Neuerscheinungen vom 10. August 2021

Einleitung: 

Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,

auch in diesem Jahr macht das Frankfurter Personenlexikon keine Sommerpause. Wie immer können Sie beim Lesen im FP – frei nach dem Wort von Jean Paul – „wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben, über die Sterne“. Der diesmalige Artikel des Monats lädt zu einer Reise in die Frühzeit der Fotografie in Frankfurt ein.

Artikel des Monats August 2021:
Pionier der Papierfotografie

Er eröffnete eines der ersten Fotoateliers in Frankfurt: Sigismund Gerothwohl. Der am Städel ausgebildete Maler hatte die damals noch brandneue Technik der Fotografie von einem durchreisenden Wanderfotografen gelernt, dessen Geschäftslokal und Apparate er übernahm. In einer Anzeige im Frankfurter Intelligenz-Blatt vom 3. Januar 1843 bot Gerothwohl erstmals seine Künste als Porträtfotograf an. Vor ihm hatte nur einer gewagt, ein Atelier als hauptberuflicher Fotograf in der Stadt zu gründen. Der Konkurrent gab bald auf. Gerothwohl dagegen hielt Schritt mit der rasanten technischen Weiterentwicklung der Fotografie. Bereits im Januar 1845 führte er das Verfahren der Papierfotografie in Frankfurt ein. Gegenüber der bisher üblichen Daguerreotypie, bei der Unikate auf versilberten Kupferplatten entstanden, die nicht vervielfältigt werden konnten, hatte das Papierverfahren den Vorteil, dass von einer Aufnahme mehrere Abzüge hergestellt werden konnten. Im April 1845 zeigte Gerothwohl einige Probebilder seiner Papierfotografien („Kalotypien“) im Städelschen Kunstinstitut. Es war dies die erste Fotoausstellung einem Kunstmuseum in Deutschland und wahrscheinlich sogar in der Welt.
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Schluss: 

In die Reihe der Fotografen im Frankfurter Personenlexikon passt auch der Artikel über Konrad Helbig, der sich seit den 1950er Jahren einen Namen als Reisefotograf machte und erst posthum als herausragender Aktfotograf entdeckt wurde. Obzwar Gerothwohl und Helbig etwas mehr als ein Jahrhundert trennt, gleichen sich ihre Biographien in der Rastlosigkeit, die die beiden Fotografen schließlich von Frankfurt aus durch Europa und die Welt ziehen ließ.

Beim Springen über die Jahrhunderte landen wir am 2. Januar 1748, als die Brüder Johann Philipp und Simon Moritz Bethmann ihr Bankhaus in Frankfurt gründeten, das sich bald an führender Stelle am hiesigen Handels- und Finanzplatz etablierte und europaweit agierte. Simon Moritz Bethmann, den jüngeren und unbekannteren der beiden Brüder (der nicht mit seinem berühmten gleichnamigen Neffen und Patensohn zu verwechseln ist), stellt ein neuer Artikel im Frankfurter Personenlexikon vor. Der Bankier unterstützte als heimlicher Wohltäter u. a. den Bau des Senckenbergischen Bürgerhospitals, der nach Senckenbergs Tod 1772 ins Stocken geraten war – und ohne Bethmann vielleicht sogar ganz steckengeblieben wäre.

Bethmanns Nichte Susanna Elisabeth Bethmann-Hollweg engagierte sich später, u. a. im Vorstand des Frankfurter Frauenvereins, für die Verbesserung der sozialen Verhältnisse in den Frankfurter Dörfern und gründete 1828 eine Kleinkinderschule für drei- bis siebenjährige Mädchen in Oberrad. Sie ist eine von sechs starken Frankfurterinnen, die mit einem neuen Artikel in dieser Lieferung vertreten sind. Auch die anderen fünf Frauen möchte ich Ihnen in chronologischer Reihenfolge nach Geburtsjahren kurz vorstellen.
Die gebürtige Münchnerin Elisabeth H. Winterhalter eröffnete 1891 als eine der ersten Ärztinnen ihre Praxis in Frankfurt. Da Frauen damals in Deutschland noch nicht die Universität beziehen durften, hatte sie nur in der Schweiz studieren können. Weil ihre Abschlüsse in Deutschland jedoch nicht anerkannt wurden, musste sie lange – trotz hervorragender ärztlicher Leistungen – gegen den Ruf als „Kurpfuscherin“ kämpfen. Im Alter von 47 Jahren holte sie 1904 ihr deutsches Staatsexamen in Heidelberg nach, als eine der beiden ersten Medizinerinnen nach der Zulassung von Frauen zum Universitätsstudium in Baden. Auch aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen engagierte sich Winterhalter besonders für Frauenbildung und -studium. So gehörte sie zu den Initiatorinnen von Frankfurts erstem Mädchengymnasium, das im April 1901 seine (privaten) „Kurse“ begann.
Winterhalters Lebenspartnerin war die aus der Schweiz kommende Malerin Ottilie W. Roederstein, die ihre künstlerische Ausbildung ebenfalls gegen allerhand Widerstände hatte durchsetzen müssen. In Frankfurt, wo die beiden Frauen ab 1891 ihr gemeinsames Leben aufbauten, etablierte sich Roederstein schnell mit ihrem Atelier. Sie wurde zur gesuchten Porträtistin der Frankfurter Stadtgesellschaft. Im Laufe ihres Lebens soll sie etwa 800 Porträts gemalt haben, davon rund 80 Selbstbildnisse. Auch als Lehrerin war die Künstlerin beliebt. Zu ihren Schülerinnen zählten etwa Lina von Schauroth, Mathilde Battenberg und Hanna Bekker vom Rath.
Die aus einer alteingesessenen jüdischen Familie stammende Hedwig Kracauer, geb. Oppenheimer, leitete mit ihrem Mann, dem Lehrer und Historiker Isidor Kracauer, über 30 Jahre lang – von 1885 bis 1917 – die „Julius und Amalie Flersheim’sche Stiftung“, ein Kinderheim zur Erziehung jüdischer Knaben aus bedürftigen Familien, Waisen und Halbwaisen. Nach dem Tod ihres Mannes schloss Hedwig Kracauer dessen grundlegendes Werk zur „Geschichte der Juden in Frankfurt“ ab und brachte es zum Druck. Gelegentlich veröffentlichte sie auch eigene historische Artikel, u. a. in der Frankfurter Zeitung, zu deren wichtigen Mitarbeitern ihr Neffe Siegfried Kracauer gehörte.
Auch die hochbegabte Literaturwissenschaftlerin Hanna Hellmann, obwohl rund 20 Jahre jünger als Winterhalter und Roederstein, hatte noch mit der Bildungsbenachteiligung von Frauen beim Universitätsstudium zu kämpfen. In ihrer in Zürich eingereichten Dissertation beschäftigte sie sich als erste mit Kleists bis dahin wenig beachtetem Text „Über das Marionettentheater“ (1908), womit sie große Resonanz fand. Bald nach ihrer Promotion zog sie nach Frankfurt, wo sie das Leben einer modernen, unverheirateten Intellektuellen führte.
Die Frankfurterin Madlen Lorei startete ganz ohne Studium im Alter von 17 Jahren 1936 in eine Karriere als Schriftstellerin in Berlin. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte sie in ihre Geburtsstadt zurück, wo sie als Journalistin bei der im Frühjahr 1946 gegründeten Frankfurter Neuen Presse zu arbeiten begann; später schrieb sie auch für die Frankfurter Nachtausgabe. Ihr Metier fand sie als Polizei- und Gerichtsreporterin, damals eigentlich eine Männerdomäne, in der sie sich couragiert behauptete – auch aufgrund ihrer exzellenten Recherchen. In drei Fällen soll sie schon vor der Polizei gewusst haben, wer der Mörder war. Zusammen mit Richard Kirn veröffentlichte Lorei außerdem die bekannten Bücher „Frankfurt und die drei wilden Jahre“ (1962) und „Frankfurt und die Goldenen Zwanziger Jahre“ (1966).

Nicht zuletzt sieht es das Frankfurter Personenlexikon als eine Verpflichtung an, an die Frankfurterinnen und Frankfurter zu erinnern, die in der NS-Zeit aus rassischen, politischen, weltanschaulichen oder anderen Gründen diskriminiert und verfolgt wurden. Durch die Aufnahme mit einem Artikel in das Frankfurter Personenlexikon wird ihnen ihr gebührender Platz in der historischen Stadtgesellschaft wiedergegeben. In dieser Lieferung berichten drei Artikel über Personen, die von den Nationalsozialisten 1942/43 deportiert und in Konzentrationslagern ermordet wurden: die Literaturwissenschaftlerin Hanna Hellmann und die Publizistin Hedwig Kracauer, die bereits oben vorgestellt wurden, und den Pädagogen Otto Driesen, der von 1921 bis 1937 das Philanthropin in Frankfurt leitete.
Zu den Verfolgten des nationalsozialistischen Terrorregimes gehörte auch der Richter Franz Calvelli-Adorno, der die NS-Zeit, zuletzt auf ständiger Flucht vor der Gestapo, überlebte und nach dem Zweiten Weltkrieg zum Senatspräsidenten am Oberlandesgericht in Frankfurt aufstieg. In diesem Amt prägte er die Rechtsprechung zur Wiedergutmachung in Rückerstattungs- und Entschädigungsverfahren; so war maßgeblich dafür verantwortlich, dass Sinti und Roma als rassisch Verfolgte anerkannt wurden. Franz Calvelli-Adorno war übrigens ein Cousin des berühmten Philosophen Theodor W. Adorno.

Beim Blick in die Vergangenheit zeigen sich manchmal erst das Glück und der Wert der Freiheit, die wir genießen.

Beste Sommergrüße
Sabine Hock
Chefredakteurin des Frankfurter Personenlexikons

P. S. Die nächste Artikellieferung erscheint am 10. September 2021.