Zur Lösung der Theaterkrise in der Nachkriegszeit setzte sich der Ffter Magistrat auf Initiative von Kulturdezernent
Karl vom Rath 1950 dafür ein, die Leitung der Städtischen Bühnen neu zu strukturieren. In einem langwierigen Bewerbungs- und Auswahlverfahren wurde ein Generalintendant gesucht. Am 8.12.1950 endlich entschied sich die Theaterdeputation mit 7 zu 1 Stimmen für Harry B., der zu dieser Zeit Direktor der Münchener Kammerspiele war. Die CDU, die Heinrich Strohm für den Posten favorisiert hatte, kritisierte das angeblich von parteipolitischen Überlegungen bestimmte Auswahlverfahren, doch nahm der Magistrat die Entscheidung der Theaterdeputation an. Mitte Januar 1951 unterschrieb B. seinen Vertrag als Generalintendant der Städtischen Bühnen Ffm. Es begann die für die Ffter Theatergeschichte bedeutende „Ära B.“, die bis 1968 dauern sollte.
B. musste zunächst nach außen eine Repopularisierung des Theaters sowie nach innen eine umfassende Reorganisation der Städtischen Bühnen leisten. Grundvoraussetzung war, für Oper und Schauspiel, die nach der Kriegszerstörung noch immer auf unzureichenden Behelfsbühnen spielen mussten, möglichst bald geeignete Spielstätten zu schaffen. Das ehemalige Schauspielhaus am heutigen Willy-Brandt-Platz wurde als „Großes Haus“ für Oper und Schauspiel noch 1950/51 wiederaufgebaut und am 23.12.1951 mit einer Inszenierung von
Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ eröffnet. Der Börsensaal, eine der provisorischen Spielstätten, wurde zum „Kleinen Haus“ für kleinere Schauspiele, Sing- und Kammerspiele ausgebaut. Zudem gab es die Freilichtspiele im Karmeliterkloster.
Neben der kaufmännischen Reorganisation der Städtischen Bühnen, wozu auch eine Neuordnung des Abonnementwesens unter verstärktem Absatz über Besucherorganisationen (Volksbühne, Rhein-Main-Besucherring) gehörte, strebte B. vor allem eine Ensemblereform an. An der Oper hielt er den beim Orchester umstrittenen
Bruno Vondenhoff, wenn auch in der Position als Opernchef nur bis 1952. Dann holte B. Georg Solti als Generalmusikdirektor nach Ffm. (1952-61). Christoph von Dohnanyi wurde verpflichtet. Namhafte Regisseure wie
Günther Rennert, Otto Schenk und Wieland Wagner wirkten an der Ffter Oper. Erika Köth, Martha Mödl, Anja Silja, Claire Watson, Theo Adam, Karl Ridderbusch u. v. a. bedeutende Künstler traten hier auf.
Beim Schauspiel besetzte B. die vakante Position des Oberspielleiters 1951 mit
Lothar Müthel. Als Nachfolger von
Richard Weichert leitete
Müthel das Schauspiel von 1952 bis 1956; dann kam Heinrich Koch als Schauspieldirektor (bis 1968). Auch für das Schauspielhaus gewann B. bedeutende Gastregisseure, teilweise aus dem Kreis der Emigration wie Fritz Kortner und Erwin Piscator, aber auch Egon Monk, Hannes Tannert, Paul Verhoeven u. a. Neben den altbewährten Kräften des Ensembles spielten unter B. u. a. Emmy Graetz, Hilde Hildebrand, Lola Müthel, Irene Naef, Renate Schroeter, Edda Seippel, Solveig Thomas, Lis Verhoeven,
Johanna Wichmann, Elisabeth Wiedemann, Hans Christian Blech, Volker Brandt, Hans Caninenberg, Michael Degen, Heinz Drache, Boy Gobert, Paul Hartmann, Hans Korte, Franz Kutschera, Hannsgeorg Laubenthal, Karl Lieffen, Emil Lohkamp, Hanns Lothar, Bernhard Minetti,
Joseph Offenbach, Hans Richter, Ernst-August Schepmann, Friedrich Schoenfelder, Erik Schumann, Sigfrit Steiner, Siegfried Wischnewski, Klausjürgen Wussow und Hans Dieter Zeidler. Wichtige Bühnenbildner unter B. waren
Hein Heckroth und Teo Otto. Gleich von Beginn seiner Amtszeit an machte „der General“, wie B. genannt wurde, seinen künstlerischen Mitarbeitern klar, dass von nun an bei den Städtischen Bühnen kein Weg mehr an ihm vorbeigehen würde. Der Theaterbetrieb wurde autoritär geleitet.
Sein Programm für den Spielplan erläuterte B. am 12.12.1950 gegenüber der Ffter Rundschau: „Haupterfordernis ist Vielseitigkeit und Faszination. Er darf sich nicht mit dem Hergebrachten und Gefälligen begnügen. Er muss das Wagnis in geistigen Dingen einbeziehen. Diese Forderungen können in gleicher Weise von klassischen und modernen Stücken erfüllt werden.“ Neben den Klassikern in aktueller Inszenierung brachte das Schauspiel dementsprechend alle zeitgenössischen Dramatiker, etwa die neuen Stücke fremdsprachiger Autoren der Vierziger- und Fünfzigerjahre (Anouilh, Camus, Claudel, Genet, Giraudoux, Ionesco, Arthur Miller, Charles Morgan, O’Neill, Sartre, Tennessee Williams, Thomas Wolfe u. a.) sowie deutschsprachiger Autoren der Nachkriegszeit (Dürrenmatt, Frisch, Hochhuth, Peter Weiss u. a.). Der Spielplan war also vielseitig und interessant, doch nicht immer bequem. Das Publikum nahm ihn dennoch an, nicht zuletzt wegen der hohen künstlerischen Qualität der Aufführungen. Bereits nach seiner ersten Spielzeit als Generalintendant konnte B. eine hervorragende Bilanz ziehen: Die Zuschauerzahlen hatten sich mehr als verdoppelt (1950/51: 220.230 Zuschauer – 1951/52: 461.048 Zuschauer), und die Einnahmen der Städtischen Bühnen hatten sich um 120 Prozent erhöht. Die Platzausnutzung bei den Städtischen Bühnen stieg auf 91 Prozent.
Der Generalintendant selbst stellte sich dem Publikum am 9.4.1952 mit einer Inszenierung von Giraudoux’ „Die Irre von Chaillot“ als Regisseur vor. Seitdem brachte B. jährlich etwa zwei eigene Inszenierungen im Schauspiel heraus. Nach einer Musicalinszenierung (Spewack/Porters „Kiss me Kate“, 27.11.1955) führte er seit 1958 auch Opernregie (
Strawinskys „Der Wüstling“, 10.12.1958). Mit der Inszenierung von Robert Penn Warrens „Blut auf dem Mond“ (1.11.1956), die in der zeitkritischen Tendenz der doch theatralischen Darstellung charakteristisch für B. war, startete er das Programm „Theater in die Betriebe“, mit dem er das Theater für alle Schichten der Bevölkerung erschließen wollte. Das avantgardistische Theater förderte B. schließlich durch die Einrichtung des „III. Programms“ im Kammerspiel.
Besonders verdient machte sich B. aber durch sein frühes Engagement für das dramatische Werk von Bertolt Brecht, der seinerzeit noch wegen seiner politischen Haltung von den bundesdeutschen Bühnen boykottiert wurde. Am Beginn einer Reihe von 15 Brecht-Inszenierungen (bis 1968) brachte damals die Ffter Oper am 30.1.1952 die Uraufführung der Urfassung von „Das Verhör des Lukullus“ (Regie: Werner Jacob) heraus. B. selbst inszenierte dann als deutsche Erstaufführung „Der gute Mensch von Sezuan“ (16.11.1952). Die Ffter CDU protestierte: „Es gehört schon ein gehöriges Maß von Mangel an Fingerspitzengefühl dazu, daß in unserer heutigen politischen Situation von einem zum Kommunismus sich bekennenden ‚Dichter’ ein derartiges Propagandastück aufgeführt wird.“ (
Hans Wilhelmi in einer Etatrede, Nov. 1952). B. ließ sich nicht beirren. Es folgten, teilweise unter Mitarbeit von Brecht selbst entstanden, u. a. die westdeutsche Erstaufführung von „Der kaukasische Kreidekreis“ (28.4.1955), die Uraufführung von „Die Gesichte der Simone Machard“ (8.3.1957), die Inszenierung von „Mutter Courage und ihre Kinder“ mit Therese Giehse in der Hauptrolle (20.5.1958), alle unter der Regie von B., sowie die Uraufführung von „Coriolan“ (Regie: Heinrich Koch, 22.9.1962). Die Diskussion um die Ffter Brecht-Inszenierungen riss jedoch nicht ab. Nach dem Berliner Mauerbau verlangte die Ffter CDU von B., dass er die Proben zu „Das Leben des Galilei“ einstellen sollte. Der Magistrat beschloss daraufhin mehrheitlich, das Stück nicht abzusetzen, und die Premiere fand am 24.10.1961 statt. B.ens Ffter Brecht-Inszenierungen trugen dazu bei, dass sich der Autor in Westdeutschland durchsetzte. Zugleich aber förderten sie die nun langsam einsetzende Politisierung des Theaters, wie sie sicher nicht im Sinne des an künstlerischen Idealen orientierten B. war.
Ein Höhepunkt der „Ära B.“ war die Eröffnung der aus dem „Großen Haus“ hervorgegangenen Theaterdoppelanlage für Oper und Schauspiel mit Kammerspiel (1963), womit für die Städtischen Bühnen endgültig die Zeit der Nachkriegsprovisorien und des Wiederaufbaus abgeschlossen war. In der Eröffnungspremiere des neuen Schauspiels wurde am 14.12.1963 „Faust I“ (Regie: Heinrich Koch) gegeben. Am Tag darauf debütierte B. als Regisseur auf der neuen Bühne wiederum mit einem Stück von Brecht, der Inszenierung von „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“.
Gegen Ende der Sechzigerjahre wurde B. als Leiter der Städtischen Bühnen zunehmend von der jungen Generation kritisiert. Am 19.12.1966 musste er sich im Club Voltaire der Diskussion stellen: „Ist das Ffter Theater provinziell?“ B. war zwar offen für das Neue, entschieden in seinem Eintreten für ethische Positionen, entschlossen zu gesellschaftskritischer Wirkung. Doch er hielt eben auch an der traditionellen Theatralik fest, an der großen Theatergebärde, der poetischen Durchdringung der Stoffe, der schauspielerischen Kraft. Sein Eintreten für ein auf breite Publikumswirkung zielendes Theater stieß nun auf Skepsis. Die junge Generation drängte zum ästhetischen Risiko, zur Zerstörung traditioneller theatralischer Formen, zur Provokation um ihrer selbst willen. B. wich 1968 einer Entwicklung, die er selbst unbewusst vorbereitet hatte. Seine letzte Ffter Inszenierung bot noch einmal hochpolitisches, aber eben durch künstlerische Qualität sich legitimierendes Theater: Am 20.3.1968 kam „Viet Nam Diskurs“ von Peter Weiss zur Uraufführung. Bereits in der Spielzeit zuvor hatte B. in wachsender Verbitterung und nicht zuletzt infolge von Etatstreitigkeiten mit der Stadt seinen Rücktritt angekündigt. Am 31.8.1968 wurde er während der Premiere zu „Der Raub der Sabinerinnen“ (Regie: Hannes Tannert, mit
Joseph Offenbach) von Oberbürgermeister
Brundert verabschiedet und zum Ehrenmitglied der Städtischen Bühnen ernannt. B. war der letzte Vertreter des klassischen Intendantentyps in Ffm. Er machte sich verdient um den Wiederaufbau des Ffter Theaters, das er nach 1945 auf eine neue geistige Grundlage stellte. Die Städtischen Bühnen Ffm. waren unter B. über die Stadt hinaus anerkannt. Sie gaben nicht nur mit ihren wegweisenden Brecht-Inszenierungen der bundesdeutschen Theaterlandschaft neue Impulse.
B., von 1970 bis 1977 Intendant des Züricher Schauspielhauses und dann freier Regisseur, war enttäuscht, weil er nach seinem Rücktritt 1968 nicht mehr von der Stadt Ffm. für eine große Inszenierung in „seinem“ Haus engagiert wurde. Aus dieser Verbitterung heraus ist vielleicht seine wenig faire Einmischung in die Diskussion um die geplante Aufführung von Fassbinders „Der Müll, die Stadt und der Tod“ (1985) zu deuten.
Regisseur von Fernsehinszenierungen, u. a. für den HR.
Tätig in zahlreichen Fachorganisationen, u. a. Präsident der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste und Vizepräsident, dann Ehrenmitglied (1969) des Deutschen Bühnenvereins.
Verfasser von Memoiren (unvollendet).
1964 Großes Bundesverdienstkreuz. 1964 Goetheplakette der Stadt Ffm. 1964 Goldenes Ehrenzeichen mit Eichenkranz der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger. 1965 Orden Chevalier des arts et lettres. Am 75. Geburtstag B.s 1979 Aufführung des „Freischütz“ an der Ffter Oper, einer damals noch auf dem Spielplan stehenden B.-Inszenierung von 1966.
Porträt (von
Ferry Ahrlé, 1968), früher im Foyer der Städtischen Bühnen Ffm.
Am 15.1.1988 Gedenkmatinee für B. im Großen Haus der Städtischen Bühnen Ffm.
Frankfurter Biographie 1 (1994), S. 116-119,
(redigierte Onlinefassung für das Frankfurter Personenlexikon).