Neuerscheinungen vom 10. Oktober 2024

Einleitung: 

Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,

das Leben malt nicht nur in Schwarz und Weiß. Vom strahlend hellen Lichtweiß bis zur abgrundtiefsten Schwärze hat es viele Zwischentöne, manchmal auch diffuse Grauzonen. Und farbig kann es sein, uni oder bunt, mal in Grell oder Pastell. Gerade darum sind Biographien so vielschichtig, immer spannend und nie langweilig, aber oft nicht leicht zu fassen und mitunter nicht eindeutig in das Spektrum einzuordnen. Das zeigt sich auch am aktuellen Artikel des Monats, der eine Frankfurter Künstlerin und bedeutende Vertreterin des expressiven Realismus rechtzeitig zu ihrem 50. Todestag am 5. Dezember neu vorstellt.

Artikel des Monats Oktober 2024:
Expressive Künstlerin aus einer vergessenen Generation

Sie malte lange im Verborgenen und geriet später in Vergessenheit: Maria von Heider-Schweinitz. Nach einer ersten künstlerischen Ausbildung und Anfängen als Malerin in Berlin heiratete die junge adelige Offizierstochter getreu den familiären Konventionen 1915 den Berufsoffizier Karl von Heider und bekam drei Kinder. Am Ende des Ersten Weltkriegs zog sie mit ihrem Mann nach Frankfurt, wo Karl von Heider 1921 eine Position als Kaufmann bei der Chemischen Fabrik Griesheim-Elektron annahm. Erst in den späten 1920er Jahren, als die Kinder wohl schon ins Internat gegeben worden waren, widmete sich Maria von Heider-Schweinitz wieder der Kunst. Sie nahm Unterricht bei dem Bildhauer Richard Scheibe an der städtischen Kunstgewerbeschule und mietete ab Mai 1933 ein Atelier als Bildhauerin am Städel. Plastische Arbeiten von ihr sind jedoch nicht bekannt.
Stattdessen hatte Maria von Heider-Schweinitz bereits 1932 wieder zu malen begonnen, wohl unter dem Eindruck der Bekanntschaft mit dem expressionistischen Maler Karl Schmidt-Rottluff, dem sie zeitlebens freundschaftlich verbunden blieb. Aus dem Jahr 1934 sind die ersten Ölgemälde von ihr im expressiven Stil überliefert. Damit entschied sich die Malerin zu einem Zeitpunkt für den Expressionismus, als diese Stilrichtung unter dem NS-Regime offiziell in Misskredit geriet. Während einige Künstler aus ihrem Bekanntenkreis – wie Georg Heck, Gerhard Marcks und Ernst Wilhelm Nay – verfemt waren, weil ihre Werke den Nationalsozialisten als „entartete Kunst“ galten, arrangierten sich andere – etwa Josef Hartwig, Richard Scheibe und Toni Stadler – in gewissem Maße mit dem System. Der Ehemann Karl von Heider stieg 1934 zum Direktor der Verkaufsgemeinschaft Chemikalien der IG Farben auf und trat 1937 in die NSDAP ein. In der Familie wurde es offenbar für selbstverständlich gehalten, dass sowohl Karl von Heider als auch seine beiden Söhne und der Schwiegersohn in den Zweiten Weltkrieg zogen und an der Front kämpften. Der Schwiegersohn fiel am zweiten Kriegstag, und beide Söhne erlitten schwere Kriegsverletzungen, deren Folgen sie später erlagen. Die Künstlerin malte in ihrem Atelier im Städel, mindestens bis März 1942, vermutlich bis zur Zerstörung des Hauses bei einem Luftangriff im November 1943.
Direkt nach dem Zweiten Weltkrieg bemühte sich Maria von Heider-Schweinitz darum, ihr Werk endlich öffentlich zeigen zu können. Bereits im Januar 1946 glückte ihr die erste Teilnahme an einer Ausstellung, und im Juli 1949 hatte sie im Frankfurter Kunstkabinett bei Hanna Bekker vom Rath ihre erste Einzelausstellung. Die Kritiken waren zwar überaus positiv, aber die Avantgarde in den Nachkriegsjahren hielt den malerischen Expressionismus für überholt, weshalb er bei den Galerien nicht sonderlich gefragt war. Das Werk von Maria von Heider-Schweinitz – meist Ölgemälde von sinnlicher Expressivität, darunter viele und besonders eindrucksvolle Frauen- und Selbstporträts – geriet wieder in Vergessenheit und fand zu Lebzeiten der Künstlerin kaum öffentliche Anerkennung. Für sich selbst sei sie nicht ehrgeizig, schrieb Maria von Heider-Schweinitz 1970 an ihren Freund Karl Schmidt-Rottluff, um fortzufahren: „Den Bildern aber wünsche ich Gerechtigkeit, sei es auch nach meinem Tode.“
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Schluss: 

An eine vergessene Frankfurter Künstlerin aus früheren Zeiten erinnert der Artikel über Dorothea Chandelle, Tochter und Schülerin des Thurn und Taxis’schen Oberpostamtssekretärs und Pastellmalers Andreas Joseph Chandelle (der seit der Julilieferung in diesem Jahr ebenfalls mit einem Artikel im Frankfurter Personenlexikon vertreten ist). Vater und Tochter werden von der Kunstwissenschaft zu den hervorragendsten Frankfurter Pastellmalern gezählt. Ihr frühestes bekanntes Werk schuf Dorothea 1793 im Alter von neun Jahren. Um die Wende zum 19. Jahrhundert entwickelte die junge Frau eine professionelle künstlerische Tätigkeit, übernahm Aufträge für Porträts und Heiligenbilder. Davon zeugt das „Bildnis einer jungen Frau“ (1801), das aus dem Nachlass von Adolph von Holzhausen 1923 an das Städel Museum gelangte. Die künstlerische Produktion von Dorothea Chandelle erlitt einen Einbruch, als sie als unverheiratete Tochter die Pflege der alten und kranken Eltern übernehmen musste. Nach dem Tod von Vater (1820) und Mutter (1832) war Dorothea Chandelle gesundheitlich so angegriffen, dass sie als Malerin ihren Lebensunterhalt nicht mehr selbst verdienen konnte. Sie erblindete fast völlig und blieb bis zu ihrem Tod 1866 auf die Unterstützung des Hauses Thurn und Taxis angewiesen. Ihr letztes Werk war 1844 ein Porträt des (mit ihr verwandten) Stadtgärtners Sebastian Rinz, das sich aus Familienbesitz seit 1903 im Historischen Museum befindet.

Die Frankfurter Biographie eines der größten alten Meister stellt der Artikel über Matthias Grünewald dar, der mit dieser Lieferung in grundlegend überarbeiteter Neufassung auf dem aktuellsten Stand der Forschung im Frankfurter Personenlexikon erscheint. Kürzlich wurde im FP schon mit der veralteten Auffassung aufgeräumt, dass die Maler Matthias Grünewald und Matthis Grün identisch seien, und Grün bekam seinen eigenen Eintrag. Diesmal steht nun Matthias Grünewald selbst im Mittelpunkt, auch wenn er im echten Leben gar nicht so hieß, sondern Mathis Nithart oder Gothart, und von den Zeitgenossen meist Mathis von Aschaffenburg genannt wurde. Obwohl Grünewalds Bezüge zu Frankfurt vielfältig sind, wird im Stadtgedächtnis nicht an ihn erinnert. Noch nicht einmal eine Straße ist nach ihm benannt. Immerhin hängen als Dauerleihgabe des Historischen Museums im Städel die beiden Standflügel mit den Darstellungen des heiligen Laurentius und des heiligen Cyriakus, die Grünewald um 1509/10 für den berühmten Heller-Altar schuf. Die beiden Werke zeigen eindrücklich, dass meisterliche Arbeiten in Grisailletechnik auch mehr als nur Schwarz-Weiß-Malerei sind.

Einer, der nicht in die üblichen Farbschemata oder, wenn Sie es so lieber wollen, Schubladen des Denkens passte, war der Fabrikant Oskar Schindler. Während des Zweiten Weltkriegs rettete er, obwohl NSDAP-Mitglied, unter dem Einsatz seines Lebens und seines Vermögens etwa 1.200 Juden vor dem Vernichtungslager. Später, ab 1957, lebte Schindler eher zurückgezogen in Frankfurt. Weltberühmt wurde er posthum durch den amerikanischen Spielfilm „Schindlers Liste“, dessen deutsche Erstaufführung in Anwesenheit des Regisseurs Steven Spielberg vor etwas mehr als 30 Jahren – am 1. März 1994 – in Frankfurt stattfand. Heute erinnert in Frankfurt u. a. eine Gedenktafel an seinem letzten Wohnhaus Am Hauptbahnhof 4 an Oskar Schindler. Sein 50. Todestag am gestrigen 9. Oktober mag ein aktueller Anlass sein, um seine aus der Buchausgabe übernommene Frankfurter Biographie im FP wieder zu lesen.

Wenn etwas Schwarz auf Weiß im Frankfurter Personenlexikon steht, hat es den Vorteil, dass es sich um nach bestem Wissen und Gewissen geprüfte Informationen handelt. Deren reflektierte Einordnung auf der breiten Palette in den Farben des Lebens – um in dem Bild vom Anfang zu bleiben – ist trotzdem für Schreibende wie Lesende nicht immer ganz leicht. Wer aber auch im Alltag an die Unendlichkeit der Farben glauben will, hat immerhin zum Trost, selbst im grauesten Grau des Herbstes vielleicht noch neue Facetten entdecken zu können.

Einen reichen Herbst voller schöner Farben wünscht Ihnen
Sabine Hock
Chefredakteurin des Frankfurter Personenlexikons

P. S. Die nächste Artikellieferung erscheint am 10. November 2024.