
Schopenhauer-Briefausgabe von 1929 als ein „von gröbsten Fehlern (...) strotzendes Musterstück editorischer Liederlichkeit“ bezeichnet.
Hübschers auch an anderer Stelle mehrfach geäußerte negative Haltung gegenüber G.s Leistungen dürfte nicht wenig zum Verblassen der Erinnerung an den Schöpfer des
Schopenhauer-Archivs beigetragen haben.
Weitere Publikationen (in Auswahl): „Zur Ffter Theaterfrage“ (Sonderdruck eines Vortrags, 1916), „Der demokratische Gedanke“ (1920), Nachwort zu „Die Entführung oder Der alte Bürger-Capitain“ von
Carl Malß (Nachdruck der Erstausgabe, 1921), „Das
Schopenhauerarchiv“ (Festschrift zur 13. Tagung der
Schopenhauer-Gesellschaft, 1929), „Zehn Jahre Ffter Künstlertheater für Rhein und Main“ (Sonderdruck eines Vortrags, 1930) und „Das Buch der Lieder“ (1931). G. schrieb insbesondere in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg regelmäßig für mehrere Kunstzeitschriften, u. a. in „Der Cicerone“ (z. B. „
Peter Burnitz. Zur Ausstellung im Ffter Kunstverein“ und „Die Neuerwerbungen französischer Malerei im Städelschen Kunstinstitut zu Ffm.“, beide 1912) und in den „Monatsheften für Kunstwissenschaft“ (z. B. „
Grünewald-Schule in Fft.“ und „Ffter Maler des 15. und 16. Jahrhunderts“, beide 1912); außerdem veröffentlichte er etwa in der geschichtlichen Zeitschrift „Alt-Fft.“ und im Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts sowie in den Organen der Volksbildung bzw. des Rhein-Mainischen Verbands für Volksbildung. Zahlreiche Berichte als Archivar und weitere Beiträge von ihm erschienen in den
Schopenhauer-Jahrbüchern, u. a. „
Wilhelm von Gwinner“ (1919), „
Schopenhauer und die Romantik. Eine Skizze“ (1921), „
Schopenhauer gegen Augustinus“ (1931) und „Die Feier des 70. Todestages
Schopenhauers“ (1931).
Beigesetzt in der Familiengrabstätte auf dem Ffter Hauptfriedhof (Gewann F 1242).
G.s Ehefrau Lilly, geb. Hellmann, war jüdischer Herkunft und überlebte das Konzentrationslager Theresienstadt, wohin sie am 19.1.1944 von Ffm. aus verschleppt wurde. Nach dem Krieg lebte sie wieder in Ffm. Der Sohn
Hans Bernt G. ging 1939 nach Frankreich ins Exil und nahm 1957 seinen Hauptwohnsitz wieder in Ffm., wo er bis zu seinem Tod als freischaffender Bildhauer und Künstler tätig war. G.s Schwägerin
Hanna Hellmann wurde 1942 ins Vernichtungslager deportiert, sein Schwager Julius Hellmann starb 1938 im KZ Buchenwald.
G.s wissenschaftliche und organisatorische Gesamtleistung in der Spinoza-Forschung und -Edition wurde durch die NS-Zeit zu erheblichen Teilen aus dem kulturellen Gedächtnis gelöscht. Seine Spinoza-Bibliothek von mehr als 2.000 Bänden – G. besaß Ende der 1920er Jahre die zweitgrößte Spinoza-Bibliothek weltweit – vermachte er seinem Freund Oko. Vermutlich war sie ursprünglich zum Verbleib in Den Haag bestimmt, wurde aber nach Okos Tod zusammen mit dessen eigener Spinoza-Bibliothek 1947 der Columbian University Library in New York geschenkt. Dort wird sie bis heute unter dem Titel „Oko-Gebhardt Collection“ geführt. Oko, der die Trauerrede an G.s Grab hielt und selbst ein ausgewiesener Spinoza-Spezialist war, sollte nach G.s letztem Willen die fehlenden drei Ergänzungsbände zur Heidelberger Ausgabe der „Spinoza Opera“ herausgeben. Da sowohl Spinoza als auch Oko jüdischer Herkunft waren, wurde dieses Unterfangen in den späteren 1930er Jahren, teils auf Betreiben des Verlags, teils auf Betreiben der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, vereitelt. Dank der stetigen Initiative von G.s Sohn
Hans Bernt G. erschien schließlich 1987 einer der Ergänzungsbände (der zum Zeitpunkt von G.s Tod schon gedruckt vorlag) als fünfter Band der „Spinoza Opera“; herausgegeben wurde er von dem Ffter Philosophen Norbert Altwicker (1923-2016). Der Band enthält als Einleitung Okos 1938 fertiggestelltes, aber nicht zur Veröffentlichung gekommenes Vorwort und eine nahezu vollständige Bibliographie von G.s Veröffentlichungen zu Spinoza.
Ab 2022 virtuelle Ausstellung „Carl Gebhardt. Weltbürger, Ffter Patriot, Gründer des
Schopenhauer-Archivs“ der UB Ffm. und der
Schopenhauer-Gesellschaft in der Deutschen Digitalen Bibliothek.
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