Aus einem künstlerischen Elternhaus. Schon der Großvater war Maler. Sohn des Schweizer Fotografen Richard P. (1855-1930) und dessen erster Ehefrau Albertine, geb. Bänzinger (1852-1896); der Vater war seit 1898 in zweiter Ehe verheiratet mit Maria P., geb. Bänzinger. Drei Geschwister: Frieda (* 1887), Paul (* 1890) und Paula P. (später verh. Schudel-P., 1899-1989), die auch Malerin war. Verheiratet (seit 1924) mit der Ffter Kaufmannstochter Ella Martha
Margareta, gen. Margrit oder Margret, P., geb. Kauffmann (1894-1977), einer ausgebildeten Violinistin, die als Musiklehrerin tätig war und als Konzertgeigerin auftrat.
P. besuchte von 1900 bis 1904 die Kunstschule des Technikums in Winterthur, die er mit dem Diplom als „Zeichnungslehrer“ abschloss. Im Dezember 1904 trat er als „Kunstlehrling“ in das Atelier des in Ffm. ansässigen Bildhauers
Augusto Varnesi ein, wo er bis 1913 tätig war. 1908 restaurierte er mit seinem Lehrer den Figurenschmuck am barocken Altar der zwei Jahre zuvor niedergebrannten Michaeliskirche in Hamburg. 1913 eröffnete P. sein eigenes Atelier in Ffm.-Bornheim. 1917 bezog er Räumlichkeiten in der Schönen Aussicht 16, einem von Stadtbaumeister
Johann Georg Christian Hess 1805 erbauten klassizistischen Wohnhaus, in dem der Philosoph
Arthur Schopenhauer 1860 gestorben war. P.s Wohnatelier befand sich im Zwerchhaus im vierten Stock und verfügte über ideale Lichtverhältnisse für einen Bildhauer: „Gleich einem Belvedere horstete der fünf Meter hohe Saal des Zwerchhauses mit drei hohen Rundbogenfenstern und zwei Seitenfenstern über Dach und Strom und wiederholte sich auf der Rückseite des Hauses in gleicher Größe. In diesem hinteren Raum mit reinem Nordlicht hatte Bildhauer Richard Petraschke aus Schaffhausen sein Atelier; im vorderen von Sonne überfluteten Saal wohnte er, inmitten peinlich gepflegtem Hausrat. Seine Möbel waren alt und kostbar.“ [
Fried Lübbecke in: Hartmann (Hg.)/Lübbecke (Bearb.): Alt-Fft. 1950, S. 323.]
P.s Auftragslage war in Ffm. stets sehr gut. Über Jahrzehnte war P. der ständige Restaurator der Kunstsammlung des Liebieghauses und restaurierte für das Städelsche Kunstinstitut und die Städtische Galerie sowie für Ffter Kirchen insbesondere polychrome Plastiken. Für Vereine, Unternehmen und Privatkunden realisierte er Plaketten, Medaillen und Gedenktafeln. Als freier Künstler nahm er an öffentlichen Ausschreibungen und Wettbewerben teil. Im Auftrag der Ffter Rudergesellschaft „Germania“ schuf er das Grabmal des Ruderers
Achilles Wild auf dem Hauptfriedhof (beauftragt 1917, enthüllt am 27.10.1918) und eine Gedenktafel für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Mitglieder, die sich bis heute im Eingangsbereich des Vereinshauses am Schaumainkai 65 befindet. 1918 wurde er für eine Medaille, die er für den Ffter Cäcilien-Verein angefertigt hatte, ausgezeichnet (Exemplar der Medaille im Archiv des Cäcilien-Vereins in der UB Ffm.). 1920 reiste er nach Italien. 1923 wurde sein Entwurf eines Brunnenstandbilds für seine Heimatstadt Schaffhausen prämiert (aufgestellt 1925). 1926 gewann P. den vom Ffter Brückenbauverein ausgelobten Wettbewerb für eine Medaille anlässlich der Weihe der neuen Alten Brücke. Eine besondere Beziehung hatte P. zu dem Unternehmer und Kunstsammler
Georg Hartmann. Er betreute als Restaurator dessen private Skulpturensammlung und realisierte für die
Bauersche Gießerei zahlreiche Medaillen. Als
Hartmann 1919 die „EMDA“ („Elektro-Medico-Dental-Apparatur“), eine Spezialfabrik für elektro-medizinische und zahnärztliche Apparate, gründete, engagierte er P. als Produktdesigner für die Gestaltung zahnmedizinischer Geräte. Öffentliche Aufträge erhielt P. etwa von den Städten Worms und Düsseldorf sowie von Institutionen in Deutschland und der Schweiz. P. war auf Gruppenausstellungen von Schweizer Kunstvereinen und des Ffter Kunstvereins vertreten; er beteiligte sich regelmäßig an den Weihnachtsausstellungen des Museums zu Allerheiligen in Schaffhausen.
P. pflegte gute Beziehungen zu seinem Herkunftsland und gab seine Schweizer Staatsbürgerschaft nie auf. Dennoch blieb er seiner Wahlheimat Ffm., in deren Kulturleben er stark verwurzelt war, lebenslang treu. Mit seinem langjährigen Vermieter
Moritz Sachs-Fuld und den übrigen Bewohnern des Hauses Schöne Aussicht 16 befand sich P. in gutem Einvernehmen. Mit
Ernst Hiller sowie dem Ehepaar
Fried Lübbecke und
Emma Lübbecke-Job teilten Richard und Margareta P. kulturelle und musikalische Interessen. P. schätzte
Schopenhauers Philosophie und schuf anlässlich dessen 70. Todestag 1930 eine monumentale Büste
Schopenhauers aus Ton, die er der
Schopenhauer-Gesellschaft vermachte; die Büste wurde am 21.9.1930 bei einer Feier des Bunds tätiger Altstadtfreunde, vertreten durch
Fried Lübbecke, und der
Schopenhauer-Gesellschaft, vertreten durch
Carl Gebhardt, im Vestibül des Sterbehauses aufgestellt. Am 10. November 1938 wurde die Büste im Zuge von antisemitischen Ausschreitungen von NS-Schlägern „versehentlich“ zerstört. Der Angriff galt eigentlich dem jüdischen Besitzer des Hauses,
Moritz Sachs-Fuld, sowie den ebenfalls jüdischen Mietern im Parterre (in
Schopenhauers Sterbewohnung), dem Weinhändler-Ehepaar Ludwig (1873-1942) und Helene Weiß (1882-1944).
Fried Lübbecke erstattete Anzeige gegen die Täter. Nach dem Zweiten Weltkrieg tauchte bei einem Sammler und Mäzen P.s ein (kleinerer, etwa 50 Zentimeter hoher) Bronzeabguss der
Schopenhauer-Büste auf, der 1957 vom Kulturamt der Stadt Ffm. für die Sammlung des
Schopenhauer-Archivs erworben wurde; der Abguss wurde zunächst in der Stadt- und Universitätsbibliothek aufgestellt und befindet sich heute dort im Magazin des Archivzentrums.
Am 25.4.1933 unterschrieb P. zusammen mit 40 weiteren bildenden Künstlern und Künstlerinnen aus Ffm. einen Unterstützerbrief an Oberbürgermeister
Friedrich Krebs (ISG, MA 8.391, Bl. 39a). Sie befürworteten darin die Ernennung des Goldschmieds Karl B. Berthold (1889-1975) zum kommissarischen Leiter der städtischen Kunstgewerbeschule. Unter Berthold, der als Mitglied des antisemitisch-völkischen „Kampfbunds für deutsche Kultur“ ein Nationalsozialist der ersten Stunde war, wurde die „Gleichschaltung“ der Kunstgewerbeschule fortgesetzt, etwa durch die Entlassung von Lehrern wie
Willi Baumeister,
Max Beckmann und
Richard Scheibe, die Berthold zum Zeitpunkt der Abfassung der Glückwunschadresse bereits vollzogen hatte. Weitere politische Äußerungen von P., der weder Antisemit noch Nationalsozialist gewesen sein dürfte, sind nicht bekannt.
P. war Mitglied im Ffter Künstlerbund und im Bildhauer-Verein Ffter Künstler sowie seit 1933 in der Ffter Künstlergesellschaft. Zudem war er seit 1919 unterstützendes Mitglied der Ffter Rudergesellschaft „Germania“ und nahm zusammen mit seiner Frau, die über P.s Tod hinaus aktives Mitglied der „Germania“ blieb, häufig am geselligen Leben der Rudergesellschaft teil.
P. starb unerwartet mit 52 Jahren und wurde auf dem Ffter Hauptfriedhof im Grab der Familie seiner Frau beigesetzt (Gewann E 99; Grabstätte nicht erhalten). Die Trauerrede hielt
Fried Lübbecke, der dem Freund auch einen Nachruf im Stadtblatt der Ffter Zeitung widmete (Teilabdruck in: Lübbecke: Muschelsaal 1960, S. 254-256). Die Witwe Margareta P., die durch ihre Eheschließung die schweizerische Staatsangehörigkeit besaß, wanderte im Oktober 1943 in die Schweiz aus. Sie lebte in Engelberg im Kanton Oberwalden und unterrichtete am dortigen Kloster Violine.
Einen Teil der künstlerischen Hinterlassenschaft von P. übergab die Witwe bei ihrer Auswanderung dem Liebieghaus und
Alfred Wolters als Leiter der Städtischen Galerie zur Aufbewahrung und freien Verfügung. Später bestimmte sie, dass die Werke nach ihrem Tod in den Besitz der Stadt Ffm. übergehen sollten. In der Sammlung des HMF befinden sich 18 Modelle von Porträtbüsten aus Gips, die von P. stammen; zu den Dargestellten gehören, neben P.s Ehefrau, u. a.
Arthur Schopenhauer,
Carl Lehner,
Paul Hindemith und
Ellen Daub. Werke von P. sind auch im Besitz von öffentlichen Sammlungen in der Schweiz (Musée Jenisch in Vevey, Museum zu Allerheiligen in Schaffhausen).
Weitere Werke mit Bezug zu Ffm.: Porträtbüste des Malers Friedrich Wilhelm Mook (Bronze, 1918); Porträtbüste des Komponisten
Paul Hindemith (1920; im Besitz von
Fried Lübbecke und
Emma Lübbecke-Job, bei der Zerstörung des Hauses Schöne Aussicht 16 am 22.3.1944 verschüttet, bei der Räumung des Grundstücks im Juli 1954 wiederaufgefunden und von dem Bibliothekar
Karl Jahn an das Ehepaar Lübbecke zurückgegeben; davon Tonmodell im HMF); Plakette zum 25. Jubiläum von
Georg Hartmann bei der
Bauerschen Gießerei (1923); bronzene Gedächtnistafel für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Mitarbeiter der
Bauerschen Gießerei am Eingang von deren Werksgebäude (1924); Bronzeplakette der Pianistin
Emma Lübbecke-Job (1926); Porträtbüste des finnischen Opernsängers und Bildhauers Helge Lindberg (1927; im Besitz von
Fried Lübbecke und
Emma Lübbecke-Job, seit der Zerstörung des Hauses Schöne Aussicht 16 am 22.3.1944 verloren); „Flora“ (kniender Frauenakt, Bronzeplastik, 1930), heute im Palmengarten; Grabdenkmal des Apothekers Emil Rath (1935) auf dem Hauptfriedhof; Grabsteine für Rosi und
Ernst Hiller (1930/35) auf dem Neuen Jüdischen Friedhof; Porträtbüste des Schauspielers
Robert Taube (um 1935; im Besitz der Städtischen Galerie im Städel); Bronzebüste des Unternehmers
Georg Hartmann (1937); „Gartenhaus Hohenbuchen“ (Aquarell, 1937; im Besitz der
Familie von Metzler); Plaketten mit den Porträts von
Johann Christian Bauer und
Georg Hartmann anlässlich des 100-jährigen Bestehens der
Bauerschen Gießerei (1937); Bronzeplakette des Stadtpfarrers Jakob Herr.
Die erste Gedächtnisausstellung (zusammen mit den Werken der ebenfalls im November 1937 verstorbenen Malerin
Ottilie W. Roederstein) initiierte
Fried Lübbecke für April 1938 im Ffter Kunstverein. Eine weitere Gedächtnisausstellung fand 1939 im Museum zu Allerheiligen in Schaffhausen statt, wo auch anlässlich von P.s 100. Geburtstag 1985 eine Ausstellung mit seinen Werken gezeigt wurde.
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Frankfurter Biographie 2 (1996), S. 131,
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