Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,
mit der Eröffnung des Deutschen Romantik-Museums im vergangenen Jahr ist Frankfurt als Stadt der Romantik in den Blickpunkt gerückt. Bereits seit einiger Zeit stellt das Frankfurter Personenlexikon nach und nach die wichtigsten Frankfurter Vertreter der Romantik vor. So sind z. B. schon Beiträge über Bettine von Arnim, geb. Brentano, Friedrich Carl von Savigny, Johann Friedrich Böhmer und auch über Frankfurtbesucher wie Achim von Arnim oder Jacob und Wilhelm Grimm im FP online erschienen. In der diesmaligen Lieferung kommt der Artikel über Clemens Brentano, den großen Frankfurter Dichter neben Goethe, in vollkommen neuer Fassung auf dem aktuellsten Forschungsstand heraus. Als Artikel des Monats, wenige Wochen vor Brentanos 180. Todestag, stellt er die bewegte Frankfurter Biographie des Romantikers in einem detaillierten Überblick dar.
Artikel des Monats April 2022:
„Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit“
Er kam nie zur Ruhe und immer wieder nach Frankfurt: Clemens Brentano. Als Ort der Kindheit und Jugend wie auch der Familie behielt die Stadt am Main für den 1778 in Ehrenbreitstein geborenen Dichter zeitlebens eine besondere Anziehungskraft. Im Haus zum Goldenen Kopf, dem Frankfurter Familien- und Firmensitz, hatte er eine Kaufmannslehre begonnen und nach dem Tod des Vaters 1797 aufgegeben. Auch mehrere Versuche eines Universitätsstudiums brach er ab. Schon früh wollte er eigentlich Schriftsteller werden. Unter dem Pseudonym „Maria“ veröffentlichte er 1801 seinen ersten Roman, „Godwi oder Das steinerne Bildnis der Mutter“, dessen fragmentarisch gebliebene Fortsetzung die berühmte Ballade „Zu Bacharach am Rheine“ enthält, das erste Loreley-Gedicht in der deutschen Literatur.
Noch lange blieben Frankfurt und das Familienhaus ein Dreh- und Angelpunkt im Leben des stetig den Ort wechselnden Dichters. Hier traf er seine Lieblingsschwester Bettine, und von hier aus reiste er mit seinem späteren Schwager Achim von Arnim an den Rhein. Mit dieser Rheinreise 1802 begann die deutsche Rheinromantik, aber auch eine intensive Arbeitsgemeinschaft der „Herzbrüder“ Arnim und Brentano, die schließlich die Liedersammlung „Des Knaben Wunderhorn“ (1805/08) erbrachte. Erst der Skandal um seine Ehe mit Auguste Bußmann, einer Nichte des Frankfurter Bankiers Simon Moritz von Bethmann, ließ Brentano für mehr als anderthalb Jahrzehnte auf Distanz zu seiner Heimatstadt am Main gehen.
Doch anlässlich einer Familienfeier 1823 kehrte der Dichter nach Frankfurt zurück. Damals fand er Anschluss an den Kreis um Marianne von Willemer, den Senator Gerhard Thomas und dessen Frau Rosette, geb. Willemer. Durch Thomas lernte Brentano auch den jungen Historiker Johann Friedrich Böhmer kennen. Böhmer machte sich besonders um das Werk des Dichters verdient, indem er Brentano, der seine Arbeiten niemals als vollendet ansah und daher nur zögerlich zum Druck brachte, immer wieder zur Veröffentlichung seiner Schriften drängte; auch kümmerte er sich um die Überlieferung von Brentanos Gedichten und Märchen in Abschriften. Zwischen 1823 und 1832 kam Brentano immer wieder zu längeren Aufenthalten nach Frankfurt, bevor er sich mehr dem südlichen Bayern zuwandte.
Im September 1841 besuchte Brentano noch einmal seine Heimatstadt. Im Kreis der Freunde bei Marianne von Willemer las er aus seiner Erzählung „Die mehreren Wehmüller und ungarischen Nationalgesichter“, und der befreundete Künstler Edward Steinle, einer der wichtigsten zeitgenössischen Illustratoren von Brentanos Werken, zeichnete dabei das vermutlich letzte Porträt des Dichters. Kein Jahr später, am 28. Juli 1842, starb Clemens Brentano im Hause des Bruders Christian Brentano in Aschaffenburg. Als sein lyrisches Vermächtnis gilt das Gedicht „Was reif in diesen Zeilen steht“ aus der in Frankfurt 1837 erschienenen Spätfassung des Märchens von „Gockel, Hinkel und Gackeleia“, die er Marianne von Willemer widmete, mit den berühmten Schlussversen:
„O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!“
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Ein weiterer Artikel in dieser Lieferung widmet sich dem bedeutenden Physiologen und Mediziner Albrecht Bethe anlässlich von dessen bevorstehendem 150. Geburtstag am 25. April 2022. Als Professor an der neu gegründeten Frankfurter Universität ab 1915 baute Bethe deren Institut für Animalische Physiologie auf. Zusammen mit dem Frankfurter Gründungsordinarius für Physiologie Gustav Embden gehörte er zu den Mitherausgebern des 18-bändigen „Handbuchs der normalen und pathologischen Physiologie“ (1925-32), das unter der Kurzbezeichnung „Bethe-Embden“ bekannt wurde. Bethe, der in der NS-Zeit aufgrund der jüdischen Herkunft seiner Ehefrau 1937 unter Entzug der Emeritusrechte und erheblicher Kürzung seiner Pension in den Ruhestand versetzt wurde, übernahm nach dem Krieg noch einmal die kommissarische Leitung seines Instituts. Er wurde 1947 zum Ehrenbürger und 1952 zum Ehrensenator der Frankfurter Universität ernannt.
Im vorigen Editorial berichtete ich vom Auftauchen einer Fotografie, die die Fotografin Nini Hess zeigt. Bisher war kein Bild von der älteren der beiden bedeutenden Frankfurter Fotografenschwestern Nini und Carry Hess bekannt. Mit freundlicher Unterstützung des Jüdischen Museums Frankfurt, zu dessen Sammlungen ein Abzug des neu entdeckten Fotos gehört, kann das Frankfurter Personenlexikon das Bild nun als Illustration zum Artikel über Nini Hess zeigen. Es handelt sich übrigens um ein Gruppenbild, auf dem noch mehr Frankfurter Prominenz der 1920er Jahre zu sehen ist – offenbar bei einem privaten Kostümfest, da alle komische Kopfbedeckungen tragen und mit der Bändigung eines kleinen Stofftierzoos beschäftigt sind.
Die aktuelle Lieferung ist aufgrund der anhaltend schwierigen Coronasituation etwas kleiner, aber umso feiner ausgefallen, und ich freue mich, dass ich Ihnen diesmal – trotz allem – wieder wichtige und ganz besondere Neuheiten im Frankfurter Personenlexikon präsentieren kann.
Beste Grüße – und bleiben Sie gesund!
Ihre Sabine Hock
Chefredakteurin des Frankfurter Personenlexikons
P. S. Die nächste Artikellieferung erscheint am 10. Mai 2022.