Zweites Kind und ältester Sohn von
Carl Mayer (von) R. und dessen Ehefrau Adelheid, geb. Her(t)z (1800-1853). Vier Geschwister: Charlotte (später verh. de R., 1819-1884),
Adolph Carl (1823-1900),
Wilhelm Carl (1828-1901) und Anselm
Alexander Carl (1835-1854). Enkel von
Mayer Amschel R. und dessen Ehefrau
Gudula, geb. Schnapper. Verheiratet (seit 1842) mit
Louise von R., geb. de R. (1820-1894), einer Tochter seines Onkels
Nathan Mayer (de) R. in London. Sieben Töchter.
Der Vater
Carl Mayer von R. richtete 1820, im Geburtsjahr des Sohnes Mayer Carl, eine Filiale des Bankhauses R. in Neapel ein. Die Familie hielt sich jedoch häufig und in späteren Jahren fast ausschließlich in Ffm. auf, von wo aus der
Vater die Niederlassung in Neapel führte.
Seit 1834 genoss R. eine Ausbildung an verschiedenen R.banken in Europa, wohl in Ffm., Neapel (1839/40) und London, unterbrochen durch ein Studium der Jurisprudenz in Göttingen, u. a. bei Dahlmann und
Grimm (1837/38), und in Berlin, u. a. bei Ranke und
Savigny (1838/39). 1843 trat er in das von seinem Onkel
Amschel Mayer von R. geführte Ffter Stammhaus der Bank ein. Da
Amschel Mayer von R.s Ehe kinderlos geblieben war, adoptierte dieser zur Sicherung der Ffter Nachfolge nach einigen innerfamiliären Rivalitäten 1850 den Neffen Mayer Carl, der sich – nach Worten seiner Schwester Charlotte in ihrem Tagebuch von 1848 – als „ein Mann von Welt und ein Weltbürger (...) mit durchaus nicht unbeträchtlichen Talenten“ empfahl, zumal er dank „seines einnehmenden Wesens, seiner lebhaften Persönlichkeit und seiner geistreichen Konversation“ bereits eine „beliebte Erscheinung“ in Ffm. gewesen sei (zit. nach Ferguson: Die Geschichte der Rothschilds 2002, Bd. II, S. 21). Bald (1852) wurde R. als Teilhaber des Ffter Hauses „Mayer Amschel R. & Söhne“ eingesetzt. Nach dem Tod des
Onkels am 6.12.1855 übernahm Mayer Carl von R., zusammen mit seinem jüngeren Bruder
Wilhelm Carl von R., die Leitung des Bankhauses in Ffm.
Schon früh förderte R., von König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen heftig umworben, den Verkauf preußischer Staatspapiere in Süddeutschland. Bereits 1853 wurde er daher, nicht zuletzt dank
Bismarck, zum preußischen Hofbankier ernannt, womit er über das konkurrierende Bankhaus
Gebr. Bethmann triumphierte. Die neue Rolle führte jedoch auch zu Konflikten mit seiner Familie in England und Frankreich, die den zunehmend militanten Kurs der preußischen Politik nicht billigte. Nach der Besetzung der Stadt Ffm. durch Preußen 1866 gehörte R. zur Ffter Delegation in Berlin, die dort (ab Ende Juli 1866) bessere Bedingungen für die Annexion aushandeln sollte, vor allem geringere Kontributionszahlungen, was letztlich – auch durch dreimalige persönliche Fürsprache R.s bei
Bismarck (am 1., 6. und 7.8.1866) – gelang.
Von 1867 bis Ende 1870 war R. Mitglied der Stadtverordnetenversammlung in Ffm., wobei er aber so selten in den Sitzungen anwesend gewesen sein soll, dass er einmal sogar ein ganzes Jahr lang nicht im Römer gesehen wurde. Vielmehr konzentrierte er sich in seinem politischen Engagement auf die nationale Ebene. Als fraktionsloser Konservativer, der den Freikonservativen zuneigte, gehörte R. im Frühjahr 1867 dem konstituierenden Reichstag des Norddeutschen Bundes an. Anschließend saß er, wiederum als Vertreter des Wahlkreises Wiesbaden 6 (Ffm.), im ersten ordentlichen Reichstag des Norddeutschen Bundes (1867-71). Mitglied des Zollparlaments (1868-70). Mitglied der Deputation bei der Kaiserproklamation in Versailles am 18.1.1871. Bei den ersten gesamtdeutschen Reichstagswahlen 1871 trat R. als Kandidat der Konservativen für den Wahlkreis Ffm. an, unterlag aber seinem demokratischen Gegenkandidaten
Leopold Sonnemann und zog sich danach weitgehend aus der Politik zurück. Bereits im November 1867 war R. – als erster Jude – zum lebenslänglichen Mitglied im Preußischen Herrenhaus berufen worden, dem er von 1868 bis zu seinem Tod 1886 angehörte. R. war sehr stolz auf die kaiserliche Gunst, die er und auch seine Frau
Louise (u. a. durch die Einrichtung eines privaten Lazaretts für verwundete Soldaten des Deutsch-Französischen Kriegs 1870/71) sich erworben hatten. Er war häufiger Gast bei Hofe in Berlin sowie an der kaiserlichen Tafel in Wiesbaden und Bad Ems. 1875 waren Prinz Carl von Preußen (1801-1883) und seine Frau, Prinzessin Marie (1808-1877), bei R. in der Villa Günthersburg zu Besuch.
Mitgründer der Ffter Bank (1854), deren Verwaltungsrat er zunächst als Vizepräsident, seit 1855 als Präsident angehörte. Mitglied der Handelskammer (1857-72). Mitglied im 1866 gegründeten Verein zur Pflege und Unterstützung im Felde erkrankter und verwundeter Krieger. Mitglied des Dombauvereins, der sich seit 1867 für den Wiederaufbau des niedergebrannten Ffter Doms einsetzte. Mitglied im Zentralausschuss der Deutschen Reichsbank. Mitbegründer (um 1883/84) des Vereins zur Wahrung der wirtschaftlichen Interessen für Handel und Gewerbe. Mitglied im Vorstand der Ffter Lebensversicherungsgesellschaft. Mitglied im Verwaltungs- und Aufsichtsrat weiterer Banken und Unternehmen.
Träger zahlreicher Orden, u. a. des Kommandeurkreuzes des St. Ludwigsordens (verliehen durch die Herzogin-Regentin von Parma, 1859) sowie des griechischen Erlöser-Ordens und des spanischen Ordens Isabellas der Katholischen. Den preußischen Roten Adlerorden III. Klasse (1853) und II. Klasse (1857) erhielt R. in der für Nichtchristen geschaffenen ovalen Form statt dem üblichen Kreuz, was er eher als Zurücksetzung denn als Auszeichnung empfand; deshalb soll er das Tragen dieses Ordens möglichst vermieden und sich höchstens mit dem Ordensband im Knopfloch gezeigt haben.
Als die Freie Stadt Ffm. 1857 einen „Vereinstaler“ mit dem Brustbild der Francofurtia herausgab, munkelte man in überseeischen Finanzkreisen, das Frauenbildnis auf der Talermünze sei ein Porträt der Geliebten von R. Deshalb wurde das Silberstück in Amerika auch „Rothschild Love Dollar“ genannt. Die Anekdote veranschaulicht zumindest den Ruf, den der Ffter R. in der amerikanischen Banken- und Börsenwelt genoss: Man traute ihm zu, in seiner Vaterstadt so viel Einfluss zu haben, dass er sich sogar ein Bild seiner Geliebten auf städtisches Münzsilber prägen lassen konnte. Tatsächlich dürfte sich R. mehr für große Geschäfte interessiert haben als für kleine Münzen (und schon gar nicht für deren Design).
Als Wohnhaus für sich und seine Familie hatte R. 1846 das zuvor nur angemietete Haus Untermainkai 10 bzw. später 15 (Architekt:
Johann Friedrich Christian Hess, 1821) erworben, das er nach Entwürfen von
Friedrich Rumpf 1849/50 umbauen ließ („Rothschildpalais“, seit 1988 Sitz des Jüdischen Museums). Von seinem
Vater erhielt er die Günthersburg mit dem durch
Friedrich Rumpf 1844/45 errichteten Schlösschen zum Sommersitz; als Ökonomiehof für die dazu gehörigen Ländereien ließ er durch
Heinrich Burnitz 1864-66 den (nach R.s
Frau benannten) Luisenhof an der Weidenbornstraße erbauen (heute Sitz der FES Frankfurter Entsorgungs- und Service GmbH). Zum ausgedehnten Grundbesitz von R. in und bei Ffm. gehörten auch der ebenfalls vom
Vater ererbte Bertramshof (der frühere Kühhornshof; heute auf dem Gelände des Hessischen Rundfunks am Dornbusch) und die „Dicke Oede“ (zwischen Bornheimer Landstraße, Heidestraße und Friedberger Landstraße), ein über 100.000 Quadratmeter großes (und heute überbautes) Gelände, das er etwa als Festplatz für das erste allgemeine Deutsche Schützenfest 1862 und das V. Allgemeine Deutsche Turnfest 1880 an die Stadt verpachtete.
In den ausgehenden 1870er Jahren überließ R. aus gesundheitlichen Gründen die Bankgeschäfte mehr und mehr seinem
Bruder, der somit noch zu R.s Lebzeiten die Leitung des Ffter Hauses weitgehend übernahm. Unterstützt von seiner Frau
Louise, widmete sich R. künftig intensiv seiner großen Bibliothek (mit ca. 3.000 Bänden) und seiner bedeutenden Sammlung kunstgewerblicher Antiquitäten (mit ca. 5.000 Stücken), einem sagenhaften Schatz von Weltrang und Millionenwert, der sogar mit dem Grünen Gewölbe in Dresden verglichen wurde. Unter den zahlreichen Stücken aus Silber und Gold war der „Merkel’sche Tafelaufsatz“ von Wenzel Jamnitzer (1549; heute im Rijksmuseum Amsterdam) besonders berühmt. Dieses Prachtwerk deutscher Silberschmiedekunst der Renaissance hatte R. 1880 für den spektakulären Preis von angeblich 800.000 Mark (32.000 Pfund) erworben: Es war damit zu diesem Zeitpunkt das teuerste Kunstwerk, das je verkauft worden war.
Während die Ffter Angehörigen der Familie R., darunter R.s Bruder
Wilhelm Carl und dessen Frau
Hannah Mathilde von R., eine streng orthodoxe Glaubensauffassung vertraten, lebte Mayer Carl von R. eine liberalere Form des Judentums. So verpflichteten er und seine Frau
Louise den Rabbiner
Leopold Stein, einen der markantesten Vertreter des deutschen Reformjudentums, gegen dessen Anstellung in Ffm. die Familie unter
Amschel Mayer von R. einst (1843) massiv protestiert hatte, als Hauslehrer für ihre Töchter. Ganz im Sinne der R.’schen Familienpolitik heirateten drei der Töchter innerhalb der Familie:
Adèle (eigentl.: Adele) Hannah Charlotte, gen. Addy (1843-1922), verheiratet seit 1862 mit Salomon James de R. (1835-1864) in Paris;
Emma Louise, gen. Emmy (1844-1935), verheiratet seit 1867 mit
Nathaniel Mayer, gen. Natty, de R. (1840-1915), dem ersten Lord R., in England; Laura
Thérèse, gen. Thesie (1847-1931), verheiratet seit 1871 mit Nathan
James Edouard de R. (1844-1881) in London und Paris. Die beiden jüngsten Töchter,
Margaretha (später: Marguerite) Alexandrine, gen. Margy (seit 1878 verh. de Gramont, 1855-1905), und Bertha Clara (später: Berthe Claire, seit 1882 verh. Berthier de Wagram, 1862-1903), heirateten jedoch christliche Adelige und konvertierten zum Katholizismus, weshalb der Vater – so will es die Legende – sie vom Erbe ausgeschlossen habe; tatsächlich wurde nur Marguerite, die sich einer bereits verabredeten innerfamiliären Heirat widersetzt hatte, vom Vater enterbt.
R. wurde in einem Grab innerhalb der Familiengrabstätte auf dem Jüdischen Friedhof Rat-Beil-Straße in Ffm. bestattet (Block 4, Nr. 400). Auf seinem Grabstein (1888) stehen die Worte aus den Sprüchen Salomo (24,3): „Durch Weisheit wird ein Haus gebaut und durch Verstand erhalten.“ Da R. keinen männlichen Erben hatte, übernahm nach seinem Tod 1886 sein Bruder
Wilhelm Carl von R. allein die Leitung des Ffter Bankhauses; nach dessen Tod 1901 erlosch die Ffter Firma. Das hinterlassene Vermögen von Mayer Carl von R., im angeblichen Wert von 800 Millionen Mark, ging in großen Teilen an die fünf lebenden und erbberechtigten Töchter, während die Witwe
Louise von R. eine Rente erhielt; die von R. eigentlich ausgeschlossene Tochter Marguerite wurde von
Mutter und Schwestern mit einem großzügigen finanziellen Anteil aus dem Erbe bedacht. Außerdem vergab
Louise von R. zahlreiche Legate aus dem Nachlass ihres Mannes, u. a. an jüdische Wohltätigkeitsvereine. Die älteste Tochter
Adèle de R. erbte die Besitzungen in Bornheim, die sie bald veräußerte, zuerst den Luisenhof, der noch zu Lebzeiten der
Namensgeberin an die Stadt Ffm. ging (1889; seitdem Sitz des städtischen Fuhrparks mit Müllabfuhr und Straßenreinigung). Die Villa Günthersburg wurde von der Familie aufgegeben (unter Verteilung des dortigen Bestands der Kunstsammlung an die fünf erbberechtigten Töchter, 1886) und, gemäß R.s letztem Willen, 1891 abgebrochen, bevor der dazu gehörige „Günthersburgpark“ nach dem Verkauf an die Stadt Ffm. zum Volkspark wurde (1892; dort noch die spätestens 1855 errichtete Orangerie erhalten). Die unverheiratete Tochter
Hannah Louise von R. (1850-1892) hatte u. a. den Bertramshof aus dem Erbe des Vaters erhalten, wo sie 1888/89 ein neues landwirtschaftliches Mustergut (die „Rothschild’sche Meierei“) errichten ließ; das Gut blieb nach
Hannah Louises Tod bis zum Verkauf um 1911/14 im Besitz der
Familie von R.
Zum Gedenken an den Vater stiftete
Hannah Louise von R. die „Freiherrlich Carl von Rothschild’sche Öffentliche Bibliothek“ (mit der väterlichen Büchersammlung als Grundstock, 1887; seit 1928 Abteilung der Stadtbibliothek, der heutigen „Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg“) und die Heilanstalt „Carolinum“ (1890; seit 1910/12 Zahnklinik der späteren Universität), für deren Erhalt nach dem frühen Tod der Stifterin (1892) deren Mutter
Louise und Schwester
Adèle sorgten. Die Kunstsammlung, zumindest den in Ffm. verbliebenen Teil, machte die Witwe
Louise von R., unterstützt von ihrer Tochter
Hannah Louise, der Öffentlichkeit zugänglich, indem sie ein Privatmuseum mit drei Sälen in dem Palais am Untermainkai einrichtete; zentral im „Gelben Saal“ war dort auch der berühmte „Merkel’sche Tafelaufsatz“ ausgestellt (vgl. den von
Ferdinand Luthmer verfassten Führer durch die Sammlung, 1890). Der bedeutende Bestand chinesischer Vasen, der, ursprünglich in der Villa Günthersburg, in den Besitz von
Hannah Louise von R. übergegangen war, wurde zunächst (1887) als Leihgabe beim Mitteldeutschen Kunstgewerbe-Verein und später, zumindest zeitweise, in der zu Jahresbeginn 1888 eröffneten R.bibliothek in der Bethmannstraße 1 gezeigt. Einige Stücke aus der Kunstsammlung schenkte
Louise von R. der Stadt Ffm., u. a. zwei Pokale der Goldschmiedezunft, eine Bernsteinkanne und einen früher einer jüdischen Beerdigungsbruderschaft gehörenden Silberpokal (alle in einer Schenkung von 1887). Nach dem Tod der
Witwe wurde die übrige Kunstsammlung 1895 unter der Familie aufgeteilt und damit endgültig aufgelöst.
In das Stadthaus am Untermainkai zog nach
Louises von R.s Tod die Freiherrlich Carl von Rothschild’sche Öffentliche Bibliothek ein. Seit 1988 ist in dem als „Rothschildpalais“ bekannten Gebäude das Jüdische Museum beheimatet. Anlässlich der Ausstellung „Die Rothschilds. Eine europäische Familie“ 1994/95 wurden dort drei historische Räume eingerichtet, die einen Eindruck vom Lebensstil von Mayer Carl von R. und seiner Familie vermitteln (wegen Sanierung des Museums voraussichtlich bis Spätsommer 2019 geschlossen).
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Frankfurter Biographie 2 (1996), S. 219f.,
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