Tochter des Schriftstellers und Journalisten
Johannes Moritz Prölß (1853-1911) und dessen Ehefrau Maria Anna, geb. Creizenach (1859-1911). Zwei ältere Geschwister: Helene, gen.
Leni, P. (später verh. Rau, 1883-1952) und Ernst Robert P. (1886-1918). Enkelin des Ffter Gymnasialprofessors und Literaturhistorikers
Theodor Creizenach. Urenkelin des Ffter jüdischen Theologen
Michael Creizenach. Großnichte des Ffter Kaufmanns und Stadtverordneten
Ignaz Creizenach.
Zur Zeit der Geburt von P. wohnte die Familie am Adlerflychtplatz 84 im Ffter Nordend. Der
Vater, der bis 1889 Feuilleton-Redakteur der FZ gewesen war, folgte 1891 einem beruflichen Angebot nach Stuttgart und zog mit der Familie dorthin um. In Stuttgart lernte P. durch die Freundschaft ihrer Eltern mit dem Verleger Charles (auch: Karl, Carl) Rocco (1854-1918) und seiner Ehefrau Caroline, geb. Meyer (1860-1929), auch deren Kinder kennen. Nach der Schulausbildung an einer höheren Töchterschule studierte P. ab 1905 Klavierspiel und Musiktheorie am Konservatorium in Stuttgart, an dem sie 1910 ihr Diplom für Musiklehrerinnen mit der Note „sehr gut“ erhielt. Sie bildete sich durch ein Studium der rhythmischen Gymnastik nach Emile Jaques-Dalcroze (1865-1950) fort und besuchte 1911/12 ergänzend das Konservatorium der Musik in Köln. Zu ihren musikalischen Lehrern zählten die Pianisten Max von Pauer (1866-1945), Carl Friedberg (1872-1955) und
Eugen d’Albert (1864-1932). Im Dezember 1911 gab sie am Dr. Hoch’schen Konservatorium eines ihrer vermutlich ersten (Ffter) Klavierkonzerte.
P. zog im April 1913 nach Ffm., wo sie in der Pension von Karoline Hartmann im Kettenhofweg 19 im Westend wohnte. Mit Auftritten als Pianistin unterstützte P. fortan den „Höchster Ausschuß für Volksvorlesungen“. Als künstlerisches Mitglied beteiligte sie sich zudem an der Gestaltung der Abende einer kostengünstigen „Arbeiterurlaubsreise“ vom 14. bis zum 21.9.1913, die der Rhein-Mainische Verband für Volksbildung organisiert hatte. Für den Ffter Ausschuss für Volksvorlesungen (AfV) trat sie auch während des Krieges auf, z. B. beim „Volkskunstabend“ am 18.4.1915 in der Stadthalle (der ehemaligen Dominikanerkirche) oder beim „Volksvorlesungsabend“ am 7.5.1916 im Hörsaal des AfV in der Alten Börse (Neue Kräme 9). 1915 und 1916 erteilte P. in Ffm. mit Genehmigung der städtischen Schuldeputation privaten Klavierunterricht. Der Sänger (und spätere Psychoanalytiker) Julius Spier (1887-1942) wurde ihr Schüler und verliebte sich in sie; zumindest scheint es zwischen den beiden eine kurze Affäre gegeben zu haben. 1917 heiratete Spier Hedwig Rocco (1891-1946), die er durch einen Besuch bei P. kennengelernt hatte. P. fühlte sich schon bald deren jüngster Schwester, der Geigerin Hanni (eigentl.: Johanne) Rocco (1896-1990), enger verbunden. In dieser Zeit spielte P. als Pianistin bereits in zahlreichen weiteren Städten, trat aber auch weiterhin in Ffm. auf, so bei einem „Klavierabend“ am 6.11.1917 im Saalbau. Vermutlich im Jahr 1919 zog Hanni Rocco, die in Ffm. Geige studierte, im Kettenhofweg 19 ein. Im selben Haus wohnte kurzzeitig die Musikpädagogin Henny (eigentl.: Henrietta) Rosenstrauch (1887-1982), die später Lehrerin mit dem Ansatz von Jaques-Dalcroze wurde; ob eine persönliche Verbindung oder eine Zusammenarbeit von ihr und P. bestand, ließ sich bisher nicht ermitteln.
Anfang der 1920er Jahre war P. als Pianistin sehr gefragt und oft auf Tournee; Konzerte lassen sich u. a. in Dresden, Köln, München, Berlin nachweisen, und bereits im März 1919 trat sie in der Schweiz auf, zugunsten nichtbemittelter Lungenkranker in Arosa, wo sie selbst sich 1912/13 zur Erholung aufgehalten hatte. P. wurde schnell zur bekannten Interpretin der Klavierwerke von
Max Reger, spielte aber auch erfolgreich Kompositionen von vielen anderen namhaften Komponisten. Sie trat in unterschiedlichen Sälen auf, kehrte jedoch über Jahre immer wieder nach Ffm. zurück. Währenddessen pflegten Hanni Rocco und P. als Paar freundschaftliche Kontakte zu vielen Ffter Intellektuellen, etwa zu den Freunden
Siegfried Kracauer und
Theodor W. Adorno.
Adorno widmete P. sogar drei Klavierstücke (1924), die allerdings offenbar nicht durch sie zur Aufführung kamen. Befreundet waren die Frauen ebenso mit dem Architekten
Martin Elsaesser, in dessen Haus viel musiziert wurde.
Im September 1925 rief P. – möglicherweise zusammen mit Hanni Rocco – die „Ffter Kammermusikgemeinde“ ins Leben. Von 1925 bis 1928 bot P. regelmäßig (teilweise sogar mehrmals im Monat) ein anspruchsvolles Abendprogramm unter ihrer Leitung an, das von Interessierten im Abonnement gebucht werden konnte. Sie wirkte nicht selten selbst bei den Konzerten mit. Dabei hielt sich Hanni Rocco wohl eher im Hintergrund: Möglicherweise spielte sie die erste Geige im Orchester; als Solistin scheint sie jedenfalls nicht aufgetreten zu sein. Den Auftakt der Ffter Kammermusikgemeinde am 29.9.1925 gab der in Ffm. ausgebildete schottische Pianist Frederic Lamond (1868-1948) mit Werken von Beethoven und
Brahms. P. folgte einem kunstpädagogischen Ansatz und wollte „hauptsächlich wenig oder gar nicht bekannte Kammermusikwerke aller Zeiten und Stile aufführen“. Mit ihrer Initiative ermöglichte sie Ffter Musikerinnen und Musikern viel beachtete Auftritte, z. B. den Dirigenten
Clemens Krauss (am 13.4.1926), Fred(eric) Goldbeck (1902-1981), der in Ffm. zur Schule gegangen war (am 15.2.1927), und
Ludwig Rottenberg (am 29.3.1927). Es spielten außerdem die in Ffm. lebende Pianistin Gabriele Waentig (väterlicherseits mit P. verwandt; am 9.11.1926) oder das Ffter Amar-Quartett (u. a. mit dem Geiger
Licco Amar und dem Bratscher
Paul Hindemith; am 16.12.1926) sowie die Violinistin Annie Betzak (später verh. Steiger-Betzak, 1897-?; am 11.1.1927). P. war fest in die künstlerische Musikszene von Ffm. eingebunden und engagierte neben Künstlern aus Indien auch die Pariser Pianistin Youra Guller (1895-1980) und die Sängerin Frieda Wüsthof-Kötter aus Solingen, die in Ffm. ihr Debüt gab und später gemeinsam mit P. auftrat. Die Konzerte wurden ab 1928 von der „Centrale für gemeinnützige Kunstpflege (Verein für Theater und Musikkultur) e. V.“ in Zusammenarbeit mit P. veranstaltet. Währenddessen beteiligte P. sich an musikwissenschaftlichen Auseinandersetzungen und widersprach in der „Zeitschrift für Musik“ einem Beitrag, der den Einsatz des Klavierpedals logisch regulieren wollte. P. stützte ihre Ablehnung mit fundierten Beispielen und verwahrte sich dagegen, Musikwirkung physikalisch festzulegen.
Ab 1929 war P. als Pianistin zunehmend auch im Rundfunk präsent. In den 1930er Jahren lebten Rocco und P. vorwiegend in Berlin, wo Rocco einen künstlerischen Salon unterhielt. In dieser Zeit wurde der Kontakt zur Familie Elsaesser wieder aufgenommen, die sie aus Ffm. kannten. Die Insel Dommelwall im Seddinsee bei Köpenick, wohin Liesel Elsaesser (1890-1980), die Ehefrau von
Martin Elsaesser, mit ihrem Lebensgefährten
Leberecht Migge 1932 gezogen war, wurde zur Zeit der NS-Verfolgung zu einem Refugium. Da P.’ Großeltern mütterlicherseits jüdischer Herkunft waren und somit P. nach antisemitischer Kategorisierung als „Halbjüdin“ galt, war ihr der Zugang zur Reichsmusikkammer verwehrt. Durch dieses Berufsverbot war es ihr – bis auf ein paar seltene Ausnahmen – nicht mehr möglich, öffentlich aufzutreten. Der Versuch, sich in der Schweiz in Sicherheit zu bringen, scheiterte daran, dass die Behörden ihr keine Arbeitserlaubnis erteilten und ihr nur einen befristeten Aufenthalt gewährten (1934/35). P. und Hanni Rocco flohen am 3.4.1937 mit dem Schiff nach London, aber auch dort ließ sich keine Existenz aufbauen. Deshalb kehrten sie bald nach Deutschland zurück. Im September 1943 zogen die beiden Frauen sich nach Hemmenhofen am Bodensee zurück, wo P.’ Schwester Leni Rau wohnte, und sie schlossen sich der „Hemmenhofener Künstlerkolonie“ an. Als P.’ Neffe, der spätere SPD-Kulturpolitiker Friedrich Rau (1916-2001), 1944 desertierte, halfen P. und Rocco ihm bei der Flucht, indem sie ihn über den Bodensee in die Schweiz ruderten. Sie wurden denunziert, von der Gestapo festgenommen und im Konstanzer Gefängnis inhaftiert. Nach sechs Tagen kamen sie wieder frei.
Beide Frauen überlebten das Nazi-Regime, gleichwohl mit vielen Einschränkungen und Entbehrungen. Nach 1945 musste P. gegenüber der badischen Militärregierung um ihre Anerkennung als Opfer des Nationalsozialismus kämpfen. Weil ihre Anträge im Mai 1948 immer noch nicht bearbeitet waren, war sie gezwungen, längere Zeit von einer geringen Beihilfe zu leben. Sie verfügte über keine finanziellen Ressourcen und geriet zunehmend in wirtschaftliche Not. Seit etwa 1946 hatte P. zu malen angefangen; mit gelegentlichen Einzelverkäufen ihrer Werke und vereinzeltem privatem Musikunterricht gelang es ihr, den Lebensunterhalt einigermaßen zu sichern. Eine Zuwendung im Rahmen der sogenannten „Wiedergutmachung“ wurde erst im November 1948 gewährt. Während der zahlreichen Versuche, wieder selbst Geld zu verdienen und einen Ort zu finden, wo sie Fuß fassen konnten, verbrachten Rocco und P. auch einige Zeit in Ffm. So waren sie im August 1951 Gäste des Künstlerehepaars Paul Fontaine (1913-1996) und Virginia, gen. Ginny, Hammersmith Fontaine (1915-1991), die in einem Apartment in der Atterberry-Kaserne an der Friedberger Warte wohnten. 1952 zeigte P. ihre Werke in einer Kollektivausstellung des Ffter Kunstvereins. Doch vergeblich suchten P. und Rocco in Ffm. nach einer Wohnung. Schließlich zogen sie im Februar 1953 nach Freiburg im Breisgau. Ffm. blieben sie dennoch verbunden. Eine Ausstellung mit Werken von P. wurde von
Hanna Bekker vom Rath vom 16.9. bis zum 2.10.1959 im Ffter Kunstkabinett veranstaltet. P. starb 1962 in einer Ffter Klinik an einer Sepsis (Blutvergiftung) und wurde auf dem Waldfriedhof in Oberrad begraben. „Im Namen aller Freunde“ schaltete Hanni Rocco für ihre Lebensgefährtin eine Todesanzeige in der FAZ. Der gemeinsame Freund
Theodor W. Adorno verfasste für die FAZ einen würdigenden Nachruf.
1964 Gedächtnisausstellung im Ffter Kunstkabinett.
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