Kundry S. war das einzige Kind der Ffter Sängerin Louise Schmidt (1882-1966) und wurde als Anne-Marei Kundry Schmidt unehelich geboren. Der Familienname S. fiel ihr erst durch die spätere Eheschließung der Mutter mit dem Opernsänger Hans S. (1872-1941) zu, der aus früherer Ehe bereits eine Tochter hatte. Die Sängerin, Radiosprecherin und Journalistin Eva S. (1907-1994) war folglich nur nominell eine Halbschwester von S. Verheiratet (seit 1933) mit dem Publizisten und späteren Berliner Rundfunkintendanten Franz Wallner (1896-1984), der seinen Namen um den Geburtsnamen seiner Mutter zu Wallner-Basté erweiterte, um Verwechslungen mit seinem Vater bzw. seinem Sohn zuvorzukommen. Ein Sohn, der Ingenieur Franz Wallner (* 1937).
S. wurde in Berlin-Wilmersdorf geboren, verbrachte aber offenbar den Großteil ihrer Kindheit in Ffm., dem Geburtsort ihrer Mutter. Louise Schmidt heiratete am 15.11.1912 im britischen Dartford/Kent den Tenor Hans S., der um diese Zeit als Großherzoglich Badischer Kammersänger am Hoftheater in Karlsruhe tätig war. Über den Werdegang und die Auftritte Schmidts liegen kaum Angaben vor. Belegt ist lediglich, dass sie im Oktober 1913 als Solistin (Sopran) einen Liederabend im Karlsruher Museumssaal und im November 1915 zusammen mit dem Bariton Hermann Gura (1870-1945) einen Lieder- und Balladenabend im Ffter Saalbau bestritt.
Nachdem Hans S. mit der Spielzeit 1916/17 ein Engagement am Essener Stadttheater beendet hatte, zog die Familie nach Königsberg/Ostpreußen. Hier besuchte S. ab Herbst 1918 die höhere Mädchenschule von Agathe Riemer. Über ihren Ausbildungsweg zur Schauspielerin ist nichts bekannt. Vermutlich vermittelte ihr der Stiefvater, der von 1919 bis 1923 am Königsberger Stadttheater engagiert war, dort erste Auftrittsmöglichkeiten. Nachdem sie eine Zeit lang in kleineren Rollen gewirkt hatte, konnte S. in der Spielzeit 1921/22 als Hero in Shakespeares „Viel Lärm um nichts“ ihren ersten größeren Erfolg verbuchen. Es schlossen sich Auftritte in „Emilia Galotti“ (Lessing), „Don Carlos“ (
Schiller) „Die versunkene Glocke“ (
Hauptmann), „Das Käthchen von Heilbronn“ (Kleist) und „Kabale und Liebe“ (
Schiller) an, bevor S. ans Leipziger Schauspielhaus ging. Hier spielte sie u. a. in Bjørnsons „Wenn der junge Wein blüht“.
Im Frühjahr 1924 wurde S. von
Richard Weichert (1880-1961) zu einem Gastspiel nach Ffm. eingeladen und eroberte als Julia in Shakespeares „Romeo und Julia“ das Publikum im Sturm. Kritiker lobten sie u. a. für „die Ursprünglichkeit der Empfindung des über Nacht dem Kindesalter entwachsenen Mädchens“. Daraufhin wurde S. fest an das Ffter Schauspielhaus verpflichtet, dessen Ensemble sie von 1924 bis 1934 angehörte. Vom Rollenfach der Sentimentalen bald zur munteren Liebhaberin und jugendlichen Salondame gewechselt, wirkte sie in ihrer Ffter Zeit vornehmlich in Komödien, Schwänken und Lustspielen mit. S. galt als „kapriziöses Talent“ und spielte an der Seite etwa von
Ellen Daub,
Mathilde Einzig,
Toni Impekoven, Ben Spanier und
Robert Taube. Sie zeichnete sich durch ihre Schönheit und ihre „wohlgebildete Stimme“ aus, und in Besprechungen wurden stets ihre Begabung für Komik und Groteske sowie ihr parodistisches und tänzerisches Können gerühmt. Dabei wurde ihr Spiel immer wieder mit Adjektiven wie „liebreizend“, „prächtig“ und „entzückend“ bedacht. Privat musste S. in ihren Ffter Jahren allerdings eine große Verantwortung übernehmen, die nicht ihrem „leichten“ Rollenfach entsprach. S. wohnte zusammen mit ihrer Mutter und deren Mann, der sich in der Zwischenzeit von der Bühne verabschiedet hatte, am Untermainkai 29 und ab 1931 in der Feuerbachstraße 44. Mit ihren Einkünften musste sie weitestgehend auch für den Lebensunterhalt der Mutter und des Stiefvaters sorgen. Erst um 1934 zogen Louise und Hans S. in das Ostseebad Henkenhagen bei Kolberg/Hinterpommern, wo sie fortan das Erholungsheim „Anker“ betrieben.
In ihrer ersten regulären Ffter Spielzeit (1924/25) trat S. in „Das Apostelspiel“ (Mell), „Fenster“ (Galsworthy), „Bunbury“ (Wilde) und „Bürger Schippel“ (Sternheim) auf. 1925/26 spielte sie u. a. in „Wie es euch gefällt“ (Shakespeare), „Der Misanthrop“ (Molière), „Das Postamt“ (Tagore), „Die Hochzeit der Schäferin“ (Lahusen), „Der Bauer als Millionär“ (Raimund), „Krieg der Frauen“ (Balzac), „Orpheus in der Unterwelt“ (Offenbach) und „Schluck und Jau“ (
Hauptmann). Nebenbei wirkte sie in dieser Zeit (1925/26) immer wieder auch in Hörspielproduktionen des Südwestdeutschen Rundfunkdienstes mit, etwa in Wildes „Salome“, Shakespeares „Macbeth“, Wassermanns „Gentz und Fanny Elßler“ und
Schillers „Die Braut von Messina“.
In der Spielzeit 1926/27 galt S. für einen Großteil ihres Publikums im Schauspielhaus nach wie vor als „Hauptattraktion des Abends“. Sie gab die tanzende Rosetta in
Büchners „Leonce und Lena“ und wirkte in „Der gespaltene Sarg“ (aus China), „Die zwei Abenteurer“ (Zoff) und „Ein besserer Herr“ (Hasenclever) mit. Nachdem sie von einem Kritiker einmal als „kecke Kammerkatze“ bezeichnet worden war (in Lernet-Holenias Komödie „Ollapotrida“, UA, 11.12.1926), machte S. Anfang 1927 von sich reden, als sie bei einer Probe des „Zirkus Wanebach“ zusammen mit dem Ffter Stadtrechtsrat Hans Heinz Hiller (1899-1970) einen Black Bottom im Löwenkäfig tanzte. „Kundry Siewert, zarte und tadellos gewachsene Salondame mit süßester Stimme, wagte sich (mit dem tanzenden Dr. Hiller) in einen von elf Löwen bevölkerten Käfig“, schrieb 1930
Hans Reimann. Bei der Wohltätigkeitsgala am 8.1.1927, die als Faschingsauftakt in der Ffter Festhalle veranstaltet wurde, verzichtete S. allerdings darauf, erneut in den Käfig zu steigen. In der Presse hieß es anschließend, sie habe die Löwen bei der Hauptprobe „in den Zustand der Liebesraserei versetzt“; deshalb kutschierte sie nur mit einem Löwenbaby auf dem Arm durch die Manege.
Als bekanntes und beliebtes Mitglied der Städtischen Bühnen gehörte S. auch zum Künstlerstammtisch „Abgeschminkt“. Im November 1927 präsentierte das Berliner Monatsmagazin „Uhu“ das „schöne Knabengesicht der Schauspielerin Kundry Sievert“
[sic!] in einer ganzseitigen Aufnahme, einem Rollenporträt als Prinzessin Hilde in Ludwig Bergers „Der goldene Schnitt“ (Ffter EA, 13.6.1925). Belegt ist u. a., dass S. 1927 in den Lustspielen „Bluff“ (Schneider-Schelde), „Die Kassette“ (Sternheim) und „
Mozart“ (Guitry/Hahn), 1928 in „Gelegenheit macht Liebe“ (Lernet-Holenia/Zweig), 1929 in „Kabale und Liebe“ (
Schiller) und „Gefallene Engel“ (Coward), 1930 in „Neue Sachlichkeit“ (
Impekoven/
Mathern), „Sturm im Wasserglas“ (Frank) und „Kakadu – Kakada“ (
Zuckmayer), 1931 in „Alt-Frankfurt“ (
Stoltze), „Meine Schwester und ich“ (Blum/Musik: Benatzky) und „Dame Kobold“ (Calderón) sowie 1932 in „Der Raub der Sabinerinnen“ (Schönthan), „Der Verschwender“ (Raimund) und bei einer Freilichtaufführung von „Der alte Bürger-Capitain“ (
Malss) im Karmeliterkloster auftrat. Ihre Mizi Schlager in Schnitzlers „Liebelei“ (1931) wurde in der Ffter Presse als „ein fesches, leichtblütiges Ding, voll quellender Frische und schnippischer Beredsamkeit, ein tänzelnder Irrwisch“ gepriesen. Auch nach 1927 wirkte S. in Radioproduktionen mit, nun aber offenbar nicht mehr in Hörspielen. So fungierte sie im Sommer 1929 als Sprecherin bei der Übertragung eines Konzerts mit dem Ffter Radio-Orchester, Ende 1929 gestaltete sie zusammen mit ihrem Kollegen vom Ffter Schauspielhaus
Robert Taube ein Literaturprogramm, im Dezember 1932 trug sie die „Weihnachtslegende vom Peitschchen, drei Kindern erzählt“ (
Binding) vor, und im Februar 1933 führte sie ein Radiogespräch mit ihrer älteren Schauspielkollegin
Thessa Klinkhammer, das unter dem Titel „Von alten und neuen Theatererinnerungen“ ausgestrahlt wurde.
Unbekannt ist, wann S. ihren späteren Ehemann Franz Wallner-Basté kennenlernte; auch der Ort und das genaue Datum der Eheschließung 1933 haben sich noch nicht ermitteln lassen. Wallner-Basté, zuvor Musik-, Literatur- und Theaterkritiker in Berlin, war Ende 1928 von
Ernst Schoen zunächst als Sprecher an den Südwestdeutschen Rundfunk in Ffm. geholt worden. Gut ein Jahr später wurde er zum Leiter der Literarischen Abteilung des Senders ernannt. Nachdem ihn bereits 1932 die nationalistische Deutsche Zeitung attackiert und ihm unterstellt hatte, er bevorzuge „linke“ und „undeutsche“ Künstler, erhielt er im Juni 1933 die Kündigung nach „§ 4 der zweiten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 4.5.1933“. Wallner-Basté verließ daraufhin Ffm. und ging nach Berlin.
S. wirkte im Sommer 1933 bei den Ffter Römerbergfestspielen u. a. als Agnes Sorel in
Schillers „Die Jungfrau von Orleans“ mit. Sie trat Ende des Jahres in Walter Erich Schäfers „Schwarzmann und die Magd“ im Ffter Schauspielhaus auf und spielte hier im Frühjahr 1934 ihre vorerst letzte Shakespeare-Rolle als Gräfin Olivia („schön wie ein Gemälde“) in „Was ihr wollt“. Im Sommer desselben Jahres verabschiedete sie sich als Mitzi Reiner in der Operette „Katz im Sack“ (Szilághyi/Musik: Eisemann) unbemerkt von ihrem Ffter Publikum und folgte ihrem Mann nach Berlin. In einer kurzen Pressemeldung hierzu hieß es nachträglich, S. sei „ein Liebling der Frankfurter“ gewesen, deren „dankbare Erinnerung“ ihr gewiss sei.
Den Lebensmittelpunkt S.s nach 1934 bildete Berlin. Hier kam auch im Frühjahr 1937 ihr Sohn Franz Wallner zur Welt. Doch hielt sich S. zusammen mit ihrem Mann und später ihrem Sohn immer wieder längere Zeit bei ihrer Mutter und ihrem Stiefvater im pommerschen Henkenhagen auf. Insbesondere während der Bombenangriffe auf Berlin um 1943 war der Ort eine sichere Zufluchtsstätte. Im Februar 1945 verließ S. Henkenhagen zusammen mit ihrer Mutter und ihrem Sohn erst, als dort schon der Kanonendonner aus dem etwa 100 Kilometer entfernt gelegenen Stolp zu hören war.
S.s Stiefvater war bereits 1932 Mitglied der NSDAP geworden. Ihr Mann zeichnete sich hingegen durch eine klare Gegnerschaft zu den Nationalsozialisten aus. Schon in seiner Ffter Zeit soll Franz Wallner-Basté vorübergehend den Politiker und sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Carlo Mierendorff (1897-1943) versteckt gehalten haben. Zeitweise arbeitete Wallner-Basté mit dem Ffter Journalisten, SPD-Politiker und Widerstandskämpfer Theodor Haubach (1896-1945) zusammen, und um 1943 soll er Ben Spanier (1887-1944), dem früheren Ffter Schauspielkollegen seiner Frau, Lebensmittelpakete in das Ghetto Theresienstadt geschickt haben. Am 19.4.1961 wurde Wallner-Basté vom West-Berliner Senat für seinen selbstlosen Einsatz für Juden und politisch Verfolgte während der NS-Gewaltherrschaft als „Unbesungener Held“ geehrt. Unbekannt ist bislang, in welchem Maß S. an den Hilfsmaßnahmen ihres Mannes beteiligt war, doch legt schon das Beispiel Spanier nahe, dass sie mehr als nur „Mitwisserin“ war. Der österreichische Journalist, Schriftsteller und Drehbuchautor Hans (ab 1940 auch: John) Kafka (1902-1974), langjähriger Mitarbeiter der wöchentlich in den USA erscheinenden Emigrantenzeitschrift „Der Aufbau“, bescheinigte 1945: „Dr. Wallner und seine Familie versteckten meine Frau und mich in den Jahren 1934 und 1935 vor der Nazi-Verfolgung in ihrem Haus in Henkenhagen bei Kolberg.“
Als Schauspielerin konnte S. in Berlin nicht mehr an ihre großen Ffter Bühnenerfolge anknüpfen. Zwar wurde sie als „ätherische Titania“ gefeiert, als sie im Herbst 1934 am Berliner Theater des Volkes (bis 1934: Großes Schauspielhaus) in Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ zu sehen war. Auch fungierte sie ab dieser Zeit als Sprecherin in Programmen des Reichssenders Berlin wie „Das deutsche Himmelreich. Wie deutsche Dichter die Ewigkeit sehen“, „Zur heiligen Nacht“ und „Der Schäfer putzte sich zum Tanz. Ein fröhlicher Feierabend vor Pfingsten“, doch zog sie sich nun weitgehend ins Privatleben zurück.
Nach dem Zweiten Weltkrieg trat S. während der Osterfestspiele 1946 in der Berliner Marienkirche als Glaube in „Jedermann“ (Hofmannsthal) ein letztes Mal öffentlich auf. Ihr Spiel wurde als „darstellerisch und sprechtechnisch ausgezeichnet“ gelobt. 1947 betätigte sie sich vorübergehend als Synchronsprecherin englischsprachiger Filme und wirkte in drei Hörspielen des RIAS Berlin, „Die Irrfahrten des kleinen Jones“ (Corwin), „Ringelspiel 1947“ (Kästner) und „Chopin“ (Giefer), mit. Um diese Zeit war S.s Mann, Franz Wallner-Basté, Intendant des RIAS.
S. starb 1964 in Berlin. Ihre letzten Lebensjahre waren von schwerer Krankheit geprägt. Sie wurde in der Familiengrabstätte von Hans S. auf dem Friedhof in Berlin-Zehlendorf beigesetzt.
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